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Zeit zu handeln!

Im Wortlaut,

Martin Schirdewan über das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU

 

Die zweite Runde der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA hat mit Verspätung begonnen, weil die US-Delegation wegen des Government Shutdowns zuvor nicht nach Brüssel reisen konnte. Bekanntermaßen befindet sich die US-Politik im manifesten Streit über die alles entscheidenden Fragen: Wie viel Staat braucht das Gemeinwesen? Wie viele Regeln wollen wir, wo begrenzt sich die staatliche Gewalt selbst und überlässt das öffentliche Leben dem Spiel der Märkte?

Diese Fragen werden auch in die Verhandlungen um das Freihandelsabkommen einfließen. Dass die zuletzt heftig diskutierte Aussetzung der Gespräche wegen der NSA-Spionageaffäre nicht zustande kam, gibt einen Eindruck davon, wie die Antworten ausfallen könnten: Erst kommt das Recht der Unternehmen auf freien Handel, dann erst folgen die grundlegenden Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger.

Die Liste der Kritik am Abkommen, als dessen zentrale Ziele die Abschaffung von Zöllen und Handelshemmnissen genannt werden, ist lang: Angefangen bei den Einnahmeverlusten aus Zöllen, die sich nach aktuellen Rechnungen auf 2,7 Milliarden Euro belaufen, bis hin zur Gefahr weiterer globaler Ungleichgewichte. Selbst die – linken Gedankengutes üblicherweise weitgehend unverdächtige – Bertelsmann-Stiftung kam kürzlich zu der Erkenntnis, dass eine Vergrößerung des transatlantischen Handelsvolumen zwingend Einbußen für andere Weltregionen bedeute. Und nicht einmal die komplette Europäische Union profitiert: Der Süden bleibt abgehängt, gewürgt von der brutalen Spar- und Kürzungspolitik, die Deutschland Europa verordnet hat.

Weitere Verlierer des geplanten Abkommens und des damit einhergehenden stärkeren Konkurrenzdruckes auf beiden Seiten des Atlantiks werden kleinere und mittelständische Unternehmen sein – Großkonzerne können den veränderten Bedingungen dagegen standhalten.

Für das dritte Kritikfeld steht beispielgebend ein konkretes Kommissionsvorhaben: Demnach soll im Abkommen ein sogenanntes investor-state dispute settlement verankert werden. Das gibt Unternehmen die Möglichkeit, gegen Regierungen zu klagen, falls deren Gesetze zu Handelshemmnissen führen. Das kann sich auf Bestimmungen zum Arbeitsschutz genauso beziehen wie auf strengere Regeln zu Gentechnik in Lebensmitteln.

Bisher war die LINKE im Europaparlament in der Debatte um das Freihandelsabkommen nur teilweise erfolgreich. Gemeinsam mit vielen anderen Parlamentariern setzte sie sich erfolgreich für mehr Transparenz bei den Verhandlungen ein. Anträge für rote Haltelinien bei den Verhandlungen aber wurden abgeschmettert. Das sollte jedoch nicht zur Entmutigung führen: Über die Ratifizierung des Freihandelsabkommens wird erst das im nächsten Jahr zu wählende Europaparlament entscheiden. Der Europawahlkampf wird also zu einer gesellschaftlichen Debatte werden müssen, die die eingangs erwähnten Fragen in den Vordergrund stellt: Wie viele Regeln wollen wir? Wo setzen wir – unter kapitalistischen Bedingungen – dem Spiel der Marktkräfte soziale, demokratische und ökologische Grenzen?

Der 25. Mai 2014 wird somit ein Tag grundsätzlicher Richtungsentscheidung in der EU. Entscheidend aus linker Sicht muss es sein, den öffentlichen Sektor vor dem Zugriff privater Interessenten zu schützen. Zudem müssen Arbeitnehmer- und Verbraucherrechte ausgebaut und geschützt werden, etwa mit Hilfe einheitlicher Mindestlöhne oder einer Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel. Ein sozial-ökologischer Wandel würde kleine und mittlere Unternehmensstrukturen stärken. Und das Wichtigste: Kein Klagerecht von Unternehmen gegen Regierungen vor einem Sondertribunal!

Das neue Europäische Parlament wird über das Freihandelsabkommen lediglich mit »ja« oder »nein« abstimmen können. Ein Alternativentwurf Europas muss sich also nicht nur dem Abkommen, sondern auch dem dahinterstehenden Weltbild entgegenstellen. Das kommende Europaparlament sollte die Marktliberalen in EU-Kommission und US-Kongress in ihre Schranken weisen, das Freihandelsabkommen ablehnen und Alternativen für einen fairen, nachhaltigen Austausch zwischen den Interessen entwickeln. Der Welthandel muss neu ausgerichtet werden – sozial, ökologisch und nicht zuletzt demokratisch kontrolliert.

neues deutschland, 14. November 2013