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Dietmar Bartsch © DBT/Inga HaarFoto: DBT/Inga Haar

»Wird es mehr Ellenbogen oder mehr Herz geben?«

Im Wortlaut von Dietmar Bartsch, Rheinische Post,

Der Fraktionschef der Linken beklagt im Interview mit unserer Redaktion, Bund und Länder hätten die Polizei „totreduziert“. Von Merkels Rückzug verspricht er sich neue Wähler für die Linke. Kristina Dunz führte das Gespräch.

 

Kristina Dunz: Herr Bartsch, es gibt neue Drohmails mit der Unterschrift „NSU 2.0“, Morddrohungen gegen die hessische Linksfraktionschefin werden in Verbindung mit der Polizei gebracht, bei der Bundeswehr verschwindet Munition. Sind die jüngsten rechtsextremistischen Vorfälle Einzelfälle oder nur die Spitze des Eisbergs?

Dietmar Bartsch: Das Gerede über Einzelfälle ist völlig neben der Spur. Diese gravierenden Vorfälle müssen uns alle alarmieren. 60.000 Schuss Munition verschwinden aus der Bundeswehr, im Kommando Spezialkräfte gibt es Rechtsextremisten und von Polizeicomputern werden Daten von Linke-Politikerinnen abgerufen, die anschließend Todesdrohungen vom NSU 2.0 bekommen. Es gibt offensichtlich ein Problem, dem wir auf den Grund gehen müssen. Auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter fordert eine unabhängige Untersuchung. Es ist völlig falsch, dass Bundesinnenminister Seehofer eine Rassismus-Studie in der Polizei ablehnt. Damit macht er sich zum Teil des Problems.

Warum sind vor allem Frauen aus Politik und Medien betroffen?

Das ist Ausdruck eines kranken rechten Weltbildes, das vielfach gegen Frauen gerichtet ist. Diese Typen können gleichberechtigte, starke Frauen nicht akzeptieren. Wie gefährlich diese Worte des Hasses sind, zeigt sich am Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke, der uns eine große Warnung sein sollte. Es bleibt eben nicht bei Drohungen. Letztlich sind es keine Angriffe auf Politiker mit einem bestimmten Parteibuch, es sind Angriffe auf die Demokratie.

Haben Linke mehr Angst vor der Polizei als Vertrauen in die Polizei?

Es stimmt, dass Linke-Mitglieder insbesondere mit Migrationshintergrund zum Teil verheerende Erfahrungen gemacht haben. Aber das ist nur der eine Teil. Ich werbe dafür, dass man auch als Polizist Mitglied der Linken sein kann. Das darf kein Widerspruch sein. Der Bund und einige Länder haben wegen ihres Fetisches für die Schwarze Null die Polizei über Jahre bei Personal und Ausrüstung totreduziert. Wir brauchen mehr Polizisten auf der Straße und eine bessere Ausrüstung. Wir werden die Polizei nicht den Rechten überlassen.

Am 20. Juli – zum Gedenken an das missglückte Attentat auf Hitler 1944 – gab es oft öffentliche Gelöbnisse der Bundeswehr. Die Corona-Pandemie verhindert das in diesem Jahr. Fehlt Ihnen das?

Nein. Alles, was an Militarismus erinnert, braucht niemand. Dem antifaschistischen Widerstandskampf sollte in größerem Umfang gedacht wer- den als nur an die damaligen Offiziere, die sehr lange an der Seite der Nazis standen. Dem Widerstand gebührt Achtung. Keine Frage. Aber es sollten mehr auch die Christen, Kommunisten und Sozialisten gewürdigt werden, die gegen Hitler aufgestanden sind.

Kommt das dem freundlichen Desinteresse an der Bundeswehr nahe, wie es Altbundespräsident Horst Köhler einmal formuliert hat?

Nein. Die Bundeswehr wird in der Gesellschaft verankert, indem es Nähe zu ihr gibt, wo sie stationiert ist. Da ist häufig eine enge Bindung zur Bevölkerung gegeben.

Wie wird sich die Gesellschaft durch Corona verändern?

Das ist offen. Wird es mehr Ellenbogen oder mehr Herz geben? Das wird die zentrale Auseinandersetzung im Superwahljahr 2021. Schon jetzt gibt es ein schädliches Corona-Fernduell zwischen den Ministerpräsidenten Söder in Bayern und Laschet in Nordrhein- Westfalen um die Kanzlerkandidatur. Bayern hat mit Abstand die schlechtesten Zahlen bei den Todesopfern und den Infizierten in Deutschland, trotzdem wird Söder wegen seines Auftretens gefeiert. Laschet hat schwere Kommunikationsfehler gemacht und sein Umgang mit dem Fleischproduzenten Tönnies war viel zu unkritisch. Die CDU hätte nie auch nur einen einzigen Euro von Tönnies als Spende annehmen dürfen. Die Bundesregierung war zwar in der Kommunikation Weltklasse, in der Praxis ist sie es leider nicht.

Was läuft falsch?

Wir sehen, wie das Virus die Gesellschaft spaltet. Die Armut nimmt zu, während einige Superreiche fett absahnen. Das Konjunkturpaket der Bundesregierung macht für Kinder und Familien viel zu wenig. Und wir sind erst am Beginn der Krise. Selbst der Nachtragshaushalt von mehr als 200 Milliarden Euro wird nicht reichen. Das hilft jetzt nur für ein halbes Jahr.

Sie sind seit 30 Jahren in der Bundespolitik. Wie wollen Sie es noch erreichen, die Linke in eine Bundesregierung zu bringen?

Ich bin überzeugt, dass die Linke im Superwahljahr 2021 sehr erfolgreich sein kann. Wir müssen Gewicht auf der Waage des Politikwechsels sein und ein zweistelliges Ergebnis erzielen. Ich will, dass es in Deutschland eine Regierung ohne die Union geben wird, damit zum Beispiel die Kinderarmut bekämpft wird, Waffenexporte reduziert werden, ein gerechtes Steuersystem durchgesetzt und das Rentensystem sozial gestaltet wird.

Erhöht es die Chancen der Linken, dass die Kanzlerin für die Union nicht mehr antritt?

Das wird zu erheblichen Verschiebungen in der Parteienlandschaft führen. Wenn den Menschen richtig klar ist, dass Angela Merkel 2021 aufhört, wird der jetzige Hype der Union nicht halten. Im gesamten Osten wird das für die Union deutlich schwieriger werden. Wer ist denn in der vorderen Reihe der Union aus dem Osten? Außer Angela Merkel niemand. Ich habe viel an ihrer Politik zu kritisieren, aber es herrscht bei vielen Menschen eine Haltung vor, dass es ohne sie im Osten und insgesamt schlimmer geworden wäre. Für uns ist das im nächsten Jahr eine Chance. Wir können nach Angela Merkel relevant Stimmen von der CDU gewinnen.

Rheinische Post,