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Foto: Rico Prauss

„Wir wollen die Steuern für die meisten Menschen senken“

Periodika von Dietmar Bartsch, Sahra Wagenknecht,

Weshalb es notwendig ist, endlich von oben nach unten umzuverteilen, und wie man die Macht der Banken begrenzen kann, erläutern die Finanzmarktspezialistin Sahra Wagenknecht und der Haushaltsexperte Dietmar Bartsch.

Obwohl die Krise bisher an Deutschland weitgehend vorbeigegangen zu sein scheint, explodieren die Staatsschulden und betragen mittlerweile mehr als zwei Billionen Euro. Warum?

Sahra Wagenknecht: Man darf nicht vergessen, dass auch in Deutschland Banken mit Steuergeld gerettet wurden, beispielsweise die IKB, die Hypo Real Estate und die Commerzbank.

Dietmar Bartsch: Deutschland hat im Zuge dieser Bankenrettungen Milliardenrisiken übernommen, von denen ein Teil in Schattenhaushalten versteckt wird. Inwiefern diese Risiken haushaltswirksam werden, kann man heute noch überhaupt nicht abschätzen.

Inwiefern ist auch die Steuerpolitik der letzten Jahre für die hohe Staatsverschuldung verantwortlich?

Bartsch: Vereinfacht gesagt resultiert die Hälfte der Staatsschulden in Deutschland aus der Bankenrettung und den Steuergeschenken, die Konzernen und Superreichen gemacht wurden. Wir brauchen höhere Einnahmen für Schulen, Krankenhäuser und vieles mehr. Die Annahme, dass die Einnahmen steigen, wenn man die Steuern senkt, hat sich nicht bewahrheitet.

Aber die Steuereinnahmen in Deutschland sind so hoch wie nie.

Bartsch: Das ist ein normaler Effekt: Allein wegen der Inflation steigen in jedem Land die Steuereinnahmen. Wichtiger ist aber zu schauen, wer welche Steuern zahlt. Bei der Besteuerung von Vermögen und hohen Einkommen ist Deutschland weit hinten.

Wagenknecht: Mehr als die Hälfte des Steueraufkommens in Deutschland resultiert allein aus Lohnsteuer und Mehrwertsteuer. Dazu kommen viele weitere Verbrauchssteuern. Die treffen Hartz-IV-Beziehende, Rentnerinnen und Rentner und Menschen mit wenig Einkommen besonders hart. Nicht die Reichen, sondern die Mittelschicht und die Ärmeren schultern den größten Teil der Steuerlast.

Zusätzlich mehr als 180 Milliarden Euro Steuern im Jahr soll das Konzept der Fraktion DIE LINKE bringen. Müssen sich Bürgerinnen und Bürger vor Steuererhöhungen fürchten?

Bartsch: Nein, denn wir wollen die Steuern für die meisten Menschen senken. Menschen mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von bis zu 68.000 Euro würden von unserem Steuerkonzept profitieren. Aber große Einkommen wollen wir stärker besteuern als bisher.

DIE LINKE will den Spitzensteuersatz auf 53 Prozent anheben und Einkommen oberhalb von einer Million Euro im Jahr sogar mit 75 Prozent besteuern.

Wagenknecht: Wer viel Geld verdient, kann auch mehr zahlen als bisher. Übrigens lag der Spitzensteuersatz zu Beginn der Bundesrepublik sogar bei 95 Prozent.

DIE LINKE will auch Vermögen stärker besteuern. Welcher Vorschlag ist der wichtigste?

Bartsch: Wir wollen Reichtum gerecht umverteilen. Die Millionärssteuer ist das Wichtigste: Privatvermögen, die größer als eine Million Euro sind, sollen mit fünf Prozent besteuert werden …

Wagenknecht: … was relativ moderat ist. Die Vermögen der Millionäre sind in den letzten Jahren um durchschnittlich acht Prozent jährlich gestiegen.

Bartsch: Wir wollen außerdem eine Finanztransaktionssteuer einführen und
bei der Unternehmensbesteuerung zulegen. Mir liegt besonders eine grundsätzliche Reform der Erbschaftssteuer am Herzen, schließlich werden in den nächsten Jahren rund 2,6 Billionen Euro vererbt. Deutschland nimmt zurzeit jährlich nur vier Milliarden Euro an Erbschaftssteuer ein. Hätten wir eine Erbschaftssteuer wie in den USA, wäre es zehnmal so viel.

Inwiefern trägt eine Millionärssteuer dazu bei, die Spekulation an den Finanzmärkten einzudämmen?

Wagenknecht: Seit Jahren sammelt sich immer mehr Vermögen in immer weniger Händen. Diese Geldvermögen werden zwar auch für Yachten und Luxuswagen ausgegeben, der größte Teil aber wird genutzt, um auf den Finanzmärkten zu spekulieren. Eine Millionärssteuer würde diese Vermögenskonzentration etwas einschränken und das Spielgeld für die Finanzmärkte begrenzen.

Ist es nicht sinnvoll, zunächst Steuern wirksamer einzutreiben? Laut Schätzungen entgehen Deutschland wegen Steuerhinterziehung und Steuerflucht 100 bis 150 Milliarden Euro an Einnahmen pro Jahr.

Wagenknecht: Es ist ein Skandal, dass deutsche Banken, auch solche, an denen der Staat beteiligt ist, reichen Leuten helfen, ihr Geld in Steueroasen zu verstecken. Die Regierung behauptet, man müsse mit der Schweiz oder Luxemburg verhandeln. Die USA haben einen anderen Weg gewählt: Sie haben Kredit- und Finanzinstitute verpflichtet, jede grenzüberschreitende Kontobewegung von US-Bürgern an die Finanzbehörden zu melden. Wer das nicht tut, muss mit drastischen Strafen rechnen – bis hin zum Entzug der Lizenz. Das hätte die Bundesregierung längst durchsetzen können.

Bartsch: Wir brauchen auch mehr Steuerfahnder und mehr Steuerprüfer. Es kann nicht sein, dass viele kleine Unternehmen mindestens alle zwei Jahre von der Steuerprüfung aufgesucht werden, in den großen Unternehmen aber selten geprüft wird.

Wie hart sollte Steuerbetrug bestraft werden?

Bartsch: In jedem Fall konsequenter als bisher. Die Strafbefreiung bei einer Selbstanzeige wegen Steuerbetrugs gehört abgeschafft. Dazu haben wir aktuell einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Selbstverständlich muss es auch bei Steuerhinterziehung eine Bagatellgrenze geben.

Wagenknecht: Hierbei sollte man unterscheiden zwischen einem Versehen und vorsätzlichem Betrug. Wer sein Geld in der Schweiz versteckt, will betrügen. Das sollte dann auch als vorsätzlicher Betrug bestraft werden.

Nach der Pleite von Lehman Brothers sollten die Finanzmärkte reguliert werden. Passiert ist bisher sehr wenig. Wie unabhängig ist die Politik vom Einfluss der Banken?

Wagenknecht: DIE LINKE ist unabhängig von dem, was sich Banken wünschen. Alle anderen Parteien im Bundestag dagegen werden in Größenordnungen von mehreren Millionen Euro von Banken und Versicherungen finanziert, man könnte auch sagen: geschmiert. Spenden von Unternehmen an Parteien müssen deshalb verboten werden.

Bartsch: Der englische Spruch „too big to fail“ ist das Ende von Politik: Wenn man sagt, dass die Deutsche Bank zu groß ist, um sie bankrottgehen zu lassen, dann hat man bereits verloren. Die Politik muss sich befreien von den Banken.

Wagenknecht: Dazu gehört, dass wir zu einem anderen System der Staatsfinanzierung kommen. Im Moment werden Staatsschulden von Investmentbanken vermittelt und sind Spekulationsobjekt der Finanzmärkte. Diese Abhängigkeit von Investmentbanken, Rating-Agenturen und Hedgefonds muss überwunden werden. Denn wenn Politik nicht mehr um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger, sondern um das der Finanzmafia werben muss, ist die Demokratie abgeschafft.

„Wer Demokratie will, muss die Finanzmafia entmachten“, sagt Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. Besteht überhaupt noch Hoffnung?

Bartsch: Ja, wir kämpfen weiterhin dafür, dass die Finanzmärkte wirksam reguliert werden. Und wir setzen uns auch künftig dafür ein, dass die Banken auf ihre eigentliche Aufgabe zurückgeführt werden: die Ersparnisse von Bürgerinnen und Bürgern verwahren, Kredite vergeben und den Zahlungsverkehr sichern.

Das Interview führte Ruben Lehnert.

Sahra Wagenknecht ist 1. Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE,

Dietmar Bartsch ist stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE.