Zum Hauptinhalt springen

„Wir wollen die Bundesregierung in Zugzwang bringen“

Im Wortlaut von Martina Bunge,

Parlamentarier starten Gesetzesinitiative für mehr Nichtraucherschutz

Berlin. Die Bundesregierung wird offenbar schon bald gezwungen sein, mehr für den Schutz von Nichtrauchern zu tun. Peter Koard unterhielt sich mit der Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Martina Bunge (Linkspartei), die zu den Initiatoren eines Gruppenantrages gehört.

Freie Presse: Ist Deutschland die letzte Raucherinsel Europas?

Martina Bunge: Deutschland steht ziemlich alleine. Und nach dem die Bundesregierung offenbar mit ihrer Klage beim Europäischen Gerichtshof gegen das von Brüssel verlangte Werbeverbot für Tabakwaren scheitern wird, hat sich Deutschland noch mehr isoliert.

Freie Presse: Warum denkt Deutschland, eine Sonderrolle spielen zu können?

Bunge: Die Zigarettenindustrie hat neben dem Pharmabereich die wohl stärkste Lobby. Die versuchte Einflussnahme auf die Abgeordneten und damit auf die Gesetzgebung ist beispiellos. Dem kann sich offenbar selbst die Bundesregierung nicht entziehen. Denn sonst ware das Verbraucherschutzministerium bei dem Tabakwerbeverbot längst Brüssel gefolgt und hätte nicht erst den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg bemüht. Es ist ein eigenartiges Politikverständnis, sich immer hinter Gerichtsentscheidungen verstecken zu wollen. Offenbar fehlt Verbraucherschutzminister Horst Seehofer der Mut, selbst Entscheidungen zu treffen.

Freie Presse: Sie gehören zu den Initiatoren eines interfraktionellen Gruppenantrages, mit dem der Bundesregierung beim Nichtraucherschutz Beine gemacht werden sollen.

Bunge: Mir wäre es lieb gewesen, die Bundesregierung hätte von sich aus ein Gesetz für ein Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen und an Arbeitsplätzen auf den Weg gebracht. Es ist ein Unding, dass immer noch in Krankenhäusern geraucht werden darf. Denn wie schädlich Rauchen und auch das Passivrauchen ist, darüber gibt inzwischen keinen Streit mehr. Da aber die Bundesregierung bislang kein Gesetz vorgelegt hat, muss die Initiative aus dem Parlament kommen. Passionierte Raucherländer wie zum Beispiel Spanien, Italien oder Irland haben längst so ein Gesetz, und der Umsatz in den Gaststätten ist nicht zurückgegangen, im Gegenteil.

Freie Presse: Wie groß ist das Echo auf den Gesetzesantrag?

Bunge: Wir haben viel Zustimmung. Zunächst sind 31 Unterschriften für den Antrag nötig, und ich gehe davon aus, dass wir auch eine große Mehrheit im Bundestag für den Gesetzentwurf erhalten. Es hat ein Umdenken über das Rauchen eingesetzt. Es haben alle Fraktionen, außer der FDP, Zustimmung signalisiert. Noch bis Ende dieses Jahres sollte der Antrag verabschiedet werden, damit das Gesetz Mitte 2007 das Parlament passieren kann. Wir wollen die Bundesregierung in Zugzwang bringen.

Freie Presse: Handeln Sie nicht dem Finanzminister zuwider, der fest mit den Einnahmen der Tabaksteuer rechnet?

Bunge: Das lässt sich nicht vergleichen, aber die Gesundheitskosten für die Behandlung der Folgen des Rauchens liegen um ein Vielfaches höher als die Steuereinnahmen des Finanzministers. Durch Rauchen sterben jährlich mehr Menschen als durch Verkehrsunfälle, Morde und Selbstmorde sowie durch den Drogenkonsum zusammen. Hinzu kommen die Tausenden, die durch das Passivrauchen erkranken und behandelt werden müssen. Nichtraucherplätze im Restaurant könnten künftig - wie schon in einigen anderen Ländern Europas - nicht die Ausnahme bilden, sondern zur Regel werden.

Freie Presse, 14. Juni 2006