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»Wir sind bereit zu kämpfen«

Periodika,

Deutsche und französische Conti-Beschäftigte wehren sich gemeinsam gegen Massenentlassungen.

Zwischen Hans-Joachim Nikolin und Jürgen Scharna stehen die Zeichen auf Kampf. Nikolin ist Vorstandsmitglied des Reifenherstellers Continental, Scharna arbeitet als Betriebsrat. Im März hatte Nikolin angekündigt, dass die Produktion im Werk Hannover-Stöcken und im französischen Clairoix eingestellt und 1900 Arbeitsplätze bis Ende 2009 gestrichen werden.

Scharna weiß, dass es für die betroffenen Menschen um die Existenz geht. „Wenn hier keine Lkw-Reifen mehr produziert werden, haben die Leute kaum Chancen auf einen neuen Arbeitsplatz“, sagt der 49-jährige Schlosser. Das Durchschnittsalter bei Conti beträgt 45 Jahre. Zurzeit benötigt kein Unternehmen Produktionsarbeiter. Für diese Menschen heißt die Perspektive Hartz IV.

Continental ist kein Einzelfall. 38 Prozent der Beschäftigten in Deutschland haben Angst um ihren Job. Im Vorjahr war die Arbeitslosenzahl im April noch um 140000 gesunken, dieses Jahr nur noch um 28000. Und zwischen Januar und März wurden 1,66 Millionen Lohnabhängige auf Kurzarbeit gesetzt.

Bei Conti haben sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegen die Pläne des Vorstands gewehrt. In Frankreich streikten die Arbeiter. In Hannover fanden Demonstrationen statt. Zur Conti-Aktionärsversammlung am 23. April in Hannover vereinte sich erstmals der Widerstand aus beiden Ländern: Deutsche und französische Conti-Mitarbeiter demonstrierten fantasievoll verkleidet und zündeten bengalische Feuer. „Tous ensemble - alle zusammen!“, das war die Losung des Tages.

„Die französischen Kollegen haben uns vorgemacht, wie es geht“, sagte ein Conti-Vertrauensmann. Nach den Protesten bei Conti hat sich der Vorstand von kompletten Werks-schließungen in Hannover und Clairoix vorerst verabschiedet. Auf der Aufsichtsratssitzung im Juni soll ein neuer Plan beraten werden. Jürgen Scharna ist skeptisch. Er befürchtet, dass der Stellen-abbau nur über einen längeren Zeitraum gestreckt werden soll.

Die Bundesregierung hat mittlerweile eingestehen müssen, dass die deutsche Wirtschaft in die-sem Jahr um sechs Prozent schrumpft. Sie kalkuliert mit 3,7 Millionen Arbeitslosen am Ende des Jahres. Für das Jahr 2010 liegen die Schätzungen bei 4,6 bis 4,7 Millionen Menschen ohne Lohnarbeit. Das ganze Ausmaß der Krise ist in Deutschlandaber noch nicht sichtbar. Arbeitsmarktexperte Prof. Klaus Dörre rechnet mit ersten Massenentlassungen im Sommer. „Dann haben wir an-dere Verhältnisse“, sagt er. Hierzulande verzögere noch das Instrument der Kurzarbeit den Abschwung am Arbeitsmarkt.

Die deutsche Belegschaft von Conti hat bisher keine große Erfahrung mit Arbeitskämpfen. In der Chemieindustrie dominierte bisher die Sozialpartnerschaft von Unternehmen und Gewerkschaft. Das ändert sich nun möglicherweise. Aus der Belegschaft werden die Betriebsräte immer häufiger gefragt: „Wann legen wir los wie in Frankreich?“ Und Scharna ist sich sicher: „Wenn den Kollegen das Messer an die Kehle gesetzt wird, sind sie bereit zu kämpfen.“