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Wir müssen neue Wege gehen

Interview der Woche von Bodo Ramelow,

Interview mit Bodo Ramelow zur Föderalismusreform II

Sie sind Mitglied der „Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder Finanzbeziehungen“. Wie man liest, wird dort über „Schuldenbremsen“ im Grundgesetz, mehr Steuerwettbewerb zwischen den Ländern, den Länderfinanzausgleich und vieles andere mehr diskutiert - was hat das alles mit dem Alltag der Menschen zu tun?

Schuldenbremse ist doch nur ein unverfänglicheres Wort für Sparzwang per Gesetz. Bund und Länder sollen per Grundgesetzänderung verpflichtet werden, weniger Kredite aufzunehmen. Steuerwettbewerb meint, dass die Länder künftig Zu- oder Abschläge auf die Lohn- und Einkommenssteuer erheben können sollen. Wenn dann die Einnahmen einbrechen, weil wieder einmal Steuergeschenke an die Besitzenden verteilt werden oder die Konjunktur sich abschwächt, müssen die Länder und Kommunen einer falschen Politik hinterhersparen oder Zuschläge auf die Lohnsteuer erheben. Diese Art von Föderalismusreform birgt das Risiko, dass zum einen ein neues Niveau beim Kürzen von erreicht wird und dass sich zum anderen die unsolide Finanzpolitik von CDU und SPD direkt an den Arbeitnehmereinkommen schadlos hält.

Stehen sie da mit Ihrer Kritik nicht allein?

Wir haben ein hohes Maß an Übereinstimmung mit Kritiken, die der DGB-Bundesvorstand am bisherigen Stand der Debatte in der Kommission übt. Es gibt nach meiner Beobachtung keine Fraktion außer uns, die sich positiv auf die DGB-Positionen bezieht. Der DGB weiß natürlich auch, dass Steuerwettbewerb in Deutschland den Druck auf den Flächentarif erhöht. Wenn es landesspezifische Zuschläge auf die Lohnsteuer gibt, mindert das natürlich den Wert von Gehaltserhöhungen. Sie könnte dann z.B. in Thüringen weniger wert sein als in Bayern. Und der DGB weiß genau, dass große Zukunftsinvestitionsprogramme für Wachstum und Beschäftigung nicht ohne Schuldenkomponente funktionieren.

Aber ist die wachsende Staatsverschuldung nicht auch ein Problem der Generationengerechtigkeit?

Natürlich. Aber man muss sie in den Zusammenhang der gesamten Vermögensverteilung in der Bundesrepublik stellen. Dass der Staat den kommenden Generationen so viele Schulden hinterlässt, hat doch auch etwas mit der Privilegierung der Besitzenden in der Steuerpolitik zu tun. Jedes Jahr werden in Deutschland allein 200 Milliarden Euro privat vererbt. Private Vermögen und Kapital tragen immer weniger zur Finanzierung des Gemeinwesens bei. Es ist bezeichnend, dass diejenigen, die am lautesten vor dem Marsch in den Schuldenstaat warnen, zugleich am vehementesten für die Fortsetzung einer entgrenzten Steuersenkungspolitik eintreten, die für die Misere der Staatsfinanzen verantwortlich ist. Ein unterfinanziertes öffentliches Bildungssystem ist ebenfalls ungerecht und belastet künftige Generationen. Worüber wir aber reden müssen, ist ein Entschuldungspakt für die Länder. Dazu gibt es ja inzwischen eine Reihe von Vorschlägen. Den bislang weitreichendsten hat der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Carstensen gemacht: Der Bund soll Altschulden und Zinsbelastungen im Austausch gegen Mehrwertsteueranteile übernehmen. Wir gehen ausführlich auf diese und andere Vorschläge in dem Positionspapier von Axel Troost und mir Föderalismusreform II für Einstieg in Entschuldung und nationalen Bildungspakt nutzen ein.

Welche Probleme muss die Föderalismusreform II Ihrer Meinung nach noch anpacken?

Die Generationengerechtigkeit, die wir meinen, wirft demzufolge die Frage auf, was eine Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen für eine verbesserte Finanzierung öffentlicher Bildung tun kann. Handlungsbedarf gibt es genug. Derzeit geben Bund, Länder und Kommunen mehr als 102 Milliarden Euro für öffentliche Bildung aus. Experten halten dagegen Mehrausgaben von 43 Milliarden Euro für nötig. Angesichts dessen ist doch klar, dass vor allem Länder und Kommunen als die wichtigsten Träger öffentlicher Bildung allein nicht in der Lage sind, den Mehrbedarf zu stemmen. Deutschland liegt beim Anteil des Bruttoinlandsproduktes, der für Bildung ausgegeben wird im OECD-Vergleich weit zurück. Der Durchschnitt liegt bei 5,5 Prozent. Die Bundesrepublik wendet nur etwas mehr als 4 Prozent auf. In einem nationalen Bildungspakt könnten Maßnahmen für eine schrittweise Steigerung der Bildungsausgaben vereinbart werden. Wir müssen hier neue Wege gehen.

Was verstehen Sie unter einem nationalen Bildungspakt?

Wir plädieren für einen nationalen Bildungspakt, wie er unmittelbar anknüpfend an die Kritik des UN-Sonderberichterstatters Munoz von einigen Politikern, z.B. von Cornelia Pieper (FDP), gefordert worden ist. Danach passierte nichts. Jetzt ist Zeit zum Handeln. Ein nationaler Bildungspakt sollte unserer Meinung nach nicht nur die Bildungsausgaben an einen bestimmten Anteil des BIP koppeln. Wir streben hier eine Steigerung auf mehr als 6 Prozent an. Es geht auch darum, dass Bundesländer, die dauerhaft von der vom Wissenschaftsrat empfohlenen Quoten bei der Bildungsbeteiligung nicht erreichen (u.a. Anteil der Abiturienten, Anteil der Absolventen an einem Alterjahrgang), mit haushaltspolitischen Konsequenzen rechnen sollten. Zur Zeit verfehlen alle Bundesländer diese Beteiligungsquoten. Die Studienberechtigungsquote liegt bundesweit bei 42,5 Prozent. Der Wissenschaftsrat hält 50 Prozent für nötig. Die gravierenden Unterschiede, die es hier zwischen den Ländern gibt, berechtigen meines Erachtens von einem Bildungsdumping in Deutschland zu sprechen. Wir haben in einer aktuellen Studie zur Bildungsfinanzierung diesen Missstand ausführlich analysiert. Berlin und die beiden anderen Stadtstaaten sowie Thüringen erreichen Quoten bei der allgemeinen Hochschulreife von um die 30 Prozent. Bayern und Baden-Württemberg kommen dagegen jeweils auf ca. 19 - 21 Prozent. Mit anderen Worten: So wie Berlin und Thüringen heute ausbilden, wird in Süddeutschland morgen eingestellt. Das ist eine Form von Wettbewerbsföderalismus, der nicht weiter belohnt werden darf.

linksfraktion.de, 13. September 2007