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"Wir helfen Beck durch unsere Existenz"

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Linken-Fraktionsvorsitzender Oskar Lafontaine über die Bedingungen für ein linkes Projekt und einen Kanzlerkandidaten Kurt Beck.

Herr Lafontaine, haben Sie den SPD-Bundesparteitag am Wochenende in Hamburg im Fernsehen verfolgt?

Ja, mit großem Interesse. Ich wollte sehen, ob sich wirklich etwas ändert.

Und Ihr Eindruck: Findet die SPD zu sich selbst zurück?

Das sehe ich nicht. Es bleibt doch der eklatante Widerspruch, dass sich die SPD im Grundsatz von Hartz IV und Agenda 2010 überhaupt nicht verabschiedet hat und das offenbar auch nicht will.

Für die Linkspartei besteht also kein Handlungsbedarf? Oder muss sie auf die neue Kursbestimmung der Sozialdemokraten reagieren?

Wir werden unsere Politik weiter verfolgen. In Kernfragen der gesellschaftlichen Fehlentwicklungen, der Zerstörung der Rentenformel und der Gesetze, die ständig Lohnsenkungen erzwingen, bleiben die Sozialdemokraten bei ihrer falschen Politik. So lange die Rutschbahn der Löhne nach unten nicht beseitigt ist und so lange die Rentenformel nicht wieder hergestellt wird, sehe ich keinen Kurswechsel. Und schon gar keine Chancen für ein gemeinsames linkes Projekt. Dazu wären wir bereit, wenn diese Strukturfehler beseitigt werden und die SPD in der Außenpolitik wieder zurückkehrt zur Friedenspolitik Willy Brandts.

Ihr Ko-Fraktionschef Gregor Gysi sagt, dass die Unterschiede zwischen der SPD und der Linken kleiner würden. Teilen Sie diese Einschätzung?

Die Bewegungen der SPD nach links sind leise und vorsichtig. Schlüssig ist es nicht, die Schröder-Politik zu preisen und die Folgen dieser Politik zu beklagen.

Die Linkspartei könnte durch die SPD-Debatten dennoch nach links abgedrängt werden, oder?

Diese Gefahr sehe ich nicht.

Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hat die Debatte um eine Verlängerung der Arbeitslosengeld-I-Zahlungen für ältere Arbeitnehmer vorangetrieben. Lohnt es sich für die Linkspartei, Beck zu unterstützen?

Die Linkspartei hilft ihm und der SPD durch ihre Existenz. Ohne die Linkspartei hätte Beck die bescheidenen Korrekturen, die die SPD jetzt beschlossen hat, nicht ins Auge gefasst. Man sieht, je stärker die Linke, um so sozialer wird Deutschland. Auf der anderen Seite hat die SPD mit der Forderung nach Senkung der Arbeitslosenbeiträge einen neuen Beschluss zur Umverteilung gefasst: Den Unternehmen schenkt man so ohne Not drei Milliarden. Die Arbeitnehmer zahlen zwar auch weniger Beitrag, dafür gibt’s weniger Geld für Arbeitslose.

Noch einmal zum Typ Kurt Beck, der ganz anders ist als etwa Gerhard Schröder. Wäre Kurt Beck denn ein guter SPD-Kanzlerkandidat?

Das muss die SPD entscheiden. Beck hat selbst die Behauptung, er rücke nach links, als hanebüchen bezeichnet. Wenn er das ernst meint und bei der Agenda-Politik bleibt, ist eine Politik der sozialen Gerechtigkeit von ihm leider nicht zu erwarten.

Könnte die SPD einen Oskar Lafontaine gut gebrauchen?

Sie hat Beck, sie hat Müntefering, sie hat Struck.

Das Gespräch führte Matthias Meisner.

Der Tagesspiegel, 29. Oktober 2007