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»Wir haben allen Grund, dieses Jahr für Frieden zu demonstrieren«

Interview der Woche von Gregor Gysi,

Im Interview der Woche spricht Gregor Gysi über die Aktualität der Ostermärsche, die drängenden Richtungsfragen der Außenpolitik, die Bedeutung Russlands, weshalb DIE LINKE Bastion für konsequente Friedens- und Abrüstungspolitik bleiben wird und weshalb sozialer Friede ein so unschätzbar hohes Gut ist.

 

Diese Woche steht im Zeichen der Ostermärsche, bei denen tausende Menschen auch in diesem Jahr wieder gegen Kriege und für Frieden und Abrüstung demonstrieren. Ein Ritual?

Gregor Gysi: Wir haben gerade in diesem Jahr allen Grund, wieder verstärkt für den Frieden weltweit zu demonstrieren. Zunächst haben ja Mitglieder dieser Bundesregierung und der Bundespräsident proklamiert, die außenpolitische Zurückhaltung endlich aufzugeben und auch die militärische Karte, mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr, zu spielen. Das ist der völlig falsche Weg.

Es ist höchst aktuell, entschieden dagegen zu demonstrieren, dass die Nato nach 1990 zu einem Interventionsbündnis ausgebaut wurde. Die Krim-Krise nimmt die Nato zum Anlass, Russland, dessen Entscheidungen wir auch kritisieren, zum Feindstaat zu erklären und die bisherige militärische Abstinenz in den osteuropäischen Nato-Ländern aufzugeben. Säbelrasseln und militärische Drohgebärden sind Maßnahmen, zusätzlich Öl ins Feuer eines gefährlichen Konflikts zu gießen. Notwendig ist dagegen, die Diplomatie zu stärken, um eine friedliche Lösung des Konflikts in und um die Ukraine zu erreichen. Europa hat nur eine sichere Zukunft mit und nicht gegen Russland, bei aller Kritik, die man an der russischen Krim-Politik üben muss.

Ihre Fraktion ist so etwas wie die letzte parlamentarische Bastion für konsequente Friedens- und Abrüstungspolitik. Wie ordnen Sie da die Debatte in Ihrer Fraktion um den Bundeswehreinsatz zur Vernichtung syrischer Chemiewaffen ein?

Sie wird diese Bastion auch bleiben, denn wir sind uns im Kern bei der Entscheidung über den Einsatz eines Begleitschiffes der Bundesmarine bei der Vernichtung syrischer Chemiewaffen einig: Wir begrüßen und unterstützen selbstverständlich die Vernichtung der Chemiewaffen, die endgültig in Deutschland vollständig entsorgt werden. Das ist ein wichtiger Schritt zur Abrüstung, über den auch andere Länder, die diese Waffen besitzen, nachdenken sollten. Und es bleibt beim klaren Nein zu Kriegseinsätzen der Bundeswehr.

Umstritten ist lediglich die Teilnahme der Bundeswehr, für die es gute Argumente dafür, aber auch dagegen gibt. Dafür spräche, dass es sich um eine Zustimmung zu einer Abrüstungsmaßnahme, also des Gegenteils von Krieg, handelt. Dagegen, dass es sich lediglich um eine eher symbolische Maßnahme handelt, und dass Russland infolge der Ukraine-Krise hier nicht daran beteiligt wird.

Unsere Abgeordneten stimmten mehrheitlich mit Nein und Enthaltung, einige auch mit Ja. Das ist nicht weiter tragisch, da es eben nicht um die Billigung eines Kriegseinsatzes ging.

Die Bundesregierung will mehr Transparenz in Bezug auf deutsche Rüstungsexporte schaffen. Reicht das, was geplant ist, aus?

Nein. SPD und Union haben in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen, die deutschen Rüstungsexporte nicht zu beschränken. Zwar soll die Öffentlichkeit jetzt etwas früher über die Exporte informiert werden, aber tatsächliche Einschränkungen - wie zum Beispiel ein Verbot von Kleinwaffen-Exporten, oder wenigstens ein Verbot, Diktatoren zu beliefern - wurden nicht beschlossen. Die angeblich strengen Rüstungsexport-Regeln aus dem Jahr 2000 sind so butterweich, dass sie den Aufstieg Deutschlands zum drittgrößten Waffenexporteur der Welt ermöglicht haben. Selbst Panzerlieferungen nach Saudi Arabien sollen nach wie vor erlaubt sein. Selbst die beschlossenen Transparenzregeln sind völlig unzureichend. Zum einen unterrichtet die neue Bundesregierung die Abgeordneten so unzureichend, dass Bundestagspräsident Lammert den zuständigen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ermahnen musste, endlich seinen Pflichten gegenüber dem Parlament nachzukommen. Außerdem erklärte die große Koalition, künftig die Entscheidungen des Bundessicherheitsrates öffentlich zu machen, allerdings ohne die so genannten Voranfragen. Aber genau die machen das Gros der Entscheidungen des Bundessicherheitsrates aus. Die berüchtigten Panzerlieferungen nach Saudi Arabien würden also auch weiter geheim bleiben.

Wir müssen endlich durchsetzen, dass Rüstungsexporte gänzlich verboten werden, auch die Ausfuhren von so genannten Kleinwaffen wie Gewehre, Pistolen, Handgranaten usw., bei denen Deutschland sogar den zweiten Platz hinter den USA einnimmt.

Sie haben Edward Snowden für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Jetzt gibt es einen NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag. Wird Snowden hier aussagen?

Zunächst müsste dies der Untersuchungsausschuss ja beschließen, und das ist keinesfalls sicher. Wenn er es beschlösse, dann stellt sich die Frage, wo er aussagen sollte. Direkt vor dem Ausschuss hier in Berlin? Oder in Moskau? Sollte die Zeugenvernehmung in Berlin erfolgen, dann muss Edward Snowden der Schutz seiner Person zugesichert und seine Auslieferung an die USA unter allen Umständen ausgeschlossen werden. Wenn er diese Sicherheitsgarantien nicht verbindlich erhält, wird er in Deutschland nicht aussagen, und es wäre auch nicht ratsam.

Frieden ist nicht nur ein außenpolitisches Thema. In vielen Ländern Europas brodelt es gewaltig. Die Kürzungspolitik, die EU und Troika insbesondere Ländern in Süd- und Südosteuropa verordnet haben, stellt die Gesellschaften dieser Länder auf eine harte Probe. Welchen Stellenwert hat sozialer Frieden in Europa?

Sozialer Friede ist ein hohes Gut, dass durch die Troika-Auflagenpolitik schwer beschädigt wurde und wird. Politisch profitieren davon auch rechte und rechtspopulistische Parteien, die die tiefen sozialen Krisen für sich zu nutzen wissen, die Europäische Union bekämpfen und zurück zu den Nationalstaaten wollen. Auf der anderen Seite muss die europäische Linke für ein wirklich demokratisches und soziales Europa der Bevölkerungen kämpfen, für ein Ende der Austeritätspolitik und für ein europaweites Aufbauprogramm.

Um soziale Menschenrechte ging es auch in der Debatte um vermeintliche "Armutszuwanderung". Wie konfliktgeladen ist unsere Gesellschaft? Wie schaffen wir es, solidarischer zu sein – hier und in Europa?

Rassismen und Antisemitismus nehmen zu. Sie sind sogar, die Wahlen in Ungarn haben es in erschreckendem Maße gezeigt, fast mehrheitsfähig. Aber es sind nicht die Sinti und Roma in Ungarn, nicht die wenigen bulgarischen und rumänischen Migrantinnen und Migranten, die als EU-Bürgerinnen und Bürger das gleiche Recht der Freizügigkeit für sich in Anspruch nehmen wie deutsche Staatsbürgerinnen und –bürger, die in einem anderen Land der EU leben möchten, die für die sozialen und wirtschaftlichen Krisen verantwortlich gemacht werden dürfen, sondern es ist eine herrschende neoliberale Politik, die die Kluft zwischen arm und reich ständig vergrößert, die die Banken mit Milliardensummen rettet und die Kosten den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern auferlegt. Kurz: Wir müssen deutlich machen, dass die Verschlechterung der Lebensbedingungen, die niedrigen Löhne, die Zunahme prekärer Beschäftigung, die niedrigen Renten und die hohe Arbeitslosigkeit nicht von Zuwanderung verursacht wurden, sondern einer Politik der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben. Auch Arme sollten lernen, nicht zur Seite, sondern nach oben zu schauen.

linksfraktion.de, 14. April 2014