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Wir brauchen eine andere Einstellung zu Steuern!

Im Wortlaut von Barbara Höll,

Beitrag in der Reihe: Was ist systemrelevant?

Von Barbara Höll, steuerpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag




Das Steuersystem ist ein wichtiger Teil des Gesamtsystems. Sind Steuern systemrelevant? Die Antwort lautet eindeutig ja. Denn sie schaffen die Grundlage unseres öffentlich-rechtlichen Gemeinwesens. Ist diese Grundlage gefährdet, sind zum Beispiel die Steuereinnahmen zu gering oder die Ausgaben zu hoch, dann kann es systemische Krisen geben. Notwendige Investitionen bleiben aus, im schlimmsten Fall kann ein Land zahlungsunfähig werden. Dies hängt aber von einer Vielzahl von Faktoren ab.

Damit das Steuersystem funktioniert, bedarf es in personeller wie technischer Hinsicht eines großen Aufwandes. Etliche Steuerexperten – darunter verstehe ich vorwiegend Finanzbeamte, Lohnsteuerhilfevereine und auch Buchhalter – sowie eine ordentliche technische Infrastruktur sind dafür notwendig. Sollten diese Personengruppen ihre Arbeit für einen Monat einstellen oder gäbe es einen großen Crash im Bereich der Technik, hätte dies sicherlich negative Auswirkungen auf unser Steuersystem und damit auf die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Gemeinwesens. Hätten hingegen Steuerberater vier Wochen gleichzeitig Urlaub, würde das sicherlich nur wenigen unmittelbar auffallen und Prozesse nur etwas in die Länge ziehen.

20 Prozent der Deutschen besitzen 82 Prozent des gesamten Geldvermögens

Steuern sind wichtig, denn sie sind die Haupteinnahmequelle des Gemeinwesens. Mit ihnen bezahlen wir die genutzte öffentliche Infrastruktur wie zum Beispiel Schulen, Kitas, Universitäten, Straßen, Museen und vieles mehr. Jede und jeder trägt mit ihren bzw. seinen Steuern zum Funktionieren unseres Gemeinwesens bei. Wer jedoch wie viel beiträgt, ist eine Frage politischer Entscheidungen und eine Frage sozialer, aber auch individueller Gerechtigkeit. Die Ausgestaltung unseres derzeitigen Steuersystems führt jedoch zu ungleichen Belastungen, wobei insbesondere Kapitaleinkommen (durch die Abgeltungsteuer) sowie hohe Einkommen und Vermögen geschont werden.

Die Folgen sind gut ersichtlich, wenn man sich die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverteilung anschaut – seit Jahren sammelt sich immer mehr Vermögen und Einkommen in den Händen immer weniger. So besitzen heute 20 Prozent der Deutschen 82 Prozent des gesamten Geldvermögens. Diese Entwicklung wird zunehmend in der breiten Masse der Bevölkerung, darunter auch etliche Millionäre, kritisiert. Es wird die Wiedererhebung der Vermögensteuer (seit 1997 ausgesetzt) und eine höhere Besteuerung von hohen Einkommen gefordert, selbst das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist unter den Befürwortern.

Die Senkung des Einkommensspitzensteuersatzes von 53 auf 42 Prozent, die Senkung des Körperschaftssteuersatzes von 25 auf 15 Prozent, die Aussetzung der Vermögensteuer sowie auch die steuerliche Privilegierung energieintensiver Unternehmen haben die Finanzkraft des Gemeinwesens in den letzten Jahren geschwächt. Dem Gemeinwesen sind im Zeitraum von 2000 bis 2012 durch Steuerrechtsänderungen rund 440 Milliarden Euro an Steuereinnahmen entgangen (steuerreformbedingte Ausfälle aufgrund Steuergesetzesänderungen seit 1998). Geld, das für Schulen, Kitas, Straßen, Energiewende und anderes dringend benötigt wird.

Staatliche Untätigkeit ermöglicht legale Steuerumgehung und illegale Steuerhinterziehung

Doch nicht nur national herrscht großer Unmut über die deutsche Steuerpolitik, auch international wird Deutschland kritisiert, da es mit seiner Niedrigsteuerstrategie und geringen Löhnen andere europäische Partner enorm unter Druck setzt. Hinzu kommt eine staatliche Untätigkeit, die die legale Steuerumgehung und die illegale Steuerhinterziehung als Kavaliersdelikte abgetan hat. Das darf nicht sein! Die Politik wird mit der Stimmabgabe bei Parlamentswahlen beauftragt, dass von Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen erwirtschaftete Steuergeld zu verwalten – im Sinne der Allgemeinheit. Und hier haben die Regierungen in den vergangenen Jahren kläglich versagt. Statt Vermögen wieder zu besteuern und hohe Einkommen höher zu besteuern, wurde zum Beispiel die Mehrwertsteuer auf 19 Prozent angehoben – eine Steuer, die vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen trifft.

Ein weiterer und wichtiger Aspekt bei der Diskussion, ob Steuern systemrelevant sind, ist die individuelle Einstellung zu Steuern: Wir brauchen eine andere Einstellung zu Steuern!

Steuereinnahmen sind die Basis unserer demokratischen Gesellschaft und für ihr Funktionieren fundamental. Dazu gehört aber auch ein als gerecht empfundenes Steuersystem. Derweil empfinden rund 86 Prozent der Befragten unser Steuersystem als ungerecht, die Ursachen sind sicherlich vielfältig, einige habe ich oben bereits angesprochen. Ein gerechtes System zeichnet sich dadurch aus, dass Steuereinnahmen eben im Sinne der Allgemeinheit eingesetzt werden und dort Steuern erhoben werden, wo es verkraftbar ist und einer ungleichen Entwicklung von Einkommen und Vermögen entgegengewirkt werden kann. Das wäre der beste Garant dafür, dass es nicht nur eine staatsbürgerliche Pflicht wäre Steuern zu zahlen, sondern vor allem ein Recht sowie eine Ehre.

Im Übrigen würden heutzutage Menschen gern Einkommensteuer zahlen, wenn sie denn nur könnten. Doch sie verdienen trotz Vollzeitjob so wenig, dass sie nicht auch noch Steuern zahlen können. Und fast alle anderen haben das Gefühl, zu viel Steuern zahlen zu müssen. Und hier muss meines Erachtens angesetzt werden. Dazu gehört eine breit angelegte Debatte zum Sinn und Zweck von Steuern. Die Menschen müssen wieder ein Gefühl bekommen, wofür sie Steuern zahlen und dass es sich lohnt. Der Politik obliegt diese schwierige Aufgabe, denn sie ist es, die mit oft nicht nachvollziehbaren Steuergesetzen oder Ausgaben Missmut in der Bevölkerung hervorruft. Auch bedarf es einer Abkehr von der "Geiz ist geil"-Sichtweise in unserer Konsumgesellschaft, denn Konsum ist nicht alles. Steuern sind nicht unbedingt eine Last, sondern sie sind die Basis unserer heutigen Gesellschaft und unseres Wohlstandes. Und wir müssen wissen: Weniger Steuern heißt weniger Wohlstand.

linksfrakton.de, 15. August 2012

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