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»Wir brauchen ein Unternehmensstrafrecht«

Im Wortlaut von Niema Movassat,

Niema Movassat über politische Forderungen nach dem Fabrikeinsturz in Bangladesch, die fehlende Transparenz von Textilunternehmen, das Versagen der Bundesregierung und Möglichkeiten von Verbraucherinnen und Verbrauchern, bei dem üblen Spiel nicht mitzumachen


Mehr als 1100 Menschen sind bei dem Einsturz eines Fabrikgebäudes in Bangladesch ums Leben gekommen.  Darunter sind viele Näherinnen und Näher, die zu Hungerlöhnen für bekannte Unternehmen nähten. Haben Konsumenten derzeit überhaupt eine Chance zu erfahren, unter welchen Bedingungen die Firmen, fertigen, deren Produkte sie kaufen?

Niema Movassat: In der Tat ist es für den Endverbraucher unmöglich, bei jedem Produkt genau nachzuvollziehen, wie es produziert wurde. Wer sehr viel verdient kann vielleicht einen großen Teil seines Textilbedarfs mit zertifizierter Ware decken. Es gibt durchaus Siegel, die bessere Bedingungen garantieren. Für die meisten Menschen in Deutschland ist dies aber derzeit nicht bezahlbar. Die meisten Textilunternehmen haben leider an der mangelnden Transparenz ein Interesse. Denn dadurch können sie weiter machen wie bisher. Leider setzt sich die Bundesregierung gegen diese wirtschaftlichen Interessen nicht durch. Verbindliche gesetzliche Regeln und größtmögliche Transparenz wären aber Grundvoraussetzungen dafür, dass sich endlich etwas ändert.

Garantiert der Kauf teurer Markenartikel, dass Menschen dabei nicht bis aufs Blut ausgebeutet werden?

Es gibt keinen grundsätzlichen Zusammenhang zwischen teurer Markenware und besseren Arbeitsbedingungen vor Ort. Teure Markenhersteller produzieren teilweise in ein und derselben Fabrik wie etwa kik und C&A. Während jedoch manch teurere Ware auch unter etwas besseren Bedingungen entsteht – was nicht heißt, dass die Bedingungen zufriedenstellend sind –, ist es im absoluten Niedrigpreissegment nahezu ausgeschlossen, dass Mindeststandards wie angemessene Löhne und menschenwürdige Arbeitszeiten eingehalten werden.

Was können Verbraucherinnen und Verbraucher tun, die sich teurere Fairtrade-Produkte nicht leisten können?

Sie können Händler boykottieren, die dafür bekannt sind, dass sie nicht an einer Verbesserung der Lage der Arbeiterinnen und Arbeiter vor Ort mitarbeiten. In diesem Zusammenhang möchte ich zum Beispiel kik und C&A nennen, die nicht einmal bereit sind, an der Verbesserung des Brandschutzes in den Fabriken in Bangladesch mitzuarbeiten, anders als einige andere Unternehmen. Verbraucherinnen und Verbraucher können außerdem Parteien wählen, die sich für ArbeitnehmerInnenrechte auch international einsetzen. Besonders glaubwürdig ist DIE LINKE, die seit Jahren Vorschläge für Verbesserungen macht.

Muss es denn so sein, dass Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich mehr für Produkte bezahlen, damit die Arbeiter und Arbeiterinnen angemessen verdienen?

Theoretisch nein. Da der Personalkostenanteil am Endprodukt nur zwischen 0,8 und 1,2 Prozent beträgt, könnte man zum Beispiel die Löhne für Näherinnen auch deutlich erhöhen, ohne dass die Endpreise gravierend steigen würden. Bisher ist es nur leider so, dass Fairtrade-Hersteller so kleine Stückzahlen produzieren, dass sie preislich mit Konzernen wie H&M bei Weitem nicht mithalten können.

Wie realistisch ist es, dass große Ketten durch die Macht der Kunden zum Handeln gezwungen werden?

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass selbst nach Brandkatastrophen mit Hunderten Toten die Verkaufszahlen beispielsweise bei kik nicht einbrechen. Es ist also auch hier müßig, sich auf die Kräfte des freien Marktes zu verlassen. Was wir dringend brauchen, sind gesetzlich verbindliche Regeln für deutsche Unternehmen im Ausland.

Warum geschieht auf politischer Ebene so wenig, um die Arbeitsbedingungen der Menschen in Ländern wie Kambodscha oder Bangladesch zu verbessern?

Weil diese als auch frühere Bundesregierungen den Interessen der deutschen Textilbranche einen höheren Stellenwert einräumen als den Grund- und Menschenrechten der ArbeiterInnen in den Produzentenländern. Man betreibt lieber Wirtschaftsunterstützung und sichert die Profitinteressen der Konzerne statt sich wirklich für Menschenrechte einzusetzen.

Die Unternehmen stellen sich selbst im besten Licht dar und geben vor, auf gute Arbeitsbedingungen zu achten. Wenn es dann Unfälle gibt, weisen sie die Verantwortung weit von sich. Was muss sich ändern?

Ohne Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen gegen rechtlich verbindliche soziale, ökologische und arbeitsrechtliche Mindeststandards werden die Unternehmen der Profitmaximierung immer Vorrang einräumen. Deshalb muss die Politik die Unternehmen gesetzlich zwingen, nicht mehr unter sklavenähnlichen Bedingungen produzieren zu lassen. Und Unternehmen, die Menschenrechte im Ausland verletzt haben, müssen hier in Deutschland anklagbar sein. Dafür brauchen wir die Schaffung eines Unternehmensstrafrechts.

linskfraktion.de, 14. Mai 2013