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»Wichtig wäre eine gesamtdeutsche Vision«

Im Wortlaut von Roland Claus,

 

Von Roland Claus, Ostkoordinator der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Einmal im Jahr gestattet sich die Bundesregierung, die Ost-Brille aufzusetzen und einen Blick auf die Deutsche Einheit zu werfen. Auch in diesem Jahr wieder muss sie zugeben, dass gleichwertige Lebensverhältnisse zwischen Ost und West noch lange Zukunftsmusik bleiben werden.

Die Schere bei der Wirtschaftskraft öffnet sich wieder, denn das ostdeutsche Bruttoinlandsprodukt lag 2013 nur bei 66, 6 Prozent des Westwerts. Im Vorjahr waren es noch 71 Prozent. Die Arbeitslosenzahlen sind trotz sinkender Bevölkerung genauso hoch wie im Vorjahr, es fehlen nach wie vor Konzernzentralen im Osten. Die Einkommen liegen unverändert seit zwanzig Jahren bei 80 Prozent derjenigen in Westdeutschland. Bei fast allen Strukturdaten wie etwa Arbeitslosenquote, Wirtschaftskraft oder Überalterung zeichnen sich auf der Deutschlandkarte die Umrisse der DDR ab.

Auf dem Weg zur Deutschen Einheit, so stellt auch der Bericht fest, herrscht noch immer Handlungsbedarf. Gerade deswegen finde ich es erstaunlich, mit welcher Gleichgültigkeit die Bundesregierung sofort eine unterschiedliche Mütterrente für Ost und West beschlossen und die Ost-Rentenangleichung auf die nächste Legislaturperiode verschoben hat. Von vielen Bundesprogrammen profitiert der Osten nur unterproportional.

Natürlich enthält der Bericht auch die übliche Liste der Fördermaßnahmen, aber diese haben nur geringe Wirkung. Wenn es konkret wird, fällt der Osten meistens hinten runter. Es bleibt abzuwarten, wie die Bundesregierung die ostdeutschen Länder bei den Verhandlungen zu Länderfinanzausgleich und Solidarpakt III stärkt.

Aber es gibt auch eine bemerkenswerte Neuerung am diesjährigen Jahresbericht: Er schlägt nämlich einen neuen wertschätzenden Ton an. Erstmals wird die Leistung der Ostdeutschen gewürdigt, die vielfältigen Umwälzungen im gesellschaftlichen und persönlichen Leben zu meistern. Ich freue mich, dass der Bericht die seit Jahren von mir in diesem Zusammenhang verwendeten Begriffe Erfahrungsvorsprung und Transformationserfahrungen nun auch erstmals aufgreift. Ebenso wohltuend ist es, dass die bislang übliche Polemik gegenüber der DDR kaum noch enthalten ist.

Aber Ost-West-Vereinigungspolitik muss mehr sein als das Vermeiden ungerechter Regelungen, die Beseitigung von Benachteiligungen oder wertschätzende Worte. Wichtig ist auch eine gesamtdeutsche Vision, ein sozial-ökologischer Umbau, der den Blick in die Zukunft wirft und eine wirkliche deutsche Einheit ermöglicht.

linksfraktion.de, 24. September 2014