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Wenn keine Wahl mehr bleibt: Agribusiness im Zeitalter der Digitalisierung

Im Wortlaut von Eva-Maria Schreiber,

Wer durch die Gänge deutscher Supermärkte läuft, wird von der großen Produktvielfalt in den Regalen oft erschlagen. Doch diese Vielfalt ist trügerisch. Denn in Wirklichkeit sind es nur wenige Konzerne, die hinter der Herstellung und dem Vertrieb dieser Lebensmittel stecken. In kaum einem anderen Wirtschaftsbereich ist die Machtkonzentration der Konzerne so stark ausgeprägt wie im Nahrungsmittelsektor. So kontrollieren weltweit allein vier Konzerne den Markt für Spritzmittel – darunter mit Bayer und BASF gleich zwei deutsche Unternehmen –, weitere vier Unternehmen den globalen Getreidehandel. Und im deutschen Einzelhandel teilen sich allein vier Handelsketten (Edeka, Rewe, Aldi, Lidl) 85 Prozent des Marktes auf.

Der Einfluss dieser Konzerne macht längst nicht mehr vor staatlichen Grenzen halt. Ebenso wie Rewe nach Süd- und Osteuropa expandiert, verkauft Bayer seine Pestizide weltweit – und hat erst vor kurzem den US-amerikanischen Gentech-Riesen Monsanto übernommen, zu dem unglaublichen Kaufpreis von 59 Milliarden Euro. Diese Übernahme steht exemplarisch für einen Konzentrationsprozess im globalen Nahrungsmittelsektor, der unter dem Motto steht: „Fressen oder gefressen werden“. Die Digitalisierung unseres Ernährungssystems verleiht dieser Übernahmewelle nun zusätzliche Dynamik.

Was bedeutet Digitalisierung im Ernährungsbereich? Beim internationalen Agrarministertreffen, das die Grüne Woche jedes Jahr einleitet, steht dieses Thema im Zentrum der Gespräche. Dort wird ein rosiges Bild der digitalen Zukunft gemalt: Auf dem Feld können sich Bauern per Smartphone problemlos die neuesten Wetterdaten besorgen und dazu gleich das passende Saatgut, Düngemittel und Spritzmittel bestellen. In der Küche informiert der Kühlschrank den Lebensmittellieferanten selbstständig, wenn die Milchvorräte sich dem Ende neigen, und ein paar Stunden später steht der Nachschub vor der Tür. Schöne neue Welt?

Mitnichten. Denn die Digitalisierung konzentriert die Information darüber, welche Lebensmittel mit welchen Hilfsmitteln auf welchem Stück Land gerade angebaut werden oder welche Konsumgewohnheiten jeder einzelne von uns hat, in den Händen einiger weniger global agierender Unternehmen. Und diese nutzen die Informationen, um ihre Macht weiter auszubauen. Landmaschinenhersteller wie Claas statten ihre Traktoren mittlerweile mit Sensoren aus, die alle Informationen von der Aussaat oder Ernte – von der Bodenbeschaffenheit bis zum Wetter – automatisch an die Konzernzentrale weiterleiten. Diese Daten werden dazu verwendet, um Bauern maßgeschneiderte Pakete – vom Saatgut über den Dünger bis zur richtigen Versicherung – zusammenzustellen. Der Bauer muss diese zwar nicht annehmen – bei Verweigerung droht aber ein Ende der Abnahmegarantien durch den Getreidehändler oder die Kündigung der Versicherung.

Die Entscheidung darüber, was angebaut wird, droht somit weiter aus der Hand der Bäuerinnen und Bauern zu gleiten, und in meist tausende Kilometer entfernte Konzernzentralen verschoben zu werden. Grundlage deren Entscheidung ist allein die Profitmaximierung – und nicht ökologische oder soziale Kriterien, also die Frage: Wie können wir ein nachhaltiges Ernährungssystem etablieren, das boden- und klimaschonend ist, den Bäuerinnen und Bauern ein gutes Einkommen und den Menschen ein gesundes und reichhaltiges Nahrungsmittelangebot sichert?

Eben diese Frage stellt die Großdemo „Wir haben es satt“, die auch dieses Jahr wieder zehntausende Menschen in Berlin versammelt. Die Organisatoren der Demo wollen damit ein Gegengewicht zu dem internationales Agrarministertreffen schaffen, bei dem insbesondere die Interessen der Agrarkonzerne Gehör finden. Denn was wir brauchen, ist kein unkritisches Abfeiern der Digitalisierung, sondern eine kritische Debatte. Eine gute Grundlage dafür bietet eine aktuelle Studie, die Rosa-Luxemburg-Stiftung mit herausgegeben hat: „Blocking the Chain: Konzernmacht und Big-Data-Plattformen im globalen Ernährungssystem“ (PDF). Die Studie kommt zu einem ernüchternden Schluss: „Wenn wir nicht gegensteuern und der Konzernkontrolle über die Digitalisierung enge politische Grenzen setzen, dann bedrohen die neuen Technologien die bäuerliche Landwirtschaft insgesamt.“