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»Wenn die Leute es verstünden, gäbe es morgen eine Revolution«

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Oskar Lafontaine über das Geldsystem, falsche Rezepte der Kanzlerin in der Krise, Staatsschulden, nicht regulierte Finanzmärkte und das Geschäft nach der 3-6-3 Regel

Kanzlerin Merkel bemüht gern den Satz, wir lebten über unsere Verhältnisse. Das ginge nicht auf Dauer. Deswegen müssten die europäischen Staaten sparen, um die Euro- und Bankenkrise in den Griff zu bekommen. Warum überzeugt Sie diese Logik nicht?

Oskar Lafontaine: Die Kanzlerin versteht die Wirtschaft nicht. Die Deutschen leben nicht über ihren, sondern unter ihren Verhältnissen. Sie produzieren mehr Waren, als sie selbst verbrauchen. Wenn die Europäischen Staaten sparen, werden wir diesen Überschuss an Waren, die in Deutschland produziert werden, nicht mehr in Europa absetzen können. Mit anderen Worten: Die Bundeskanzlerin empfiehlt die falschen Rezepte, um die europäische Krankheit zu heilen.

Was unterscheidet die Schulden eines Staates von den Schulden eines Privathaushalts?

Ein Privathaushalt kann seine Schulden abbauen, wenn er spart und weniger ausgibt, als er einnimmt. Beim Staat ist das anders. Wenn der Staat zum falschen Zeitpunkt spart und weniger Geld ausgibt, dann bricht die Wirtschaft ein und die Steuereinnahmen sinken. Der Staat kann sich also nicht, wie Angela Merkel meint, wie eine schwäbische Hausfrau verhalten, um seine Schulden abzubauen.

Sind Staatsschulden die Ursache der Krise?

Die Hauptursache der Krise ist der deregulierte Bankensektor. Irland und Spanien zum Beispiel hatten hervorragende Haushaltsdaten. Erst als ihre Banken in Schwierigkeiten kamen und gerettet werden, mussten explodierten die Staatsschulden.

In der Zeit zwischen 1998 und 2010 stieg das Vermögen der Reichen in Deutschland von 3,1 Billionen auf 4,9 Billionen Euro, gleichzeitig gingen die Staatsschulden nach oben. Besteht da ein Zusammenhang?

Die Staatsschulen sind immer überwiegend das Vermögen der reichen Leute. Diese kaufen die Anleihen, mit denen die Staaten sich finanzieren. In Deutschland sind die Zahlen eindeutig: Die Millionäre haben ein Geldvermögen von 2.200 Milliarden, alle öffentlichen Schulden zusammen sind geringer, nämlich 2.000 Milliarden. Die Millionärssteuer ist die einzig logische Möglichkeit, die Staatsschulden abzubauen.

Konservative und liberale Parteien scheint das nicht zu interessieren. Steuererhöhungen sind offenbar tabu und staatliche Ausgaben müssen hingegen weiter gekürzt werden. Warum brauchen wir einen Kurswechsel?

Wir haben ein verrücktes Geldsystem. Die Europäische Zentralbank gibt den Geschäftsbanken Geld für 1 Prozent. Diese verleihen es dann, siehe Griechenland, für 7 oder mehr Prozent an die Staaten weiter. Der einzige Ausweg ist die Ausschaltung der Geschäftsbanken, das heißt die Europäische Zentralbank muss den europäischen Ländern direkt Kredite geben. Natürlich unter strengen Auflagen, in Griechenland beispielsweise Kürzung des völlig überhöhten Militärhaushaltes und nachhaltige Besteuerung der reichen Helenen. 2000 griechische Familien haben 80 Prozent des griechischen Vermögens.

Finanzmarkt gegen Staat – so stellt sich für einen Laien die Krise dar. Die Staaten haben Schulden, weshalb die so genannten Finanzmärkte höhere Zinsen von den Staaten verlangen, was wiederum die Verschuldung treibt, während die Märkte den Zahlungsausfall fürchten. Und wo ist der Ausweg aus diesem Dilemma?

Als ich der Clinton-Administration vorschlug, die Finanzmärkte zu regulieren, antwortete man mir: "Das können wir nicht machen. Die Wallstreet hat den Wahlkampf des Präsidenten finanziert." So ist das auch heute. Geld regiert die Welt, die Parlamente sind Vollzugsorgane der Finanzwirtschaft. Die Demokratie wird ausgehöhlt. In Deutschland werden alle Parteien, außer der Partei DIE LINKE, auch von der Deutschen Bank und von der Allianz finanziert.

Als Sie 1998 Bundesfinanzminister wurden, wollten Sie die Finanzmärkte regulieren. Sie konnten sich nicht durchsetzen und gaben ihr Amt auf. Heute wird zwar über eine Regulierung diskutiert, doch geschehen ist wenig. Warum gelingt es nicht, die Macht der Finanzoligarchie zu brechen?

Diese Geschäfte haben nicht den geringsten gesellschaftlichen Nutzen. Daher brauchen wir dringend die Transaktionssteuer, um den Handel zu verlangsamen. Letztendlich sollte das Bankensystem öffentlich-rechtlich sein und das Geschäft nach der 3-6-3 Regel organisiert werden. Die Sparkassen sammeln das Geld für 3 Prozent ein und leihen es für 6 Prozent aus. Um drei Uhr gehen die Bankdirektoren dann Golf spielen, anstatt das Geld der Sparer zu verzocken.

Haben das Geschäft der Investmentbanken und andere Phänomene wie das High Frequency Trading, bei denen Transaktionen in Sekundenschnelle stattfinden, überhaupt einen gesellschaftlichen Nutzen? 

Keine Bank darf systemrelevant sein. Wenn beispielsweise die Deutsche Bank ein Bilanzvolumen von 2.000 Milliarden hat, das sind etwa 80 Prozent des deutschen Bruttosozialproduktes, dann ist diese Bank verstaatlicht, weil der Staat sie nicht mehr pleite gehen lassen kann. Die Kurzformel der Neuregelung heißt: Sparkassen statt Zockerbuden. Alle Giftpapiere müssen verboten werden. Der internationale Kapitalverkehr muss wieder streng reguliert und die Steueroasen trockengelegt werden. Spenden von Banken und Versicherungen an Parlamente sind gesetzlich zu verbieten. Nur eine dezentral organisierte Weltwirtschaft mit regionalen Kreisläufen kann das Erfordernis umweltgerechten Wirtschaftens erfüllen. Das gilt vor allem für das Geldsystem, von dem Henry Ford sagte: "Wenn die Leute es verstünden, gäbe es morgen eine Revolution." Nichts geht über die kommunale Sparkasse, die demokratisch kontrolliert und der eigentlichen Aufgabe der Banken verpflichtet ist, nämlich das Geld der Sparer einzusammeln und es der investierenden Wirtschaft in Form von Krediten zur Verfügung zu stellen. Jetzt haben wir ein weltweites Kasino, in dem die großen Geschäftsbanken das Geld der Kunden verzocken. Dieses Geldsystem ist verrückt und hat keinen Bestand.

linksfraktion.de, 15. Februar 2012