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Wenn der Bock gärtnert

Kolumne von Diana Golze,

Von Diana Golze, Sprecherin für Kinder- und Jugendpolitik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

 

Der Armuts- und Reichtumsbericht wird von der Bundesregierung vorgelegt. Das heißt, dass die Institution, die politisch für die sozialen Verhältnisse und deren Veränderung maßgeblich verantwortlich ist, diesen Bericht erstellt. Dieser simple Sachverhalt erklärt, warum über zehn Jahre der Berichterstattung politisch komplett folgenlos geblieben sind. Bericht für Bericht – es liegt nunmehr der Entwurf für den 4. Armuts- und Reichtumsbericht vor – dokumentiert zumindest teilweise die soziale Spaltung der Gesellschaft und bleibt trotzdem ohne Konsequenzen für die praktische Politik.

Gewünscht hätte ich mir einen Armuts- und Reichtumsbericht, der unverblümt die soziale Polarisierung beschreibt und daraus die notwendigen politischen Schlussfolgerungen zieht. Dr. Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hat den zentralen Skandal bereits in einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am  12. Dezember 2011 benannt. Er sprach für das vergangene Jahrzehnt „von einer bemerkenswerten Umverteilung von den Arbeitseinkommen zu den Unternehmens- und Vermögenseinkommen“. Der Anteil der Arbeitnehmereinkommen am Volkseinkommen sei seit den 1990er Jahren um etwa 5 Prozentpunkte gefallen, was 100 Milliarden Euro weniger in den Taschen der Beschäftigten bedeute. Das Wirtschaftswachstum der letzten Dekade sei großteils bei den Unternehmens- und Vermögenseinkommen gelandet – bei den obersten zehn Prozent der Gesellschaft. Dies ist der Skandal der sozialen Entwicklung in Deutschland. Seit Jahrzehnten findet dieser Prozess der sozialen Spaltung statt. Die Regierungen spätestens seit Kohl, insbesondere aber unter Schröder („Agenda 2010“), haben diese Entwicklung durch ihre Politik massiv befördert. Die Regierungen unter Merkel blieben dieser Politik treu und „konsolidieren“ den Bundeshaushalt auf dem Rücken der Armen – etwa mit dem sogenannten Sparpaket 2010 mit massiven Einschnitten im Sozialbudget.

Der erste Entwurf des aktuellen Armuts- und Reichtumsberichts vom September des letzten Jahres hat diese skandalöse Entwicklung trotz einer Flut vermeintlicher Erfolgsmeldungen nicht komplett vertuschen können. Er hat dokumentiert, dass die realen Löhne in den vergangenen zehn Jahren gesunken sind – und zwar umso mehr, je geringer die Einkommen sind. Im Gegenzug haben diejenigen mit den höchsten Einkommen massive Zuwächse erfahren – nach dem spiegelbildlichen Muster: je höher das Einkommen, desto stärker der Zuwachs. Der Niedriglohnsektor boomt, prekäre Beschäftigung ohne Perspektive und Sicherheit ersetzt reguläre Arbeit. Dem entspricht ein nicht mehr hinnehmbares Ausmaß an sozialer Ungleichheit bei den Vermögen. Den obersten zehn Prozent der Bevölkerung gehört nach Aussage der Bundesregierung über die Hälfte des Privatvermögens und der unteren Hälfte der Menschen gehört – nichts, nur Schulden. Die Tendenz in der zeitlichen Entwicklung: Die Einkommens- und Lebensverhältnisse werden immer ungleicher. Nach Schätzungen des DIW ist die Wirklichkeit noch schlimmer: Danach gehört den obersten zehn Prozent sogar über zwei Drittel des Vermögens. Der erste Entwurf des Berichts hat die soziale Polarisierung zumindest ansatzweise thematisiert. Kritische Passagen wurden dann aber auf Druck der FDP und des Kanzleramts gestrichen oder uminterpretiert.

Ebenso hat der ursprüngliche Entwurf noch ansatzweise darauf aufmerksam gemacht, dass die Staatsschulden in den letzten Jahren wegen der Bankenkrise und deren Rettung durch die öffentliche Hand angestiegen sind. Geschützt wurde damit das Geld der Reichen. Was läge näher, als von diesen Menschen nunmehr einen höheren Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens zu verlangen? Ist es nicht das Mindestmaß an sozialer Gerechtigkeit, zumindest einen Teil des geretteten Geldes dem Staat zurückzugeben? Genau diese Idee wurde ganz vorsichtig – wenn auch nur „zur Prüfung“ – formuliert. Selbst solche bescheidenen Vorschläge für eine steuerliche Belastung der Nutznießer der extrem teuren staatlichen Rettungsaktionen der letzten Jahre waren für die FDP-geführten Ministerien und anscheinend auch das Kanzleramt von Frau Merkel vollkommen überzogen und finden sich nicht mehr im Armuts- und Reichtumsbericht. Die Bundesregierung kann sich noch nicht einmal auf den simplen Grundsatz einigen, dass ein/e vollzeitbeschäftigte/r Erwerbstätige/r von ihrer/seiner Arbeit leben können muss. Selbst dieser schlichte und von fast allen Menschen im Land geteilte Grundsatz war der Bundesregierung zu weitgehend und wurde gestrichen. Dies zeigt eindeutig, dass die Berichterstattung bei der Bundesregierung in den falschen Händen liegt. Die Berichterstattung muss in die Hände des Bundestags gelegt werden. Unter dessen Verantwortung ist eine Kommission aus unabhängigen  Fachleuten, Gewerkschaften und Verbänden einzuberufen mit dem Auftrag einen unabhängigen und unverblümten Bericht über die soziale Lage in Deutschland vorzulegen.

Insbesondere aber muss der Diagnose – soziale Polarisierung – endlich auch ein konsequentes politisches Handeln gegen soziale Ungleichheit, Armut und Ausgrenzung folgen. Der Bericht selber führt aus, dass die Bürgerinnen und Bürger im Land zu zwei Dritteln politische Maßnahmen gegen die zunehmenden Einkommensunterschiede fordern. Von einer Regierung, der aber zum Thema „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ (Art. 14 Absatz 2 Grundgesetz) nichts anderes einfällt als eine unverbindliche Bitte, doch bitte mehr zu spenden und zu stiften, sind die dringend notwendigen Schritte leider nicht zu erwarten. Es bedarf des Drucks der LINKEN, damit der Prozess der sozialen Umverteilung von oben nach unten endlich eingeleitet wird und den vorhandenen Reichtum ökonomisch vernünftig zur Deckung der bestehenden Bedarfe der Menschen einzusetzen. Die Vorschläge der LINKEN hierzu liegen auf dem Tisch.      

 

linksfraktion.de, 19. Februar 2013