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Weltwirtschaftsforum: Zurück in die Realität

Im Wortlaut von Sahra Wagenknecht,

 


Von Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Im luxuriösen Skiort Davos in den Schweizer Alpen, gesponsert von globalen Großkonzernen, treffen sich alljährlich seit 1971 die Eliten aus Politik und Konzernetagen dieser Welt, garniert durch handverlesene Wissenschaftler. Selbsterklärte Mission der erlauchten Runde ist nichts Geringeres, als in entspannter Atmosphäre die Herausforderungen der Zukunft zu debattieren, um so den „Zustand der Welt zu verbessern“, wie es in der Selbstdarstellung heißt. Dafür reisten letztes Jahr 2.500 Teilnehmer in 200 Privatjets aus 140 Ländern an und wurden von tausenden Polizisten sowie der schweizerischen und österreichischen Luftwaffe beschützt. Die Welt ist seitdem nicht besser geworden. 

Zentrales Thema des Weltwirtschaftsforums sollte 2016 offiziell die Vierte Industrielle Revolution sein. Der Begriff „Industrie 4.0“ geht auf ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Forschungsprojekt zurück. Doch die abgehobene und diffuse Wie-wird-es-mal-sein-Debatte über Automatisierungstechniken wurde von der Realität eingeholt. Die Flüchtlingskrise und die  aus dem Ruder laufenden militärischen Konflikte warfen ihren Schatten auch auf das wirtschaftliche Elitetreffen in den Schweizer Bergen. Man könnte auch sagen: Das Weltwirtschaftsforum steht in Anbetracht der gegenwärtigen Probleme unter einem Realitätsschock. Spiegel-Online glaubte sogar, eine „Untergangsstimmung vor Alpenkulisse“ ausgemacht zu haben.

Flüchtlingskanzlerin Angela Merkel verzichtete vorsorglich auf den Besuch und schickte statt ihrer  Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in die Schweiz. Er ist für seine zugenähten Hosentaschen bekannt. Wenn selbst er in Davos auf dem Podium jetzt davon spricht, dass Milliardensummen für Investitionen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge für eine Art Marshall-Plan in die Hand genommen werden müssten, dann zeigt auch dies, wie ernst die Lage ist. Die Forderung Schäubles geht zwar in die richtige Richtung. Die Frage ist allerdings: Wieso präsentiert er diese Einsicht erst er jetzt? Wieso hat er das als langjähriger Finanzminister nicht schon längst umgesetzt? 

Bereits vor einem Jahr, als man sich zur gleichen Zeit in Davos traf, musste das Hilfsprogramm der UN-Welternährungsorganisation den monatlich gutgeschriebenen Betrag pro Flüchtling im Libanon von 30 auf 19 Dollar reduzieren. Im Sommer wurde der Betrag dann sogar auf 13,50 Dollar pro Monat gekürzt. Die Folge: Spätestens gegen Mitte des Monats begannen die Familien in den Lagern zu hungern. Seitdem haben sich Hunderttausende auf den Weg nach Deutschland gemacht. Viele sind dabei gestorben. Das Gerede in Davos von vor einem Jahr konnte das nicht verhindern. Es ist zu befürchten, dass es dieses Jahr nicht anders sein wird, denn von einem Ende der verhängnisvollen Regime-Change-Politik, die schreckliche Bürgerkriege verursacht hat, von einem Ende des Drohnenkriegs oder einem Waffenexportverbot redet auf dem Weltwirtschaftsforum niemand. Solange dies so ist, bleibt die Verbesserung des Zustands der Welt so weit entfernt wie die Bergchalets in Davos von der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen.