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Foto: Rico Prauss

Weltklasse? Kreisliga!

Im Wortlaut von Dietmar Bartsch,

Angela Merkels Halbzeit-Bilanz

Gastkommentar

Angela Merkel ist zufrieden mit ihrer Regierungsarbeit. Die starken Jungs in der eigenen Partei hält sie erfolgreich auf Distanz. Ihr Koalitionspartner agiert aufgescheucht und bar jeder Strategie.

Die wirtschaftlichen Wachstumszahlen verdankt sie vor allem anderen Regionen der Weltwirtschaft. Die Konjunktur hat keine binnenwirtschaftliche Basis, weder im Massenkonsum noch in den Investitionen. Der Rückgang der Arbeitslosenzahlen ist einem Boom bei prekären Beschäftigungsverhältnissen und Leiharbeit zu verdanken.

Die Merkel-Regierung hat sich vom Ziel der sozialen Marktwirtschaft, »Wohlstand für alle«, weit entfernt und steht für forcierte soziale Spaltung. Die Ergebnisse der Umverteilung von unten nach oben, von Löhnen zu Gewinn- und Vermögenseinkommen, von direkten Steuern auf Gewinne hin zu indirekten Steuern auf den Konsum sind auf etlichen Feldern der Politik zu besichtigen.

Gegen das Lohndumping gibt es keine allgemeingültigen Standards in Gestalt eines gesetzlichen Mindestlohnes. Die Gesundheitsreform wird niemanden gesünder machen, die meisten aber mehr kosten, weil die Machtkartelle im Gesundheitssektor, der »medizinisch-bürokratische Komplex«, unangetastet bleiben.

Der vielleicht größte Skandal, den sich zwei Volksparteien auch nur in einer großen Koalition trauen, ist die offene Verarmung in der Alterssicherung. Die »Rente mit 67« ist ein Teil. Wie kaum ein anderer Bereich ist die Altersicherung durch die Agenda-2010-Politik von der Produktivitätsentwicklung abgekoppelt worden, in keinem anderen Bereich ist das seit den 50er Jahren gewachsene sozialstaatliche System so gründlich in Frage gestellt worden. Wie die jüngste OECD-Untersuchung zeigt, ist Altersarmut in Deutschland wieder zu einer Frage geworden, mit der sich bereits 30jährige befassen müssen, die bis dahin keinen mindestens durchschnittlich entlohnten Arbeitsplatz gefunden haben.

Wer wirtschaftlich und sozial nicht mehr an alle denkt, steht auch auf Kriegsfuß mit Demokratie und Bürgerrechten. Die Tornado-Aufklärer über den G-8-Demonstranten und die jüngsten Schäuble-Phantasien - offenbar knüpft diese große Koalition an ihre Vorgängerin aus den 60er Jahren an: Sicherheit geht vor Demokratie und Bürgerrecht. Daß Grundrechte dazu da sind, die Bürger vor dem Staat zu schützen, hat die Kanzlerin ihrem Innenminister offensichtlich mitzuteilen vergessen. Auch für den Osten hat die Kanzlerin aus dem Osten wenig gebracht.

Schließlich gehört zur Bilanz Merkels auch, die Militarisierung der Außenpolitik fortgesetzt zu haben und dabei in den Schulterschluß mit den USA zurückgekehrt zu sein. Die Bundeswehr steht mittlerweile in zehn Staaten. »Die Weichen sind gestellt«, hat die Kanzlerin ihre Arbeit bilanziert. Da kann die Antwort nur lauten: Je schneller der Zug zum Stehen kommt, um so besser für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.

Von Dietmar Bartsch

junge Welt, 19. Juli 2007