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Weiterhin kaum Fortschritt bei Digitalisierung der Verwaltung

Nachricht von Anke Domscheit-Berg,

In einer Kleinen Anfrage fragte Anke Domscheit-Berg, digitalpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, die Bundesregierung nach dem Stand der Umsetzung der Verwaltungsdigitalisierung im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes (OZG), das 2017 verabschiedet wurde und eigentlich den Staat dazu verpflichtet, 575 öffentliche Dienstleistungen digital zur Verfügung zu stellen.

Der umfangreichen Antwort der Bundesregierung ist zu entnehmen, dass es zum Jahresende mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht einmal die im Mai neu festgelegten Top 35 Prio Dienstleistungen flächendeckend digital geben wird und dass es weiterhin für große strukturelle Probleme keine Lösung, sondern nur “Dialogprozesse” gibt. Außerdem fehlt es an Verbindlichkeiten und Standards, selbst für notwendige Basisdienste. Die Bundesregierung zeigt mit ihrer Antwort einen erschreckenden Grad an Planlosigkeit und Intransparenz. In Verbindung mit der dysfunktionalen Kooperation zwischen Bund und Ländern werden Bürger:innen wohl noch lange mit analog arbeitenden Behörden zu tun haben.

Anke Domscheit-Berg kritisiert die fehlende Verbindlichkeit und mangelnden Standards, eine dysfunktionale Schaufenster-Digitalisierung, hohe Intransparenz, mangelnde Nutzerfreundlichkeit und Bereitschaft der Kooperation zwischen Bund und Ländern:

“Der Dilettantismus, mit dem nach wie vor das Megaprojekt Verwaltungsdigitalisierung angegangen wird, ist erschreckend und desillusioniert. Seit fünf Jahren gilt das Onlinezugangsgesetz, in wenigen Monaten sollte es umgesetzt sein, aber immer noch gibt es keine verbindlichen Standards und Schnittstellen, ohne die eine flächendeckende Verwaltungsdigitalisierung gar nicht umsetzbar ist.

Wie soll eine in Brandenburg entwickelte Fachanwendung in Niedersachsen nachgenutzt werden können, wenn sie in die dortige Softwarelandschaft nicht integriert werden kann? Wie soll man Daten und Akten anwendungsübergreifend austauschen, wenn sie in unterschiedlichen Formaten verarbeitet werden? Warum gibt es nicht einmal einheitliche und verbindliche Standards für zwingend notwendige Basisdienste wie Bezahlfunktionen oder Authentifizierung? Dass die Bundesregierung diese Notwendigkeit zwar einräumt, aber gleichzeitig angibt, dass man die 'Art der Standards und den Prozess ihrer Festlegung' noch in Gesprächen mit den Ländern bestimmen müsse, ist etwa so, als würde man erst eine Stadt bauen und jede Menge elektronischer Geräte produzieren, aber über die Form der Stecker und Steckdosen spricht man erst danach. Der Prozess ist auf den Kopf gestellt und so kann das nicht funktionieren.

Leider bedeutet Digitalisierung nach OZG auch weiterhin, dass vor allem die Formulareingabe elektronisch erfolgt. In zu vielen Fällen wird danach immer noch ein Papier ausgedruckt und Akten physisch hin- und hergeschickt. So eine Schaufensterdigitalisierung ist natürlich großer Unfug. Die einzig sinnvolle Digitalisierung muss den ganzen Prozess umfassen, sie könnte über das neue OZG 2.0 Gesetz geregelt werden, aber auch dazu offenbart die Bundesregierung, dass sie keinerlei Zeitplan hat und lediglich Vorgespräche mit den Ländern führt, als hätten wir noch ein paar Jahre mehr Zeit.

Den erklärten Fokus auf Bedürfnisse der Nutzer:innen sucht man vergeblich. Die Bundesregierung kennt nicht einmal die Nutzerzahlen für die OZG Leistungen, selbst zur eID des Personalausweises hat sie keine Daten zur Nutzerfreundlichkeit, allerdings gibt sie zu, dass fast jede:r zweite Anwender:in den Versuch, einen elektronischen Personalausweis zu nutzen, erfolglos abbricht. Jedes eCommerce-Unternehmen wäre so längst Pleite.

In der neuen Top Prio Liste für 35 Dienstleistungen, die bis Ende 2022 doch noch überall kommen sollen, findet sich die Waffenerlaubnis. Wenn wir Pech haben, kann man also in ein paar Wochen digital eine Waffe registrieren, muss aber für Ausweiserneuerung, Ummeldung, KfZ-Anmeldung oder Eheschließungsanträge weiter zum Amt rennen und eine Nummer ziehen, weil die Verwaltungen überfordert sind und nicht alle 35 Dienste schaffen werden.

Die Hälfte dieser priorisierten Dienste ist noch in keinem einzigen Bundesland verfügbar (darunter alle genannten), fünf weitere gibt es nur in einem einzigen Bundesland. In vier Monaten sollen aber alle 35 Dienste in über 11.000 Kommunen digitalisiert sein. Dieses Ziel ist schlicht nicht mehr erreichbar. Vielen Kommunen wird das auch egal sein, denn eine Verbindlichkeit fehlt nicht nur für Standards, sondern für das gesamte OZG, es hat einfach keinerlei Folgen, wenn eine Kommune die Umsetzung verweigert. Das in der Diskussion befindliche Bund-Länder-Digitalbudget für den Betrieb bestimmter OZG- Leistungen könnte den Rollout unterstützen.

Zu allererst muss die Bundesregierung sich ehrlich machen und nicht immer wieder auf ihr OZG Dashboard verweisen, dass voll beschönigter und unvollständiger Daten ist. Für keinen Dienst ist dort erkennbar, ob er Ende zu Ende digitalisiert ist oder in der eigenen Gemeinde verfügbar. Für manche Bundesländer sind überhaupt keine Daten enthalten. Auch die dort genannten 80 OZG-Dienstleistungen des Bundes kann man dort nirgendwo einsehen, ebenso wenig wie irgendwelche Zeitpläne oder Zuständigkeiten etwa für die Umsetzung der Basisdienste. Und sie muss selbsterklärte Vorgaben auch nachhalten.

Die Entwicklung als Open Source war zwar vereinbartes 'Grundprinzip' für die Vergabe von 3 Milliarden aus dem Corona-Konjunkturpaket, aber welche Anwendungen nun als offene Software entwickelt wurden, weiß die Bundesregierung nicht, denn das kontrolliert sie gar nicht. Im Koalitionsvertrag und im Entwurf der Digitalstrategie steht das Recht auf Open Data, aber bei meiner Frage zur Verankerung von Open Data in Musterverträgen für OZG Dienste wurde auf Musterverträge des Fit-Store verwiesen, die jedoch gar keine Open Data Module enthalten. Die Zeit der Lippenbekenntnisse muss endlich vorbei sein. Das erwarte nicht nur ich, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.”