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Weitere Bankenrettungen zu Lasten der Steuerzahler wirksam verhindern

Im Wortlaut von Sahra Wagenknecht,

Foto: ddp images/Hermann J. Knippertz

 

 

Sahra Wagenknecht, 1. stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über die Krise in der Ukraine nach Ablauf des Waffenstillstands, den Wechsel an der Spitze der EU-Kommission, Merkels Sparpolitik in Europa und Schäubles schwarze Null

 

Nach einer zehntägigen Waffenruhe wird seit Mitte vergangener Woche in der Ukraine wieder gekämpft und  die Verlautbarungen klingen martialisch. Gibt es jetzt noch einen Weg zum Frieden und welche Rolle sollten EU, Russland und die deutsche Bundesregierung dabei spielen?

Sahra Wagenknecht: Nationalisten und Neofaschisten hatten die ukrainische Regierung auf Demonstrationen aufgefordert, die Waffenruhe aufzukündigen. Obwohl der ukrainische Präsident Poroschenko angeblich einen eigenen Friedensplan umsetzen wollte, der von der EU unterstützt wird, gab er der Forderung keine 48 Stunden später nach und kündigte mit martialischen Worten eine militärische Offensive an. Seitdem gibt es schwere Gefechte, bei denen Poroschenko als Oberkommandierender auch Städte in der Ostukraine durch Luftwaffe und Artillerie bombardieren lässt. Rücksicht auf zivile Opfer wird dabei offenbar nicht genommen. 

So betreibt der ukrainische Präsident die Politik der militanten Nationalisten und Neofaschisten. Die EU und die Bundesregierung müssen aufhören in diesem gefährlichen Konflikt als Marionette der USA zu agieren. Stattdessen müssen sie ihre einseitige Position aufgeben und Druck auf die Regierung in Kiew ausüben, damit diese ihre Militäroffensive sofort stoppt. Es müssen Verhandlungen mit allen Konfliktparteien aufgenommen werden.

In Europa löst ein Konservativer den anderen ab: Jean-Claude Juncker beerbt nach langem Ringen, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Manuel Barroso als Präsident der EU-Kommission. Wie bewerten Sie das politische Tauziehen um das Amt und was erwarten Sie von Jean-Claude Juncker?

Im Europäischen Parlament gibt des de facto eine große Koalition. Das Gezerre um die Posten hat nichts mit inhaltlichen Differenzen zu tun. Daher hätte sich mit Martin Schulz auch nichts an der neoliberalen EU-Kommissionspolitik geändert. Nun wird Jean-Claude Juncker der Nachfolger des ebenfalls konservativen José Manuel Barroso. Zwar hat Juncker sich vor Jahren einmal zutreffend negativ über das deutsche Sozial- und Lohndumping der Agenda-2010-Politik geäußert. Jetzt hebt Merkel aber Juncker mit ins Amt. Außerdem ist Juncker eng mit der Bankenlobby liiert. Daher erwarte ich von Juncker nichts. Insbesondere nicht, dass er sich nach seiner Wahl gegen Merkels katastrophale Eurokrisenpolitik stellen wird.  


Beim EU-Gipfel Ende Juni, als Juncker als Kommissionspräsident nominiert wurde, stand auch noch einmal der Stabilitätspakt im Mittelpunkt. Der italienische Premier Matteo Renzi und auch der französische Staatspräsident François Holland fordern mehr Flexibilität in der Etatpolitik. Entsteht in Europa eine neue Allianz gegen die Sparpolitik?

Nein. Hier deutet sich ein gefährlicher Kuhhandel an. Die Vorschläge wurden auch von SPD-Wirtschaftsminister Gabriel unterstützt und gehen in eine falsche Richtung. Nach dem Motto: Ihr übernehmt das deutsche Lohn- und Sozialdumping à la Agenda 2010 und werdet dafür mit der Möglichkeit zu mehr Staatsschulden belohnt. Damit würden die sozialdemokratisch geführten Regierungen in Europa ihren Bevölkerungen einen Bärendienst erweisen. Das deutsche Lohn- und Sozialdumping ab 2003 hat die Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone massiv verstärkt und so die Krise entscheidend mitverursacht. Heute würde eine weitere Ausbreitung der Agenda 2010 in der EU die Deflationsgefahr verstärken. Was für Schröder galt, gilt für den Schröder-Klon Gabriel nicht minder: Die Agenda 2010 war und ist Gift - für Deutschland ebenso wie für die Eurozone.

Die Agenda 2010 sei Gift für Europa, sagen Sie. Wie sonst lassen sich die Staatsschulden in den Griff zu bekommen?

Das geht nur mit einem grundsätzlichen Kurswechsel. Wichtig sind dabei folgende Punkte: Zukünftig müssen Bankenrettungen zu Lasten der Steuerzahler wirksam verhindert werden. Außerdem muss die Finanzierung der öffentlichen Haushalte von der Diktatur der Finanzmärkte befreit werden. Dazu ist es nötig, dass die Europäische Zentralbank (EZB) direkt oder indirekt zinsgünstige Kredite an die öffentlichen Haushalte vergibt, um Investitionen und nicht neue Blasen auf den Finanzmärkten zu finanzieren. Durch einen Schuldenschnitt und eine EU-weit koordinierte Vermögensabgabe können dann die Staatsschulden gesenkt werden. Die von Merkel und Co. diktierten Kürzungen von Löhnen, Renten und Sozialleistungen müssen zurückgenommen werden. Wir brauchen steigende Löhne, die Eindämmung prekärer Arbeit und mehr Arbeitnehmerrechte statt Raubtierkapitalismus.

Die schwarze Null - Finanzminister Schäuble brüstet sich gerade damit. 2015 soll es so weit sein, ein Haushalt ohne Neuschulden. Und bei ihm geht es ohne Steuererhöhungen...

Damit sollte Schäuble nicht angeben. Jeder Staatshaushalt kann zu Lasten der Bevölkerung saniert werden. Griechenland ist momentan das abschreckendste Beispiel dafür. Aber was dort spektakulär unter dem Troika-Diktat mit dem neoliberalen Holzhammer passiert, läuft in Deutschland seit der Umsetzung der Agenda-2010 auch ab – nur langsamer und damit unauffälliger: Schrittweise nimmt hier die Altersarmut durch Absenkung des Rentenniveaus und Aushöhlung der gesetzlichen Rentenversicherung zu. Immer mehr Menschen werden durch den Hartz IV-Sozialabbau an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Die bestmögliche Gesundheitsversorgung ist für die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr gewährleistet. Die Pflegeversicherung ist ungenügend und kann ein menschenwürdiges Leben derjenigen, die auf sie angewiesen sind, nicht gewährleisten. Die öffentlichen Investitionen sind im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich. Straßen, Schwimmbäder, Kitas oder öffentlicher Nahverkehr verkommen schrittweise oder werden teilweise abgewickelt.


Die Aktienmärkte melden Rekordstände. Die Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) warnte kürzlich: Wegen der sehr niedrigen Zinsen und Renditen gingen Anleger immer höhere Risiken ein. Wie schätzen Sie die Gefahren der Niedrigzinspolitik ein?

Man muss nicht alles unterschreiben, was die BIZ von sich gibt. Ihre Warnungen vor den Folgen der aktuellen Niedrigzinspolitik sind jedoch weitgehend berechtigt. Es stimmt, dass die unsoziale und wachstumsfeindliche Krisenpolitik von Merkel und Co., die außerdem nicht dazu in der Lage ist die Verschuldung der Staaten und privaten Haushalte zu senken, die Zentralbanken zur Niedrigzinspolitik zwingt. Die Folgen sind u.a.: Die Entwertung der Lebensversicherungen und Sparguthaben. Die BIZ hat auch recht mit dem Hinweis, dass die extrem expansive Geldpolitik auf Dauer nicht nachhaltig ist, weil dadurch Blasen und Finanzkrisen entstehen können. DIE LINKE hat auch einen Vorschlag wie Wachstum anders - also sozial und ökologisch - geht: durch Umverteilung insbesondere Millionärssteuern.
 

Umverteilung von unten nach oben – das kritisiert DIE LINKE nicht erst seit der Finanzkrise. Die Krise aber hat die Verteilungsungerechtigkeit noch einmal vor Augen geführt. Anders als zu Roosevelts Zeiten und seinem New Deal scheint die herrschende Politik nicht willens oder nicht in der Lage zu sein, das Problem anzugehen. Woran liegt das?

Sie ist nicht willens. Warum sollte sie auch? Die herrschende Politik bedient die Interessen der Superreichen und großen Konzerne. Das ist bequem, denn es ist leider kein großer öffentlicher Druck für eine gerechtere Verteilung vorhanden. Die Gründe dafür sind komplex. Einer ist, dass die Profiteure der Ungleichheit erfolgreich Mythen in der Gesellschaft verankern konnten, wie zum Beispiel: Multimillionäre und -milliardäre sind Leistungsträger und daher darf man ihnen nichts wegnehmen. Obwohl das offensichtlicher Quatsch ist, hält sich dieser Mythos hartnäckig. Dazu kommt: Opportunismus gegenüber Superreichen und großen Konzernen ist für Regierungspolitiker auch lukrativ. Nach der politischen Laufbahn winken den Handlangern des großen Geldes in der Wirtschaft hoch bezahlte Jobs. Dirk Niebel ist dafür das jüngste Beispiel. Er entschied im Bundessicherheitsrat über Rüstungsexporte und wird jetzt Cheflobbyist des Rüstungskonzerns Rheinmetall. Diese Korruption nach dem Motto „bezahlt wird später“ muss dringend gesetzlich verboten werden.

 

linksfraktion.de, 10. Juli 2014