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Weißer Rabe und »nationaler Sozialismus«

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Oskar Lafontaine über eine konservative Verleumdung der LINKEN

Die Umfrageergebnisse für DIE LINKE haben das bürgerliche Lager aufgeschreckt. Der hessische Ministerpräsident Koch (CDU) will DIE LINKE durch den Verfassungsschutz beobachten lassen, da sie einen kommunistischen Nationalismus predige. Der Vorstandsvorsitzende des Springer-Konzerns Döpfner warnt vor einem nationalen Sozialismus.

Dass Koch die neue Konkurrenz mit dem Verfassungsschutz bekämpfen will, lässt auf ein unterentwickeltes Demokratieverständnis schließen. Die Furcht des Springer-Vorstandes Döpfner vor einem nationalen Sozialismus der Linken ist angesichts der Medienmacht des Konzerns schon ernster zu nehmen, zumal er auch antisemitische Tendenzen bei der Linken ausgemacht haben will. Indem er die Begriffe »national« und »Sozialismus« im Zusammenhang gebraucht, versucht er DIE LINKE durch Assoziation mit dem Nationalsozialismus zu diffamieren.

Sehen wir uns einmal näher an, wofür der Nationalsozialismus stand. Sein entscheidendes Kennzeichen war ein Rassismus, der die Ebenbürtigkeit aller Menschen verneinte. Grundlage der Politik der Linken dagegen ist, dass allen Menschen die gleiche Würde zukommt, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Rasse oder Religion. Warnungen vor einer durchrassten und durchmischten Gesellschaft sind bisher im bürgerlichen Lager aufgetaucht, von der politischen Linken hat man Ähnliches nicht vernommen. Das Begriffspaar »nationaler Sozialismus« ist so sinnig wie weißer Rabe oder schwarzer Schimmel.

Die auch von den Nazis vertretene Auffassung, dass die Völker einen stetigen Kampf um ihre Selbsterhaltung und um die Sicherung und Vermehrung des dazu notwendigen Lebensraumes austragen müssen, kennzeichnet einen Nationalismus, mit dem DIE LINKE nie etwas gemein hatte. Völkerrechtswidrige Angriffskriege wurden geführt, um den Lebensraum zu sichern. Auch heute werden völkerrechtswidrige Kriege zur Sicherung der Öl- und Gasfelder befürwortet. DIE LINKE lehnt solche Kriege ab. Sie verweigert sich dem Menschenrechtsbellizismus von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen, die im Glauben, sie kämpften für Freiheit und Demokratie, Militäreinsätzen zustimmen, die auch den geostrategischen Interessen der USA zur Energieversorgung dienen. Der demokratische Präsidentschaftskandidat John F. Kerry forderte eine neue Politik, »damit dieses Land innerhalb von zehn Jahren vom Öl des Nahen Ostens unabhängig wird und unsere Söhne und Töchter nicht mehr für dieses Öl kämpfen und sterben müssen«.

Weil DIE LINKE auch deutschen Söhnen und Töchtern dieses Schicksal ersparen will, wirft man ihr eine Ohne-Michel-Haltung vor. In den letzten Jahren hat sich in Deutschland die Auffassung festgesetzt, Militäreinsätze seien am ehesten geeignet, zum Frieden in der Welt beizutragen. Brandts berühmter Satz »Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen« gerät in Vergessenheit.

DIE LINKE will nicht durch Kriegseinsätze, sondern durch eine größere Entwicklungs- und Aufbauhilfe den Frieden in der Welt festigen. Zur Begründung verweist sie auf die negativen Erfahrungen mit Militärinterventionen und auf schlichte ökonomische Überlegungen. So schrieb der Nobelpreisträger für Ökonomie Edmund Phelps: »Selbst wenn man die Verluste an Menschenleben einmal beiseitelässt: Die wirtschaftlichen Kosten für den Friedenserhalt betragen nur einen Bruchteil dessen, was für humanitäre Hilfe, militärische Interventionen und Friedensmissionen erforderlich ist, falls ein Land in den Konflikt zurückfällt«. Unter ökonomischen Gesichtspunkten könnte DIE LINKE ihre auf eine stärkere internationale Entwicklungszusammenarbeit orientierte Außenpolitik ebenfalls so begründen.

Eine Tendenz zu nationaler Abschottung könnte man in der Forderung nach gesetzlichem Mindestlohn sehen. Tatsächlich möchte DIE LINKE die in Deutschland zunehmende Ausbeutung abschaffen. Da die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn mittlerweile quer durch alle Lager erhoben wird, wäre eine Tendenz zu nationalem Sozialismus in der gesamten Gesellschaft festzustellen. Natürlich Unfug. Die meisten Staaten Europas bekämpfen menschenunwürdige Niedriglöhne mit einem gesetzlichen Mindestlohn.

Bei der Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung vertritt DIE LINKE ähnliche Positionen wie die Grünen. Sie hat das jüngste Zuwanderungsgesetz abgelehnt, in dem die Einbürgerung und der Familiennachzug erschwert wurden. Wir kommen nicht auf die Idee, gegenüber denjenigen politischen Konkurrenten, die einer stärkeren Begrenzung der Zuwanderung das Wort reden, die Keule des Nationalismus zu schwingen. Probleme haben wir allerdings dann, wenn die Zuwanderungspolitik darauf aus ist, gut ausgebildete Fachkräfte aus den Entwicklungsländern, wo sie dringend gebraucht werden, zur Steigerung unseres Wohlstandes abzuwerben. Das befürworten Teile des bürgerlichen Lagers.

Die von der LINKEN bekämpfte feindliche Übernahme von Unternehmen durch sogenannte Heuschrecken könnte ein weiterer Anlass sein, ihr nationale Abschottung vorzuwerfen. Jede andere Partei würde sich dafür höchstens den Vorwurf einhandeln, sie sei protektionistisch. DIE LINKE hingegen wird als nationalistisch diffamiert, obwohl man genau weiß, dass Nationalismus und Protektionismus zwei verschiedene Paar Schuhe sind.

Nun will aber neuerdings auch der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Kauder deutsche Firmen vor dem Zugriff ausländischer Staatsfonds schützen. Finanzminister Steinbrück äußerte sich ähnlich. Aber die nationalen Kapitalisten Steinbrück und Kauder wissen nicht, was sie wollen. Das Emirat Dubai hat bald mehr Anteile bei »Airbus« als der deutsche Staat, und die Bundesregierung hat Telekom-Anteile an »die Heuschrecke« Blackstone verkauft. Bei der »Telekom« wird die unterschiedliche politische Herangehensweise besonders deutlich. Der LINKEN geht es in erster Linie um die Beschäftigten. Daher verurteilt sie die Erpressung der Belegschaft durch den Vorstand, während die Bundesregierung als Hauptgesellschafterin die jetzt vereinbarte massive Lohnkürzung für -zigtausend Beschäftigte klammheimlich unterstützte. Sie hat nur etwas dagegen, wenn Chinesen oder Russen bei Schlüsselbranchen zukünftig das Sagen haben.

Bleibt der Vorwurf des latenten Antisemitismus, der auf seltsamen Wegen daherkommt. Zwei Beispiele: Wenn man atomare Abrüstung für alle Staaten fordert, wird dies antisemitisch genannt, weil dann auch Israel auf Atomwaffen verzichten müsste. DIE LINKE will aber Atomwaffen in den Händen eines Präsidenten verhindern, der Israel von der Landkarte tilgen will. Wer das ernsthaft anstrebt, darf nicht mit Krieg drohen, sondern muss die Abrüstung der Atomwaffen in der Region und in der Welt insgesamt zum Thema machen. Ein zweites Beispiel: Wenn DIE LINKE es für richtig hält, auch mit der Hamas zu sprechen, um einem dauerhaften Frieden im Nahen Osten mit zwei lebensfähigen Staaten - Israel und Palästina - näherzukommen, dann wird der gleiche Vorwurf erhoben. Der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, der ebenfalls Gespräche mit der Hamas befürwortet, wäre nach dieser Logik ein Antisemit.

Die Politik der LINKEN bietet keinen Anlass, vor nationalem Sozialismus zu warnen. Die Reaktionen auf DIE LINKE bestätigen jedoch eine Feststellung Döpfners: die von der intellektuellen Selbstaufgabe des bürgerlichen Lagers.

Von Oskar Lafontaine

Neues Deutschland, 28. Juli 2007