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Warum aufs Stimmrecht verzichten?

Im Wortlaut von Herbert Schui,

AIRBUS - Merkel und Glos hofieren private Interessen, statt mit einer staatlichen Sperrminorität für eine vernünftige Industriepolitik zu sorgen
Lange hat es gedauert, bis der Handel endlich perfekt war. Aber nun haben Bundeskanzlerin Merkel und Bundeswirtschaftsminister Glos endlich ein Konsortium zusammengebracht, das diejenigen 7,5 Prozent des Airbus-Mutterkonzerns EADS übernimmt, die DaimlerCrysler verkauft. Es handelt sich um ein Volumen von 1,5 Milliarden Euro, 40 Prozent davon übernehmen öffentliche Kreditinstitute. Die übrigen 60 Prozent gehen in das Eigentum deutscher und ausländischer Banken und Versicherungen. Das Stimmrecht aber wird unverändert von DaimlerChrysler ausgeübt. Für die Bundesregierung ist diese Vereinbarung "ordnungspolitisch und industriepolitisch vernünftig".

Diese Regelung entspricht dem unverändert gültigen Aktionärspakt, wonach der Staat als Anteilseigner sein Stimmrecht den privaten Eigentümern überlässt. Dies gilt für den spanischen (fünf Prozent) und den französischen Anteil (15 Prozent). Die Russische Staatsbank (fünf Prozent) übt ihr Stimmrecht selbst aus. Offensichtlich sind die staatlichen Eigentümer davon überzeugt, dass die Geschäftspolitik von DaimlerCrysler und des französischen Unternehmens Lagardère unmittelbar das politische Interesse verkörpert, vor allem aber: dass sie so legitimiert ist wie staatliche Politik. "Ordnungspolitisch" ist hier weiter nichts als die Anrufung eines heiligen Namens: Privatwirtschaftliches Interesse ist öffentliches Interesse.

Diese Haltung ist abzulehnen. Denn aus welchem Grund sollte eine staatliche Beteiligung keinen staatlichen Einfluss auf die Geschäftspolitik des Konzerns begründen? Angesichts der Managementfehler bei Airbus kann sich dieser Einfluss nur positiv auswirken. Deswegen ist es sinnvoll, eine staatliche Sperrminorität bei EADS zu erwerben. Dies ist der erste Schritt. Damit sie wirksam wird, muss der Aktionärspakt neu aufgeschnürt werden. So kann der Staat klare Ziele verfolgen: Bei der Konzerntochter Airbus ist die Funktionsauslagerung, der Verkauf einzelner Werke an Zulieferer und das Ausdünnen der deutschen Standorte zu verhindern. Auf dem Spiel stehen bis zu 10.000 Arbeitsplätze.

Airbus - das ist zu betonen - ist wegen Managementversagens in der Klemme, hat aber reichlich Aufträge. Die Geschäftsführung will die Folgen ihres Versagens nutzen, um die Lohnkosten zu senken. Ihr geht es auch darum, im Rahmen der Verarbeitung neuer Werkstoffe bei der Flugzeugproduktion (Kunststoff satt Aluminium) die Gunst der Stunde zu nutzen und die Standorte neu durchzumischen. Die A380-Krise ist ein willkommener Anlass, das schon länger geplante Kürzungsprogramm "Power 8" durchzusetzen. Analysten zufolge stellt EADS die Lage besonders düster dar, weil der Konzern Spielraum gewinnen will. Das Ziel ist seit langem, jährlich zwei Milliarden Euro einzusparen.

Industrie- und Beschäftigungspolitik sind wichtig, aber damit ist der Kern der Sache noch nicht angesprochen. Grundsätzlich ist staatliches (Teil-)Eigentum an einem Rüstungskonzern wie EADS heikel, aber es führt kein Weg zu Airbus vorbei an EADS. Und auch bei Airbus ist die Sparte Rüstung nicht unbedeutend. Eine staatliche Sperrminorität kann aber auch als Hebel dienen, um das Verhältnis der Rüstungsindustrie zur Politik anders zu gestalten.

Um was es hier geht, hat US-Präsident Eisenhower 1961 in seiner Abschiedsrede an die Nation klar auf den Punkt gebracht: "Die Kombination aus einem immensen militärischen Establishment und einer großen Waffenindustrie ist eine neue Erfahrung für Amerika. Ihr wirtschaftlicher, politischer, selbst geistiger Einfluss ist in jeder Stadt, in jedem Parlament eines Bundesstaates und in jedem Bundesministerium zu spüren. (...) Unsere Arbeit, unsere Ressourcen und unser Lebensstandard sind allesamt betroffen, betroffen ist auch die Struktur unserer Gesellschaft selbst." Eisenhower warnte: "Nie dürfen wir es zulassen, dass das Gewicht des militärisch-industriellen Komplexes unsere Grundrechte oder unsere demokratischen Abläufe in Gefahr bringt. Wir sollten nichts als gesichert ansehen. Nur wachsame und gebildete Staatsbürger können den riesigen industriellen und militärischen Verteidigungsapparat dazu zwingen, sich in unsere friedlichen Methoden und Ziele einzufügen, damit Sicherheit und Freiheit gemeinsam gedeihen können."

Wirtschaftsminister Glos hat vor wenigen Tagen wie ein Karikaturist auf Eisenhowers Mahnung geantwortet. Er drohte der Airbus-Mutter EADS mit Entzug deutscher Rüstungsaufträge, falls wesentliche Teile der Airbus-Produktion nach Frankreich verlegt werden. Wie die Drohung wahr machen? Andere deutsche Hersteller können das Kriegsgerät nicht herstellen. Beschaffung im Ausland hilft der Beschäftigung nicht weiter. Also weniger Rüstungskäufe? Das aber würde ein anderes Verteidigungskonzept bedeuten. War es das, was Glos durch den Kopf ging? Die Arbeitsplätze wären in diesem Fall durch vermehrte zivile Aufträge zu sichern. Ein Konversionsprogramm müsste Glos also zusätzlich vorschlagen. Alle, die keine deutschen Militäreinsätze im Ausland wünschen, hätten dann auf der Seite des Wirtschaftsministers gestanden.

Eisenhower hatte die Sache intellektuell besser im Griff und politisch den klareren Blick. Dieser altgediente General war kein Pazifist, aber ihm lag daran, dass nicht die Rüstungsindustrie über Krieg und Frieden entscheidet, weil sie zur Lösung internationaler Konflikte stets denjenigen Weg sucht, der für sie Gewinn bringt. Entscheidet sich die Regierung aus "ordnungspolitischen" Gründen, ihr Stimmrecht der privaten Rüstungswirtschaft zu überlassen, dann will sie die Rüstungslobby über die Außenpolitik entscheiden lassen. Der andere Weg ist richtig: "Wir müssen gemeinsam lernen, unsere Differenzen nicht mit Waffen, sondern mit Verstand und hehren Absichten beizulegen", so Eisenhower.

Sicherlich ist staatliches (Teil-)Eigentum für sich genommen noch nicht die Lösung. Aber es dient der Lösung, wenn die Politik Subjekt wird, ihre Funktion als Gegenpol zur Privatwirtschaft wahrnehmen kann. Im schlechtesten Fall hat sie unverändert dasselbe Ziel wie die Rüstungswirtschaft. Dann ist nichts dazu gewonnen - aber auch nichts verloren mit einer staatlichen Beteiligung. Im günstigen Fall aber, wenn der politische Druck der Bevölkerung, der Wunsch nach Frieden, die Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr groß genug ist, wenn dieser Wille nicht mehr übergangen werden kann und sich in der Regierungspolitik fortsetzt, dann ist das öffentliche Miteigentum an EADS ein Hebel, um den Mehrheitswillen der Bevölkerung gegen die Rüstungslobby durchzusetzen. Unter dieser Bedingung ist der Opposition gegen den Militarismus eine Chance eröffnet. Staatliche Abstinenz bringt nichts. Staatliche Rüstungskonzerne und eine aggressive Außenpolitik auch nicht. Aber eine staatliche Beteiligung kann durchaus ein geeignetes Mittel sein, um die Militarisierung der Politik zu beenden.

Freitag, 16. Februar 2007