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Wahltaktischer Gesetzesbruch

Kolumne von Wolfgang Neskovic,

Von Wolfgang Nešković, Justiziar der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

 

Die Katastrophe von Fukushima hat Auswirkungen weit über Japan hinaus. Kurz nach dem Erdbeben in Japan wurde auch die Bundesregierung aktiv. Nicht so sehr wegen der Sorge um die japanische Bevölkerung. Schwarz-Gelb sorgte sich vor allem um die eigene politische Zukunft. Erst im Herbst hatte die Koalition den Atomkonzernen ein Milliardengeschenk zugestanden, als sie die Restlaufzeiten der deutschen Atomkraftwerke verlängert hatte. Nach dem Erdbeben in Japan wurde ihr klar, dass sie diesen unverantwortlichen Kuschel-Kurs mit den Energiekonzernen vorerst nicht weiter verfolgen könnte.

Anstatt auf diese Einsicht hin zügig die Gesetzeslage zugunsten eines schnellen Atomausstiegs zu verändern, entschloss sich Kanzlerin Merkel zum wahltaktischen Gesetzesbruch. Ihr so genanntes „Moratorium“ sieht eine dreimonatige Stilllegung und Überprüfung sieben ausgewählter Kernkraftwerke vor. Dieser Beschluss ist ein politisches Placebo ohne rechtliche Bindungskraft. Für diese politische Volte holte sie sich erst das Einverständnis der Energiebosse ein – und führte dann nachträglich eine Bestimmung des Atomgesetzes an, die eine Stilllegung angeblich rechtfertigen soll. Das Ziel des Ganzen: Die Täuschung der Öffentlichkeit.

Wie wenig ernst die Regierung ihre eigene Aktion nimmt, zeigt die nicht vorhandene rechtliche Grundlage ihrer aktionistischen Politik. Die vom Umweltminister benannte Vorschrift des Atomgesetzes sieht keine Abschaltung von AKWs vor, die potenziell gefährlich sein könnten. Der Paragraph ist auf ganz konkrete Gefahrenlagen ausgerichtet – nicht jedoch auf die Neubewertung allgemein bekannter, abstrakter Risikolagen.

Die Regierung missbraucht jedoch nicht nur Gesetze, sondern setzt sich auch zu ihrem früheren Verhalten in Widerspruch. Im letzten Jahr wurde sie nicht müde zu betonen, wie sicher und ungefährlich die deutschen AKWs seien. Nun erkennt sie plötzlich akute Gefahren, die eine Anwendung des Atomgesetzes rechtfertigen sollen. Dabei hat das Erdbeben in Japan die Lage in Deutschland objektiv in keiner Weise verändert.

Die Regierung will mit dieser politischen Volte eigentlich nur eines erreichen: Sie möchte das Parlament umgehen. Das hat unter Kanzlerin Merkel System. Sie ist sich keines Tricks zu schade, um den Bundestag links liegen zu lassen.

Dabei ist klar: Nur neue Gesetze können das Handeln der Bundesregierung auf eine verfassungskonforme Grundlage stellen. Wer geltende Gesetze nicht anwenden möchte, muss sie ändern. Ansonsten führt sich Politik selbst ad absurdum. Nur neue Gesetze tragen der Sicherheit der Bevölkerung Rechnung, die laut Regierung angeblich oberste Priorität genießt. Das „Merkel-Moratorium“ tut genau dies nicht. Es lässt die Bevölkerung im Unklaren, ob Schrott-Meiler nicht doch wieder angeschaltet werden. Es sieht eine deutlich zu kurze Frist für die Sicherheitsüberprüfung der AKWs vor. Und es zwingt die Bundesregierung dazu, sich dem Gutdünken der Atombosse auszuliefern.

Der eigentliche Grund für Merkels Streben gegen neue Gesetze waren die Landtagswahlen in Baden-Württemberg. Das hat auch Minister Brüderle wenige Tage vor dem Wahltermin eingestanden. Die Regierung möchte keine Gesetze für den Aussteig aus der Atomkraft – schlicht weil sie diesen Ausstieg nicht möchte. Nur anhaltender öffentlicher Protest wird Schwarz-Gelb dazu bringen können, hier umzulenken.