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Petra PauFoto: DBT / Simone M. Neumann

Waffenparadies Baden-Württemberg?

Nachricht von Petra Pau,

Von Gerd Wiegel
 
NSU-Bezugspunkte in Baden-Württemberg

In der 35. Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses ging es schwerpunktmäßig um den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter und den versuchten Mord an ihren Kollegen Michael Arnold Zudem waren die engen und langjährigen Kontakte des Trios nach Baden-Württemberg Thema. In nicht-öffentlicher Sitzung wurde am Abend eine Zeugin aus dem BfV gehört, die mit der Betreuung des enttarnten V-Mannes Corelli bis zu seinem Tod zu tun hatte.

Die aktuelle Entwicklung der Identifizierung von DNA-Spuren von Uwe Böhnhardt am Fundort der Leiche der seit 2001 vermissten Peggy war Thema der Beratungssitzung des Ausschusses. Von Seiten der Generalbundesanwaltschaft (GBA) wurde dargestellt, wie dieser Komplex bearbeitet wird. Alle Massendaten der EG Trio und der SOKO Peggy sollen ausgetauscht und miteinander abgeglichen werden. Sobald Ergebnisse dieser Ermittlungen vorliegen, sollen sie auch im Untersuchungsausschuss berichtet werden. Schließlich sollen die Länder Bayern und Thüringen in der nächsten Beratungssitzung gebeten werden, ihre aktuellen Ermittlungen zu diesem Komplex vorzustellen.
 
Netzwerk des Trios in Baden-Württemberg

Allein 52 direkte oder indirekte Kontaktpersonen hatte das Trio seit den frühen 1990er Jahren bis mindestens 2001 in Baden-Württemberg und damit eine potenzielles Netzwerk so dicht wie in wenigen anderen Bundesländern. Seit 1993 besuchten Zschäpe und Mundlos, später auch mal begleitet von Böhnhardt, regelmäßig eine befreundete Naziclique in Ludwigsburg. Von mindestens 30 Besuchen zwischen 1993 und 2001 ist die Rede, womit es auch nach dem Abtauchen und dem Beginn der Überfall- und Mordserie des Trios noch Kontakte zu den alten Freunden gab, die anscheinend als besonders vertrauenswürdig galten. In einem der in der Garage in Jena gefundenen Mundlos-Briefe wird über einen dieser Besuche berichtet und hier wird vor allem die Faszination für die Waffensammlung eines ihrer Gastgeber, H.J. Schmidt, deutlich. Leider, so Mundlos, habe es sich nur um Deko-Waffen gehandelt. Doch aus den Akten wird deutlich, dass Schmidt auch echte Waffen besaß. Überhaupt muss dem Trio die Szene in Baden-Württemberg wie ein einziger „Waffenladen“ vorgekommen sein, wie es Mundlos formuliert. Ein Freund von Schmidt, Steffen Jürgens, handelte illegal mit scharfen Waffen, war selbst Besitzer eines ganzen Waffenarsenals und hat zudem bis heute eine Erlaubnis zum Umgang mit Sprengstoff. Seine Straftatenhistorie füllt eine halbe Seite und auch er gehört(e) zur Naziszene in Baden-Württemberg. Aus den Akten des LKA lässt sich entnehmen, dass man laut Waffenbehörde keine Möglichkeit sehe, Jürgens die Waffenerlaubnis zu entziehen.

Vor dem Hintergrund des aktuellen Falls eines Reichsbürgers, der mehrere Polizisten niederschoss und einen von ihnen tötete, fragt man sich ungläubig, welche Einschätzungen zur Gefährlichkeit von bewaffneten Nazis auch fünf Jahre nach dem Auffliegen des NSU-Falls noch in manchen Behörden vorliegen.

Bis heute ist für einen Großteil der Waffen des NSU ungeklärt, woher sie stammen. In Baden-Württemberg bewegte sich das Trio in Kreisen, für die der Umgang mit Waffen alltäglich war. Ein vom BKA vernommener Zeuge aus Baden-Württemberg will bei einem Besuch des Neonazis Sven Rosemann in Thüringen eine größere Menge an Waffen gesehen haben, die er auch genau beschreiben konnte. Darunter eine Ceska 83, eine Kalschnikow, eine Mossberg Pumpgun und eine belgische FN. Genau solche Waffen sind auch im Brandschutt der Wohnung des Trios in Zwickau gefunden worden. Rosemann habe diese Waffen über einen Nazi aus Baden-Württemberg bekommen, der sie selber aus der Schweiz habe. Dennoch kommt das BKA zu der Einschätzung, die vom Zeugen beschriebenen Waffen seien nicht die aus der Frühlingstraße. Begründung: In technischen Details gäbe es Abweichungen zur Beschreibung des Zeugen!?
 
EG-Umfeld als Papiertiger

Alle diese Informationen finden sich im Bericht der EG-Umfeld aus Baden-Württemberg, deren Leiterin Hißlinger erste Zeugin im PUA war. Aufgabe dieser Ermittlungsgruppe war es, alle Bezugspunkte des Trios in und nach Baden-Württemberg aufzuarbeiten. Anlass zur Einrichtung der EG war der politische Druck auf die Landesregierung, einen eigenen Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex einzusetzen, was die grün-rote Landesregierung zunächst jedoch mit allen Mitteln verhindern wollte. Eine dieser Mittel war die EG-Umfeld, denn, so die Argumentation, mit ihr arbeite man alles auf, was ein Untersuchungsausschuss untersuchen könne. Jedoch besaß die EG-Umfeld keines der Mittel, die man für eine tatsächliche Aufklärung braucht. Nur im Rahmen des Polizeirechts arbeitend konnte die EG Zeugen nur befrage, wenn diese sich freiwillig darauf einließen. Alle spannenden oder brisanten Punkte mussten an BKA bzw. GBA als ermittlungsführender Behörde abgegeben werden, von wo die EG nur wenig darüber erfuhr, was aus den Ansätzen geworden ist. Weder wurden z.B. die Phantombilder im Zusammenhang mit dem Mord in Heilbronn mit dem 52 Kontakten des Trios nach Baden-Württemberg abgeglichen, noch geschah ein Abgleich der Massendaten aus Heilbronn mit den Handy- und Fahrzeugdaten dieser Personen. Mit der These von Mundlos und Böhnhardt als Täter erübrigte sich anscheinend die Suche nach möglichen Helfern.

Selbst für das enge Unterstützerumfeld des Trios aus dem B&H-Bereich, so für Jan Werner, Thomas Starke, Andreas Graupner, lassen sich vielfältige Bezugspunkte nach Baden-Württemberg nachweisen. Nach Aussage von Frau Hißlinger konnten jedoch keine Unterstützungshandlungen festgestellt werden.
 
Tatort Heilbronn

Während der Zeuge vom LfV Baden-Württemberg wenig Neues zur Aussage von Frau Hißlinger hinzufügen konnte, ging es mit den beiden letzten Zeugen um die konkreten Ermittlungen zum Mord und Mordversuch in Heilbronn. Der Zeuge Fink war u.a. für die Ermittlungen zu den Funkzellendaten in Heilbronn verantwortlich. Nach dem Auffliegen des NSU und den Ermittlungen zum Umfeld hätte ein Abgleich dieser Daten mit den Daten aus dem NSU-Umfeld nahegelegen. Der Zeuge berichtete jedoch nur von 3-4 Telefonnummern mit Bezug zum Trio, die ihm gegeben worden seien. Von einem Abgleich mit allen Kontakten des Trios in Baden-Württemberg oder den bekannten Unterstützern wusste er nichts.

Schließlich ging es mit dem Zeugen Brand um die Zeugenaussagen zum 25. April 2007, dem Tag des Mordes bzw. Mordversuchs an Frau Kiesewetter und Ihrem Kollegen Arnold. Mehrere Zeugen haben an unterschiedlichen Orten blutverschmierte Männer in der Nähe des Tatortes gesehen. Ablauf und Zeitangaben der Zeugen ließen sich mehr oder weniger sinnvoll miteinander verbinden, zudem wurden die Zeugen von Herrn Brand als sehr glaubwürdig eingeschätzt. Da jedoch die Anzahl der von den Zeugen gesehenen Personen einer alleinigen Täterschaft von Böhnhardt und Mundlos zu widersprechen scheint, wurde diesen Aussagen nach dem 4.11.2011 nur noch wenig Beachtung geschenkt.
 
Die nächste Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses findet am 10.November 2016 statt und wird sich mit dem Tatort Köln (Probsteigasse und Keupstraße) befassen.