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Waffenlieferungen befeuern den Bürgerkrieg in Syrien

Interview der Woche von Jan van Aken, Diether Dehm,

Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, und Diether Dehm, europapolitischer Sprecher, über die Ergebnisse des G8-Gipfels der vergangenen Woche, Waffenlieferungen an Syrien und deren mögliche Folgen, das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA sowie die G8-Pläne zur Bekämpfung von Steueroasen


Der Bürgerkrieg in Syrien stand im Mittelpunkt des G8-Gipfels vergangene Woche. Geht es nach den G8, soll Syrien schnell eine Übergangsregierung bekommen. Ist das angesichts der Situation mehr als Wunschdenken?

Jan van Aken: Nein, es ist pures Wunschdenken und es ist außerdem zutiefst verlogen. Denn während beide Seiten beim Gipfel über den Frieden in Syrien plaudern, befeuern sie hinten herum den Krieg. Mit Waffenlieferungen, mit der Ausbildung von Rebellen, mit politischer Unterstützung.

Da Sie die Waffenlieferungen ansprechen: Russlands Präsident Putin hält an Assad als
legitimen Machthaber in Syrien fest. Russland wird weiterhin Assads Truppen mit Waffen beliefern, während die USA in der Woche zuvor angekündigt haben, nun die Rebellen zu beliefern. Worauf läuft das hinaus?

Jan van Aken: Es ist falsch, dass Russland Assad mit Waffen beliefert. Und genau so falsch ist es, wenn Saudi Arabien, die Türkei oder die USA die Rebellen mit Waffen beliefern. Ich kann einen Brand nicht löschen, indem ich noch ordentlich Öl hineingieße. Es wird noch mehr Leid, noch mehr Opfer und noch mehr Flüchtlinge geben. Wenn die syrischen Aufständischen jetzt auch ganz offiziell – und völkerrechtswidrig – mit modernsten Waffen aus Europa und den USA ausgerüstet werden, wird das eine weitere Eskalation herbeiführen.

Warum hat die EU das Waffenembargo gegen Syrien Ende Mai auslaufen lassen?

Diether Dehm: Die Verlängerung hätte nach den Regeln der EU nur einstimmig beschlossen werden können. Die Mitgliedstaaten sind sich aber uneinig über das weitere Vorgehen: Großbritannien und Frankreich wollten ein Teilembargo durchsetzen, das es ermöglicht hätte, die syrischen Aufständischen mit Waffen zu beliefern. Nicht Deutschland, aber Österreich, Tschechien und Schweden lehnten solche Waffenlieferungen kategorisch ab.

Welche Gefahren birgt der syrische Bürgerkrieg für Europa?

Diether Dehm: Aus dem Bürgerkrieg kann ein Flächenbrand in der ganzen Region mit einer Vielzahl weiterer Toter und Vertriebener entstehen. Zu befürchten ist, dass sich – unterstützt von Saudi-Arabien und den Golf-Staaten – Salafisten, Wahhabiten und andere durchsetzen. Dadurch würden die bestehenden geringen Aussichten für eine demokratische Entwicklung vollends beseitigt.

Was sind Alternativen, um dem Blutvergießen in Syrien ein Ende zu machen?

Jan van Aken: Die Bundesregierung muss sofort die Bundeswehr mit den Patriot-Raketen aus der Türkei abziehen. Deutsche Soldaten haben in Kriegsregionen nichts verloren. Deutschland ist damit selbst zur Kriegspartei geworden, was ein schwerer Fehler ist. Assad ist militärisch nicht zu besiegen, mehr als zwei Jahre Bürgerkrieg zeigen das in grausamer Deutlichkeit. Nur Verhandlungen über eine Waffenruhe können das Blutvergießen in Syrien wirklich stoppen.

Ein anderes Thema des Gipfels war das Freihandelsabkommen zwischen EU und USA. Wo sehen Sie Vor- und Nachteile und was wiegt schwerer?

Diether Dehm: Da habe ich die übelsten Befürchtungen. Gegenstand der Verhandlungen ist nicht nur die Senkung der Zölle, die zwischen der EU und den USA ohnehin auf einem relativ niedrigen Niveau von durchschnittlich fünf bis sieben Prozent liegen, sondern auch die weitreichende Abschaffung nichttarifärer Handelshemmnisse. Damit sind Regelungen und Standards gemeint, die höherwertige Interessen in Bereichen wie Gesundheit, Einsatz von Gentechnik, Atomtechnik, Verbraucher- oder Umweltschutz schützen. Es besteht die Gefahr, dass in den Verhandlungen in sozialen und ökologischen Fragen die niedrigsten Standards durchgesetzt werden. Außerdem könnten die ersten und viel zu zaghaften Versuche zur Regulierung der Finanzmärkte abgebrochen werden und sich die kulturelle Hegemonie der monopolistischen US-Kulturwirtschaft durchsetzen.

Welche Folgen hätte ein Freihandelsabkommen aus außenpolitischer Sicht?

Jan van Aken: Die geballte Macht von EU und USA wäre international kaum noch zu brechen. Es würde die weltweite Ungerechtigkeit noch weiter zementieren, Widerstand dagegen wird noch schwerer. Dass weder EU noch USA davor zurückschrecken, ihre Interessen auch kriegerisch durchzusetzen, macht das Szenario noch besorgniserregender.


Auf dem Gipfel wurde beschlossen, ein multinationales Modell zu erarbeiten, damit Steuerschlupflöcher geschlossen werden können. Gleichzeitig ermöglicht zum Beispiel Großbritannien mit den Kanalinseln Steueroasen vor der eigenen Haustür. Wie beurteilen Sie diese politische Willenserklärung?

Diether Dehm: Das beurteile ich nicht als politische Willenserklärung, sondern als hohle Phrase. Der Verweis auf Großbritannien ist doch das beste Beispiel. Um ihren internationalen Finanzhandelsplatz London zu schützen, nehmen die Briten doch auch nicht an der Einführung der Finanztransaktionssteuer teil. Da nehmen sie es lieber in Kauf, dass Handel und Spekulation mit Wertpapieren weiterlaufen und sich über kurz oder lang wieder zu einer Krise auswachsen können. Solange die europäischen Partner in solch zentralen Fragen eben keine Partner sind, sondern Konkurrenten, wird sich beim Thema Steuerschlupflöcher kaum etwas bewegen.

Welche Bedeutung hat Steuergerechtigkeit für die Lösung der Eurokrise?

Diether Dehm: Steuergerechtigkeit würde bei der Bewältigung der Krisenkosten helfen und insofern den Schuldendruck von den Ländern nehmen. Außerdem ist es nur gerecht, wenn die breiten Schultern endlich ihren Beitrag leisteten. Nach vorn gedacht wäre Steuergerechtigkeit ein Weg, um sicherzustellen, dass Staaten gemeinwohlorientiert handeln können. Gleichzeitig würde die exorbitante Vermögenskonzentration abgebaut. Dann gäbe es nicht mehr so viel Spielgeld, mit dem auf den Finanzmärkten hemmungslos mit abstrusen Finanzprodukten und Lebensmitteln spekuliert werden kann.

linksfraktion.de, 24. Juni 2013