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Von der Tragödie zur Farce: In den nächsten Krieg

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

 

Von Sevim Dagdelen, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, als Gastkommentar in der Tageszeitung junge Welt

 

Was wir in Folge der Terroranschläge von Paris erleben, erinnert an das berühmte Diktum von Karl Marx in »Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte«: »Hegel bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.« Nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 wurde von US-Präsident George W. Bush der »Krieg gegen den Terror« ausgerufen. Auch die NATO wollte ihren Beitrag leisten, erklärte die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon zum Angriff auf das Hoheitsgebiet der USA und rief nach Artikel 5 der NATO-Charta den Bündnisfall aus. Der dauert bis zum heutigen Tag an. Auf Grundlage dieses Bündnisfalls wird auch der Afghanistan-Krieg geführt.

Aus einigen Hundert sind nach fast 15 Jahren Antiterrorkrieg und Regime-Change-Politik des Westens Zehntausende Terroristen geworden. Umso bemerkenswerter ist, dass unmittelbar nach den Anschlägen von Paris am 13. November der französische Präsident François Hollande postulierte: »Ja, Frankreich befindet sich im Krieg«, und so tat, als würde es die Erfahrungen aus dem Krieg gegen den Terror nicht geben. Frankreich aber rief nicht die NATO, sondern die EU an, um militärische Unterstützung für seine kriegerische Antwort auf den Terror zu erhalten. Per Akklamation bestätigten die Verteidigungsminister der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union am 17. November das französische Hilfsersuchen auf Grundlage von Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen versprach prompt nach dem Vorbild der indirekten Beteiligung Deutschlands am Irak-Krieg den Ersatz französischer Soldaten in Mali durch eine Verstärkung der Bundeswehr. Die Bundesregierung insgesamt hält sich zudem eine Beteiligung am Krieg in Syrien offen. Wie so oft in solchen Angelegenheiten schlägt jetzt aber erst einmal die Stunde der parlamentarischen Hinterbänkler und ehemaligen NATO-Generäle. So meint der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter, Deutschland solle in Syrien seine militärischen Fähigkeiten einsetzen, wie etwa »Tornados« zur Aufklärung. Der frühere NATO-Oberbefehlshaber James Stavridis sprach sich gar für die Entsendung von Bodentruppen des Militärpakts aus und sagte der BBC, dass 10.000 bis 15.000 Soldaten ausreichen würden, um den IS zu besiegen.

Kritiker eines NATO-Einsatzes, wie der Nahostexperte Michael Lüders, weisen darauf hin, dass mit einer Entsendung von Bodentruppen lediglich das Kalkül des »Islamischen Staats« (IS) aufginge. Bei den Grünen wiederum ist Streit ausgebrochen, ob man sich auf Anfrage aus Paris nicht an einem Krieg in Syrien beteiligen solle. Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Omid Nouripour, forderte am Freitag, man könne nicht etwas ausschließen, bevor Frankreich formuliert habe, was es überhaupt wolle. Frankreich scheint aber auf Krieg zu setzen und was den Kriegseinsatz von Militärbündnissen angeht, gerade wegen des Ansehensverlusts der NATO, auch auf einen EU-Militärschlag in Syrien an der Seite der USA. Anders ist die Aktivierung der militärischen Beistandsklausel der EU statt des Bündnisfalls nach Artikel 5 des NATO-Vertrages nicht zu erklären. Das Prestige der EU soll jetzt gemeinsam mit der Legitimation eines UN-Mandats zu einer besseren Akzeptanz eines offenen Krieges in Syrien dienen. Vieles deutet darauf hin, dass sich die Bundesregierung im Rahmen der Merkel-Doktrin, Waffen an befreundete Akteure zu liefern, am Krieg in Syrien beteiligen wird, d.h. eventuell auch an den Luftangriffen. Die Truppen vor Ort sollen aber Syrer und Iraker selbst stellen.

Während bei der NATO nach »9/11« noch in einem ordentlichen Verfahren abgestimmt wurde und theoretisch auch eine Blockade des Bündnisfalls möglich gewesen wäre, erfolgte jetzt in der EU alles lediglich auf Zuruf. Eine Abstimmung über die militärische Beistandsklausel in Reaktion auf die Terroranschläge des 13. Novembers war nicht einmal vorgesehen. Die Entscheidungskompetenz des Bundestages ist dadurch völlig ausgehebelt. Sicher müssen alle folgenden Anträge der Bundesregierung für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte noch im Parlament abgestimmt werden. Bei der Grundsatzentscheidung über Krieg und Frieden aber hatte der wilhelminische Reichstag mehr mitzureden als der Bundestag des 21. Jahrhunderts bei der Erklärung militärischen Beistands in Antwort auf ein Attentat. So wird eine Farce der Auftakt für den kommenden Krieg gegen den Terror.

junge Welt, 21. November 2015