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Von Bankenmacht und Barrikaden

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Am 18. März wurde in Frankfurt/Main der neue Sitz der Europäischen Zentralbank eröffnet. Es wurde wenig gefeiert und viel protestiert. Eine linksfraktion.de-Reportage

 

 

Von Sophie Freikamp und Paul Schwenn

 

Mitten in Frankfurt/Main, der Banken- und Börsenstadt, steht ein riesiger brandneuer Glas- und Betonklotz. Dieser Wolkenkratzer ist kein beliebiges Hochhaus in der mächtigen Skyline von Frankfurt, sondern ein Symbol für die Sparmaßnahmen der Troika, die in den Südstaaten Europas seit Jahren Elend verursachen. Es handelt sich um den 1,3 Milliarden Euro schweren Neubau der Europäischen Zentralbank (EZB), die am 18. März im kleinen elitären Kreis ihre Eröffnung zelebrieren will.

Solidarität mit der krisengebeutelten Bevölkerung Europas

Aber an diesem 18. März versammeln sich auch Menschen aller Altersklassen, um gegen die menschenunwürdige Kürzungspolitik der Troika zu protestieren. Sie feiern die EZB nicht, sie demonstrieren gegen die europäische Austeritätspolitik, solidarisieren sich mit der krisengebeutelten Bevölkerung Europas. Das Bündnis „Blockupy“ hat Aktionen des zivilen Ungehorsam geplant, eine Kundgebung und eine Demonstration angemeldet. Gekommen sind unter anderem Aktivisten aus Griechenland, Spanien, Italien und Skandinavien.

Breite europäische Mobilisierung

Als die Bundestagsabgeordnete Katja Kipping am Mittwochmorgen um 6.30 Uhr in den Bus einsteigt, der sie zu den ersten Aktionen des Tages bringt, sitzen bereits ihre Kolleginnen aus Berlin, Nicole Gohlke und Annette Groth, beide ebenfalls Abgeordnete im Bundestag für DIE LINKE, drin. Alle drei haben neon-gelbe Westen an, auf ihren Rücken steht „Parlamentarischer Beobachter“. Die Abgeordneten wollen deeskalierend eingreifen und bei Problemen im Sinne der Demonstranten mit der Polizei verhandeln. Außerdem betreut die LINKE im Bundestag einen Infopunkt, verteilt Tee und Materialien für einen friedfertigen Protest. Kipping, Gohlke und Groth wollen im Laufe des Tages immer wieder vorbeischauen, sagen sie. Dort werden sie auch mehrere andere Abgeordnete ihrer Fraktion treffen, die nach Frankfurt gekommen sind. Beim Durchsprechen der nächsten Schritte werden die Abgeordneten schnell munter, Aufregung und Vorfreude macht sich breit: „Es ist deutlich geworden, dass es eine breite europäische Mobilisierung für Blockupy gibt, eine grenzenüberschreitende gemeinsame Praxis“, sagt Kipping.

Deeskalieren, so gut es geht

Bald nach dem Aussteigen aus dem Bus wird klar: So einfach wird das alles heute nicht. Bereits jetzt sehen Katja Kipping, Nicole Gohlke und Annette Groth brennende Polizeiautos, Tränengaswolken wabern auf der Straße. Das ist nicht die Art von Protest, die sich die Abgeordneten gewünscht hätten, ebenso nicht gewollt vom „Blockupy“-Bündnis – Gewaltfreiheit war im Aktionskonsens vereinbart. Jetzt heißt es, so gut es geht zu deeskalieren. Tausende Protestler, die große Mehrheit, ist friedlich. Diesen friedlichen, fröhlichen und kreativen Aktivisten versuchen die drei Abgeordneten den ganzen Morgen und Mittag – so gut es geht – Geleit und Schutz zu geben. Am späten Vormittag beruhigt sich die Lage, die Infopunkte werden aufgelöst und der größte Teil der Aktivisten erholen sich von dem bewegten, schwierigen Vormittag. Denn am Nachmittag, ab 14 Uhr, sind die großen offiziellen Veranstaltungen angekündigt: Die Kundgebung auf dem Römerberg und die große Demonstration. Friedlich und bunt sollen sie werden, ein Zeichen setzen und Solidarität mit den Leidtragenden der Krise vermitteln. Auch die drei Abgeordneten machen sich auf den Weg, auch für sie geht es weiter bis in die Abendstunden.

»Ich bin hier, um gegen die Sparpolitk der Troika, insbesondere der EZB zu demonstrieren«

Bei strahlender Sonne strömen am Nachmittag immer mehr Menschen auf den Römerberg in der Innenstadt Frankfurts. Fahnen, Transparente und Luftballons bestimmen das Bild vor der Paulskirche. Die Stimmung der Demonstranten ist, trotz der Vorfälle des Vormittags, fröhlich und friedlich. Einer von den Protestlern ist Eric Sindermann. Er ist 20 Jahre alt und studiert Wirtschaftsmathematik in Marburg. "Ich bin hier, um gegen die Sparpolitk der Troika, insbesondere der EZB zu demonstrieren. Die Finanzhilfen für Griechenland helfen ausschließlich den Banken, den Menschen bringen sie nichts", findet Eric. "Vor allem die Vielfalt und die vielen Sprachen, die Menschen aus den verschiedensten Ländern, die das gleiche Ziel verfolgen, beeindrucken mich".

»Wir brauchen kein Europa der Millionäre, das Vermögen gehört uns allen«

Die Rednerliste der Kundgebung ist ähnlich bunt. Als Vertreter der griechischen Regierung findet Giorgos Chondros, Mitglied des Parteivorstandes von Syriza, mutige Worte. Vor wenigen Jahren kämpfte seine Partei noch um den Einzug ins Parlament, inzwischen stellt Syriza die Regierung. Der spanische Podemos-Mitbegründer Miguel Orban hält eine flammende Rede über das sparmaßnahmenbedingte Leid in Südeuropa. Kabarettist Urban Priol liefert einen satirischen Kommentar zu den widersprüchlichen Argumentationen deutscher Regierungspolitiker zum Spardiktat der Troika. Musikacts wie "Strom und Wasser" geben in ihren Texten ihre Meinung zu Managermentalitäten und deutscher Asylpolitk wieder. Über die klimatischen Auswirkungen der Troikapolitik klärt die kanadische Globalisierungskritikerin Naomi Klein auf. Bezogen auf den Vormittag ruft sie den Machthabern in Europa zu: "Ihr verbrennt keine Autos, sondern den ganzen Planeten." Eindringlich und energisch macht auch Sahra Wagenknecht, Mitglied der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, deutlich: "Wir brauchen kein Europa der Millionäre, das Vermögen gehört uns allen."

»People over Banks«

Ausgestattet mit den Argumenten der Kundgebung setzt sich am frühen Abend der Demonstrationszug in Bewegung. 20 000 Protestler äußern laut ihren Unmut über Troikapolitik und Spardiktat. Forderungen wie "People over Banks" oder "Gemeinsam gegen die Macht der Banken" sind auf Transparenten rund um den LINKE-Block zu lesen. Trotz hohem Polizeiaufgebot bleibt die Stimmung bis zum Ziel der Demonstration, dem Platz vor der Alten Oper, friedlich. Erschöpft, aber glücklich wirkt auch Eric, als er die Oper erreicht: "Die Demo ist für mich ein positives Signal. Eine große Anzahl von Menschen solidarisieren sich mit Griechenland, hoffentlich kommt der Protest auch bei Herrn Schäuble an", sagt er und: "wenn nicht, dann komm ich wieder!"

 

linksfraktion.de, 19. März 2015