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Verschwiegen. Vergessen. Wiederentdeckt.

Periodika,

Ilse Stöbe war eine Widerstandskämpferin im Stillen. Sie wurde von der Gestapo ermordet. Nach mehr als 70 Jahren steht ihr Name jetzt auf der Erinnerungstafel im Auswärtigen Amt.

 

 

Schön sei sie gewesen, heißt es. Blitzgescheit dazu, lebensfroh, nachdenklich, neugierig, politisch. Und Ilse Stöbe war unglaublich jung, als die Nazis sie hinrichteten. Un- mittelbar vor Weihnachten, am 22. Dezember 1942 in Berlin-Plötzensee. Sie starb unter dem Fallbeil mit nur 31 Jahren. Die Anklage lautete auf Spionage und Hochverrat. Verurteilt wurde sie „wegen Landesverrats zum Tod und zum dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte.Wer war diese Frau? Warum gibt es kaum Spuren von ihr? Und warum bemühten sich DIE LINKE, besonders Wolfgang Gehrcke, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion, und die Autoren Hans Coppi, Sabine Kebir und Johanna Bussemer immer und immer wieder, Ilse Stöbe zu ehren und sie in unser geschichtliches Gedächtnis zurückzuholen?

 

Geboren und aufgewachsen ist Ilse Stöbe im Berliner Stadtteil Lichtenberg. Der Vater Tischler, die Mutter Näherin. Als die Tochter Ilse im Mai 1911 geboren wird, gibt es in der Familie bereits einen älteren Bruder. Das Mädchen Ilse ist lernbegierig, sie liebt Bücher, Theater, Sport, Wandern und Musik. Zeitzeugen erzählten, sie habe „ergreifend Lieder von Brahms, Schumann und Schubert interpretiert“. Nach dem Schulabschluss lernt sie den Beruf einer Sekretärin und Stenotypistin, wird vom Chefredakteur des legendären Berliner Tageblatts, Theodor Wolff, ins Chefsekretariat geholt, und dort beginnt sie schließlich auch selbst journalistisch zu arbeiten. Sie reist durch Europa, ihre Artikel erscheinen in der Neuen Züricher Zeitung und in anderen deutschsprachigen Blättern. Doch parallel dazu beginnt das geheime Leben der Ilse Stöbe.

Sie arbeitet gegen das NS-Regime, fotografiert Dokumente, kopiert Berichte, gibt Unterlagen und Informationen an den militärischen Nachrichtendienst der Sowjetunion weiter. Dafür gewonnen – schon 1931 – hat sie der ebenfalls beim Berliner Tageblatt angestellte Journalist Rudolf Herrnstadt. Er kommt aus einer bürgerlich jüdischen Familie und wird während der Naziherrschaft sämtliche Angehörigen verlieren. Als Korrespondent in Warschau macht Herrnstadt Ilse Stöbe mit dem Diplomaten Rudolf von Scheliha bekannt. Ab Mai 1940 bis Jahresende 1941 arbeitet sie unter Scheliha im Auswärtigen Amt Berlin. Der Diplomat gibt brisante Interna an Ilse Stöbe weiter. Ob er wusste, dass der sowjetische Geheimdienst der Adressat war, ist bis heute umstritten. Ilse Stöbe warnt den Militärgeheimdienst in Moskau mehrfach vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion. Im September 1942 wird sie im Zusammenhang mit der Widerstandsgruppe Rote Kapelle enttarnt. Sie gehörte jedoch keiner der Gruppierungen an, die unter dem von der Gestapo eingeführten Begriff Rote Kapelle später bekannt geworden sind.

Nach dem Krieg wurde sie vergessen oder nur noch wenig erwähnt. Der Westen stempelte Ilse Stöbe in Zeiten des Kalten Kriegs als „Spionin für Stalin“ ab. Im Osten wusste die breite Öffentlichkeit wenig von ihr. Aus ihrer Familie gab es niemanden mehr, der für eine Rehabilitierung hätte eintreten können. Die Mutter ermordet im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, der Bruder hingerichtet im Zuchthaus Brandenburg. Hinzu kam, dass Ilse Stöbe sich keiner Widerstandsgruppe eindeutig zuordnen ließ. Sie sei eine „Grenzgängerin“, schreibt Johanna Bussemer. Nach der deutschen Wiedervereinigung war es Elfriede Brüning, die mit fast 104 Jahren erst kürzlich verstorbene Schriftstellerin, die Ilse Stöbe wieder aus dem Dunklen holte mit ihrem Buch „Gefährtinnen. Porträts vergessener Frauen“.

Seit dem Jahr 2011 existiert der Antrag der Fraktion DIE LINKE, Ilse Stöbe als Widerstandskämpferin zu würdigen. Auf der großen weißen Tafel im Auswärtigen Amt standen bislang zwölf Namen von Mitarbeitern, die von den Nazis ermordet wurden und als „aktive Widerstandskämpfer“ gel- ten, darunter auch Rudolf von Scheliha. Im Juli 2014 kam Ilse Stöbes Name hinzu. Feierlich, während einer Gedenk- stunde, als erste Frau und einzige Nichtdiplomatin.

 

Hans Coppi/ Sabine Kebir:

llse Stöbe: Wieder im Amt.

Vorwort von Johanna Bussemer und Wolfgang Gehrcke

VSA: Verlag Hamburg, 232 Seiten, 16,80 Euro.

Aktualisierte Neuauflage: Frühjahr 2015.