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Vermögende knallhart besteuern

Interview der Woche von Klaus Ernst,

Klaus Ernst, Vorsitzender der Partei und Mitglied des Vorstandes der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über die Pendlerpauschale, die Rolle der LINKEN in NRW als soziales Korrektiv, gerechte Löhne, den Irrglauben, sich aus Schulden raussparen zu können, und die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums

 

Die Benzinpreise erreichen neue Rekordmarken. Sie haben bereits Anfang März eine Erhöhung der Pendlerpauschale im Bundestag gefordert, als sonst noch niemand davon sprach. Inzwischen streitet die schwarz-gelbe Koalition darüber. Warum muss die Pendlerpauschale erhöht werden?

Klaus Ernst: Da die Fahrtkosten steigen, muss auch die Pendlerpauschale steigen. Alles andere wäre schließlich eine schleichende Schrumpfung der Pauschale. Was wir täglich an den Tankstellen erleben, ist also im Prinzip nichts anderes, als eine indirekte Steuererhöhung. Nach einem von uns in Auftrag gegeben Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag müsste die Pendlerpauschale inzwischen statt 30 etwa 74 Cent pro Entfernungskilometer betragen, damit Durchschnittsverdienende über die Steuerersparnis den gleichen Anteil der Fahrtkosten decken könnten wie 1991. Legt man das Entlastungsniveau des Jahres 2004 zugrunde, müsste die Pauschale bei 49 Cent liegen.

Die Pendlerpauschale kommt aber auch vielen zugute, die sie nicht unbedingt brauchen. Die haben gut bezahlte Jobs in der Stadt, wohnen aber lieber beschaulich im Grünen. Wo bleibt da die Gerechtigkeit?

Deswegen fordern wir für Geringverdienende ein pauschales Pendlergeld, etwa nach dem Vorbild des Kindergeldes.

In Nordrhein-Westfalen ist Wahlkampf. Die Spitzenkandidaten von CDU und FDP, Norbert Röttgen und Christoph Lindner, sprechen sich jetzt auch für eine Erhöhung der Pendlerpauschale aus. Ihre Einschätzung?

Zunächst freue mich natürlich, dass sich nun auch prominente Stimmen aus der CDU für die Anhebung der Pendlerpauschale aussprechen. Als Vertrauter der Kanzlerin müsste Norbert Röttgen eine Erhöhung der Pauschale ja eigentlich ablehnen. Aber schließlich befindet sich auch die CDU gerade im Wahlkampf. Und die FDP ist sich im Moment sowieso für nichts zu schade. Bei ihr geht es um das politische Überleben. Leider werden wir noch sehen, dass sich die Zwei-Prozent-Partei weder bei der Abschaffung der Praxisgebühr, noch bei der Anhebung der Pendlerpauschale durchsetzen wird.
Bei der Wahl in NRW steht für die Menschen viel auf dem Spiel, die soziale Schieflage nimmt seit Jahren stetig zu, das Armutsrisiko wächst. Was muss geschehen, damit sozialer Fortschritt kein Fremdwort bleibt?
Die Landespolitik in NRW braucht DIE LINKE als ein soziales Korrektiv. Das hat nicht zuletzt die geplante Kooperation von SPD und Grünen mit den Kürzungsfanatikern von der FDP gezeigt. Es war DIE LINKE, die sich bei der Abschaffung der Studiengebühren oder dem neuen Tariftreuegesetz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge durchgesetzt hat. Gleichzeitig haben wir in NRW dafür gesorgt, dass durch die Einstellung zusätzlicher Steuerfahnder und die Erhöhung der Grunderwerbssteuer die Einnahmebasis von Land und Kommunen verbessert wurde. Das haben die Menschen in NRW nicht vergessen. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir auch bei der Wahl am 13. Mai die Stimmen derer bekommen, die bessere Arbeits- und Lebensbedingungen wollen.
Ende März machte die Nachricht die Runde, dass in Deutschland fast jede und jeder Vierte mit Niedriglöhnen abgespeist wird. Welche Folgen hat diese Politik, wenn sie nicht bald gestoppt wird?
Das ist nicht nur ein dramatisches Signal an die Bundesregierung, es zeigt zugleich, dass wir uns schon längst auf dem Weg zur prekären Republik befinden. Jede weitere Verzögerung bei der Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von zehn Euro pro Stunde ist ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten und eine mutwillige Plünderung der Steuer- und Sozialkassen zu Lasten der Allgemeinheit.
Erhoffen Sie sich von dem kürzlich ausgehandelten Tarifabschluss für die zwei Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst eine Signalwirkung für andere Branchen?
Es gab bereits für dieses Jahr sehr gute Tarifabschlüsse, etwa bei der Telekom mit 6,5 Prozent, dem Bankgewerbe mit 6 Prozent oder in der Nahrungsmittelbranche mit 5 bis 6 Prozent. Auch der Tarifabschluss von ver.di ist ein wichtiges Signal für entsprechende Tarifabschlüsse in anderen Branchen. Ich denke da in erster Linie an die Metall- und Elektroindustrie. Es spricht bereits Bände, dass der Arbeitgeberverband Gesamtmetall den Abschluss im öffentlichen Dienst scharf kritisiert hat.
Die Kommunen, auch in NRW, ächzen bereits unter der hohen finanziellen Belastung. Der Tarifabschluss bringt weitere Kosten. Wer soll das bezahlen?
Die entscheidende Frage ist doch: Wollen wir Erzieherinnen, die bei der Betreuung unserer Kinder die entsprechende Qualifikation mitbringen. Wollen wir Pflegekräfte, die unserer Angehörigen professionell pflegen? Dann müssen wir diese Menschen auch entsprechend entlohnen. Es ist doch ein Unding, dass die Arbeitgeber jetzt mit Personalabbau drohen. Die Personalkosten in den Städten und Gemeinden sind nicht schuld an der schwierigen Haushaltslage. Tatsächlich kommen die klammen Kassen der Kommunen von einer verfehlten Steuerpolitik. Der zunehmenden Zahl von Armen und Geringverdienern steht in diesem Land ein stetig wachsender gesamtgesellschaftlicher Reichtum gegenüber. Leider kommt dieser nur einigen Wenigen zugute. Das muss sich ändern. Nicht umsonst heißt unsere Schuldenbremse Millionärsteuer.
Das Motto der herrschenden Parteien heißt immer noch sparen. Am besten soll sich Europa nach deutschem Vorbild gesund sparen. Im Ergebnis steht oft hohe Arbeitslosigkeit, gerade bei Jugendlichen, und Sozialabbau. Steht eine soziale Politik in diesen Zeiten auf verlorenem Posten?
Nein, sicherlich nicht. Ich verstehe die Menschen schon, die nur noch Schuldenberge sehen. Nur ist der Staat eben keine schwäbische Hausfrau, wie die Kanzlerin meint. Wer allerdings die Investitionen in die Bildung unserer Kinder für die kommunale Infrastruktur bezahlt, das beantwortet Frau Merkel nicht. Es ist ein Irrglaube anzunehmen, man könne sich aus den Schulden raussparen. Wir müssen vor allem die Einnahmeseite wieder stärken. Allein durch die Steuerreformen und -geschenke an Reiche haben Bund, Länder und Kommunen in den vergangenen 10 Jahren auf 300 Milliarden Euro verzichtet. Man muss das Geld nicht zum Fenster rauswerfen, aber verschenken sollte man es auch nicht.
Die Krise meistern und eine soziale Politik betreiben: Lässt sich beides miteinander verbinden?
Also ganz konkret: Der französische Präsidentschaftskandidat Francois Hollande forderte jüngst einen Spitzensteuersatz von 75 Prozent. Ich halte diese Forderung für richtig. Schließlich haben wir in den vergangen zehn Jahren erleben müssen, dass die Einkommen der Beschäftigten real um rund vier Prozent gefallen sind, während die Einkommen aus Vermögen und Unternehmen im gleichen Zeitraum um satte 30 Prozent zugelegt haben. Diese Geldschwemme wurde nicht real investiert, sondern an den internationalen Finanzmärkten angelegt. Die Folgen kennen wir. Wenn wir nun die Finanzmärkte regulieren, für gerechtet Löhne und eine knallharte Besteuerung von Vermögenden sorgen, werden Bürger und Kommunen auch wieder über Geld verfügen. Das wird sich dann auch positiv auf den Binnenmarkt auswirken.

linksfraktion.de, 9. April 2012