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Vergrößerung des Bundestages nicht gleichbedeutend mit mehr Demokratie

Nachricht von Halina Wawzyniak,

 

An der einen oder anderen Stelle wurde bereits verkündet, es gebe eine Einigung im Wahlrecht aller im Bundestag vertretenen Parteien. Dies ist unzutreffend. DIE LINKE hat sich nicht geeinigt.

Worum geht es eigentlich? Seit August trafen sich die Parlamentarischen Geschäftsführer/innen der im Bundestag vertretenen Parteien und die zuständigen Fachabgeordneten, um über eine Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zum Wahlrecht zu reden. In dieser Runde gab es im Wesentlichen zwei Probleme zu lösen, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ergaben:

1) Es muss ein Wahlrecht geschaffen werden, welches kein negatives Stimmgewicht beinhaltet. Negatives Stimmgewicht bedeutet, dass ein mehr an Stimmen für eine Partei zu weniger Mandaten für diese Partei führt und umgekehrt.

2)  Die Verringerung der Überhangmandate, wobei das Bundesverfassungsgericht von einer Anzahl von 15 hinnehmbaren Überhangmandaten spricht. Überhangmandate entstehen, wenn einer Partei nach dem Zweistimmenergebnis weniger Mandate zustehen als sie Direktmandate erzielt hat. Die Direktmandate – so das Bundesverfassungsgericht – müssen aber bestehen bleiben.

DIE LINKE hatte einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, der zweifellos verfassungsgemäß ist und, wäre er angewendet worden, außer im Jahr 2009 nie zu einer Vergrößerung des Bundestages geführt hätte. Dieser Vorschlag sah vor, dass die Verrechnung von Listenmandaten (diese ergeben sich aus dem Zweitstimmenergebnis) und Direktmandaten auf der Bundesebene stattfindet und die verbleibenden Mandate dann auf die Landeslisten der jeweiligen Partei verteilt werden. Sollte es dennoch zu Überhangmandaten kommen, würden diese auf der Bundesebene durch Ausgleichsmandate ausgeglichen und die dann den jeweiligen Parteien – zusätzlich – zur Verfügung stehenden Mandate auf die Landeslisten verteilt.

In der letzten Sitzung dieser Wahlrechtsrunde haben wir noch einmal sehr deutlich gemacht, dass wir diesen Gesetzentwurf nach wie vor für den besten Gesetzentwurf halten. Wir sind von den anderen Parteien aber gebeten worden, doch noch einmal zu prüfen, ob wir uns nicht einem der in der Diskussion befindlichen Modelle nähern könnten. Bei den noch in der Debatte befindlichen Modellen handelte es sich um folgende:

Modell 1: Sitzkontingent nach Bevölkerungszahl und Ausgleich von Überhangmandaten

Dieses Modell legt anhand der Bevölkerungszahl in den einzelnen Bundesländern fest, wie viel Bundestagsmandate jeweils auf das Bundesland entfallen. In einer zweiten Stufe kommt es zu einem Ausgleich der gegebenenfalls anfallenden Überhangmandate. Diese Ausgleichsmandate werden für die jeweilige Partei auf der Bundesebene berechnet. Fallen für eine Partei Ausgleichsmandate an, werden diese dann auf die Landeslisten verteilt.

Modell 2: Pukelsheim III

Dieses Modell – benannt nach einem Professor –  sieht vor, dass auf der Bundesebene die Direktmandate mit den Listenmandaten verrechnet werden. Was nach dieser Verrechnung noch übrig bleibt, wird auf die jeweiligen Landeslisten verteilt. Soweit ist dieses Modell identisch mit dem Modell, welches DIE LINKE in ihrem Gesetzentwurf vorgeschlagen hat. Um nun aber sicherzugehen, dass – insbesondere bei den Parteien CDU und SPD – nicht alle Bundestagssitze allein durch die Direktmandate vergeben werden, soll ein sogenannter 10-Prozent-Aufschlag auf die Direktmandate erfolgen. Dieser 10-prozentige Aufschlag würde dazu führen, dass in diesem Umfang auch noch die Landeslisten mit Bundestagsmandaten bedacht werden. Es wären alle Parteien betroffen, die mehr Direktmandate als Listenmandate (auf der Bundesebene!) hätten. Gerade dieser 10-prozentige Aufschlag entspricht dem Wunsch der Union, die eine sogenannte regionale Proporzverschiebung befürchtete.

In der vergangenen Beratungsrunde hatten Grüne und SPD eine Präferenz für das Modell Pukelsheim III geäußert. Um der Union, aber auch dem Wunsch der anderen Parteien etwas entgegenzukommen, hatten wir uns dem Modell Pukelsheim III angenähert und waren bereit, über dieses Modell in die weitere Debatte einzutreten.

In der heutigen Sitzung wurden Experten angehört, damit für die nächste Sitzung eine Entscheidungsgrundlage geschaffen werden kann. Unzweifelhaft sind beide Modelle verfassungsgemäß. Am Ende der Sitzung gab es dann jedoch eine Überraschung. FDP und SPD erklärten, sie würden das Modell 1 gern weiter diskutieren, vielleicht könne ja für die nächste Sitzung schon eine Formulierung vorliegen, wie das gesetzlich normiert aussehen kann. Die Grünen wiederum erklärten, sie wären im Grundsatz bereit, das Modell 1 mitzutragen. Ich konnte dann zwar noch einmal erklären, dass wir nunmehr auch über das Modell Pukelsheim III bereit wären, im Detail zu reden, aber damit standen wir ziemlich allein.

Ich werde meiner Fraktion nicht empfehlen, dem Modell 1 die Zustimmung zu geben. Der ausschlaggebende Punkt für mich an dieser Stelle ist, dass das Modell 1 – wäre es zur Anwendung gekommen – seit 1994 immer zu einer Vergrößerung des Bundestages geführt hätte. Das Modell 2 jedoch – außer im Jahr 2009 – nicht. Darüber hinaus kann das Modell 2 durchaus als Weiterentwicklung des Modells angesehen werden, welches DIE LINKE in den Bundestag eingebracht hatte. Wenn ich zwischen zwei verfassungsgemäßen Alternativen entscheiden kann, dann wähle ich die Alternative, die nicht zu einer Vergrößerung des Bundestages führt. Denn erst im Jahr 2002 wurde die gesetzliche Anzahl der Mitglieder im Bundestag von 656 auf 598 reduziert. Warum eine solche Entscheidung jetzt konterkariert werden soll, ist mir nicht einleuchtend. Eine Vergrößerung des Bundestages ist nicht gleichbedeutend mit mehr Demokratie.