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Verfall des Kreditwesens

Im Wortlaut von Ulrich Maurer,

Die Liberalisierung des Finanzmarktes hat die Widersprüche des Kapitalismus zugespitzt. Ein weltweiter Abschwung wird erwartet. Die Linke sollte sich international für eine Re-Regulierung der Geldwirtschaft einsetzen

Von Ulrich Maurer

Die Erschütterung der weltweiten Finanzmärkte in diesem Sommer scheint sich in Luft aufzulösen. Der Dow Jones überspringt neue Rekordmarken, der Dax ist kurz davor. Bankenexperten sind hin und her gerissen zwischen Beruhigung und Dramatisierung. Der Präsident des Bundesverbands Deutscher Banken, Manfred Weber, sieht keine Probleme: Die Bankenaufsicht habe gute Arbeit geleistet, die Krise sei gesund. Josef Ackermann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank AG, redet von »kreativer Zerstörung«, die Geschäftserwartung sei hervorragend. Mit dem Versprechen, man werde in Zukunft ein bißchen vorsichtiger agieren, ist für ihn die Sache abgetan. Die durch die Finanzkrise verursachten Verluste seines Hauses in Höhe von 2,2 Milliarden Euro werden sozusagen auf der »Peanuts-Ebene« abgehandelt.

Ist alles wieder in bester Ordnung? Kann der Bundesbürger wieder zum gewohnten Trott zurückkehren? Im Gegensatz zu qua Profession gehaltenen schönen Reden spricht vieles dafür, daß die aktuellen Turbulenzen zu neuen Bewertungen und politischen Konsequenzen zwingen.

Tummelplatz für Zocker

Die Konjunktur der Medienhypes ist kurzlebig. Heute heißt es: Krise war gestern! Doch noch vor drei Wochen dominierten die Schreckensmeldungen. Mit Verweis auf Anlegerschlangen in England schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 22. September: »Die internationale Finanzkrise hat die Straße erreicht.« Wenige Tage später, am 2. Oktober, titelte das Handelsblatt: »In London geht die Angst um.« Auch in der Bundesrepublik mangelte es nicht an Negativszenarien. Laut Handelsblatt ist »die deutsche Kreditwirtschaft in einer dramatischen Krise«, es gehe um die Glaubwürdigkeit der gesamten Branche. Zu konstatieren sei eine Vertrauenskrise im deutschen Kreditsystem. »Auf fast allen Märkten wuchert Mißtrauen, ein solches Ausmaß allgemeiner Verunsicherung haben selbst erfahrene Banker und Aufseher noch nicht erlebt« (FAZ vom 22.9.).

Fakt ist: Es geht u. a. um skandalöse Vorgänge von Bilanzmanipulation bis hin zum Bilanzbetrug; nicht umsonst ermittelt bei der SachsenLB und WestLB der Staatsanwalt. Fachwelt und Politik staunen: Das Kreditwesen in Deutschland wird zum Tummelplatz für Zocker. Betroffen sind alle führenden Banken, ebenso Sparkassen und fast alle Landesbanken. Letztere haben sich - getrieben durch den allgegenwärtigen Renditedruck und verstärkt durch den Wegfall der Gewährträgerhaftung - wie ihre privaten Konkurrenten auf die Spekulation im Markt der »Kreditverbriefungen« kapriziert. Verbriefung von Krediten ist das neue Schlagwort der Finanzwelt und meint die Bündelung von Krediten und Hypotheken in sogenannte strukturierte Produkte und ihr Weiterverkauf an private Investoren wie Investment-, Pensions- und Hedgefonds. Die in diese neue Form verpackten Kredite enthalten natürlich Risiken, die aber durch die Ausgliederung nicht mehr von den Banken mit Eigenkapital abgesichert werden müssen. Kreditverbriefung wird so zum Risikoversteckspiel, weshalb auch vom »Schattenbanksystem« gesprochen wird. Diese neue Qualität in der Bewertung des deutschen Bankensystems ist mit der Krise ins Blickfeld getreten.

Auch international ist die Lage ernst; die Kreditkrise ist global und keineswegs auf schlecht besicherte Hypotheken in einem bestimmten Bereich des Kreditmarktes (subprime-Sektor) begrenzt. So war etwa das britische Finanzunternehmen Nor-thern Rock, immerhin der fünftgrößte Hypothekenfinanzierer, deren Insolvenz weiterhin im Raum steht, in zweitklassigen Hypotheken gar nicht aktiv. Erste Meldungen tauchen auf, daß sich der Handel mit zweitklassigen Krediten auf Autokredite und Kreditkarten ausweitet. Weitere Merkmale der Kreditkrise: Zusammenbruch des carry-trade-Marktes (die Spekulation mit Zinsdifferenzen zwischen Hoch- und Niedrigzinsländern), Blockierung des internationalen Anleihe- und Kreditmarktes, Austrocknung des Geldmarktes; Polizeischutz von Banken gegen aufgebrachte Anleger in Großbritannien und Irland. Beide Länder drohen ebenso wie Spanien nach den USA die nächsten Crash-Kandidaten zu werden. Auch in Belgien und Skandinavien steigt die Zahl der Zwangsversteigerungen. Alan Greenspan, ehemaliger Vorsitzender der US-Notenbank, erklärt am 18. September im Daily Telegraph, die britische Wirtschaft sei noch härter den »Finanztumulten« ausgesetzt als die USA. Die Geldmarktpapiere, mit denen sich die Aufkäufer der Kreditverbriefungen refinanzieren - die sogenannten commercial papers, deren Volumen weltweit auf 2,2 Billionen US-Dollar geschätzt wird und die bei der Krise der SachsenLB eine wesentliche Rolle gespielt haben -, finden keine Abnehmer mehr. Der Private-Equity- und Hedgefonds-Boom bricht ab. Lokal begrenzte Finanzierungsprobleme US-amerikanischer Hauseigentümer erschüttern das gesamte Weltfinanzsystem. Auch dies ist ein in dieser Dimension qualitativ neuer Aspekt.

Der Hypothekenmarkt ist schwer unter Druck, und die wahre Krise steht erst noch bevor. Die Zahl der unverkauften Häuser steigt auf ein Rekordniveau, die Immobilienpreise fallen, nicht nur in den USA. Drei Viertel der auf jetzt 130 Prozent des verfügbaren Einkommens gestiegenen Verschuldung der US-Haushalte entfallen auf Hypotheken; zwei Drittel des US-Hypothekenmarktes, d. h. zirka sieben Billionen Dollar, sind in verbrieften Produkten weiterverkauft worden, davon entfallen immerhin etwa eine Billionen Dollar auf die sogenannten subprime-Hypotheken. In den USA halten verbriefte Hypothekendarlehen bereits den Spitzenplatz unter den festverzinslichen Wertpapieren, deutlich vor Unternehmens- und Staatsanleihen. Der Handel mit Kreditderivaten (inzwischen weltweit auf eine halbe Trillion Dollar angewachsen) sowie mit Schuldscheinen von Schuldscheinen von Schuldscheinen hat - gepaart mit der Immobilienblase - zu einem riesigen, unüberschaubaren Spekulationsmarkt mit Hypotheken schwacher Bonität geführt. Die künstliche Aufblähung gigantischer Kreditmärkte mit höchstem Risikopotential für die Realwirtschaft ist eine Herausforderung, die durch die aktuelle Krise ganz neue Beachtung erfährt.

Wegen der in den USA üblichen Zinsvariabilität von Hypotheken kommen nach einer Untersuchung der Bank of America in den nächsten zwei Jahren auf die Hausbesitzer Zinssprünge von bis zu fünf Prozent zu - mit höheren Monatsraten um bis zu 100 Prozent. »Fachleute schätzen, daß bis zu 50 Prozent dieser Kredite ausfallen werden« (FAZ vom 29. 7.). Ungefähr eine Million US-Hausbesitzer - großenteils aus mittleren und unteren Einkommensklassen - droht in den nächsten 18 Monaten die Zwangsversteigerung. Die Zeitbombe, die in den Zinsbindungsfristen variabler Hypothekenverträge liegt, ist in dieser Dimension ebenfalls bislang nur wenig bekannt.

Schrankenlose Selbstheilungskräfte

Die Einschätzung der Auswirkungen auf die Konjunktur ist umstritten. Die Konjunktur sei weiter robust, heißt es, die Gewinne sprudeln, der Spuk sei so schnell vorbei, wie er aufgetaucht ist, die Interventionen der Notenbanken werden es schon wieder richten, hört man allenthalben. Sind die Selbstheilungskräfte des Kapitalismus, der Notenbanken und Finanzmärkte ohne Grenzen?

Dagegen sprechen mehrere Fakten. In den USA sind die Folgen für den privaten Konsum und damit für die Konjunktur nicht zu leugnen. Der Immobilien- und Hypothekenboom wird bis zu zwei Drittel für den Boom der US-Konjunktur verantwortlich gemacht. Alan Greenspan hatte mit den Zinssenkungen nach dem Crash im Jahr 2000 gezielt diesen Effekt im Blick: »Der Boom auf dem privaten Immobilienmarkt hat die Wirtschaft gerettet«, ist in seinen soeben erschienenen Memoiren (Mein Leben für die Wirtschaft, Campus Verlag) zu lesen. Dieser Effekt ist jetzt weg. Den Höhepunkt des Einbruchs auf dem US-Hypothekenmarkt haben wir noch nicht gesehen. Greenspan erklärte am 17. September im amerikanischen Fernsehen, man stehe erst am Anfang der Hypothekenkrise. Finanzminister Peer Steinbrück verkündete auf der Sondersitzung des Finanzausschusses des Bundestages am 11. September, von der Bewältigung der Krise sei man noch weit entfernt. Es wird offensichtlicher, daß der Einfluß der Rückwirkung der Vermögen (hier der Immobilien) auf die Realwirtschaft ein wichtiges Kennzeichen des Finanzmarktkapitalismus darstellt.

Fakt ist, daß in den USA und auch in Deutschland der Abschwung des gegenwärtigen Zyklus eingeläutet ist. »Der große weltweite Aufschwung geht zu Ende, (…) auch der Euro-Raum droht in Mitleidenschaft zu geraten«, erklärte Peter Bofinger, einer der fünf »Wirtschaftsweisen«, in der Berliner Zeitung vom 22. August. Die Rohstoffpreise sinken. Laut Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung hat die deutsche Konjunktur ihren oberen Wendepunkt »schon weit überschritten« (IMK-Report 21/Juli 2007). US-Finanzminister Paulson warnte am 16. Oktober, der Einbruch auf dem Immobilienmarkt sei »noch immer voll im Gange« und sei »das größte Risiko für unsere Wirtschaft«. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) senkt ihre diesjährige Prognose für Deutschland von 2,9 auf 2,6 Prozent und spricht von Rezessionsgefahren; der IWF korrigiert, als Folge der Finanzkrise, ihre Vohersage für die Weltwirtschaft und für Deutschland um jeweils 0,4 Prozentpunkte; Euro und Ölpreis bewegen sich um ihr Allzeithoch, der Goldpreis ist auf einem 28-Jahre-Hoch. Die Zentralbank der USA, FED, senkt den Diskont- und Leitzinssatz mit der Begründung, die gegenwärtige Krise könne die Realwirtschaft nach unten ziehen. Die Notenbanken erhöhen die Liquidität, über die die Banken verfügen, und senken die Zinsen. Kurzfristig trägt das sicherlich zur Beruhigung bei. Auf längere Sicht gilt: Die Explosion der weltweiten Liquidität wirkt nicht krisenentlastend, sondern verschärft sie.

Die Zinssenkung hat allerdings bislang nur geringe Auswirkung. Sie verschiebt die Anpassungskrise nur in die Zukunft; der Zinssatz für Dreimonatsgeld für den Interbankenverkehr bleibt trotzdem unbeeinflußt. Die Gesellschaft für Konsumforschung erklärt den aktuellen Rückgang der Konsumerwartung in Deutschland um fast einen Punkt - d. h. um zwölf Prozent - in erster Linie mit den Turbulenzen auf den Finanzmärkten. Es kann nicht bestritten werden: Kreditmarktkrise und Anleiheklemme werden die Investitionsfinanzierung der Unternehmen erschweren und Verbraucher verunsichern.

Vier Schlüsse für linke Politik

Es geht nicht um die in Teilen der Linken beliebten Untergangsszenarien. Aber die Gefahr eines über mehrere Jahre sich hinziehenden Crashs in Raten ist gestiegen. Mit den genannten Ereignissen vor Augen rücken vier grundlegende Schlußfolgerungen ins Blickfeld.

Erstens: Jahrzehnte lang wurde die Liberalisierung der Finanzmärkte - eine wichtige Seite der Globalisierung - als unverzichtbar gefeiert für die Effektivierung der ökonomischen Strukturen, für die Verteilung der Risiken und für mehr Transparenz auf dem Kapitalmarkt. Eine bessere Kreditkultur war das erklärte Ziel. Jetzt wird deutlich: Das Gegenteil ist eingetreten. Zwar wurden Risiken breiter verteilt, doch wollen in der Krise nun die Finanzmarktakteure alle gleichzeitig aus dem Risiko aussteigen - und zwar weltweit. Dieses Problem auf Weltniveau hat die Apologeten der Liberalisierung nicht gekümmert. Nicht mehr, sondern weniger Stabilität ist das Resultat, das ersehnte Mehr an Transparenz ist in Intransparenz umgeschlagen. Die Krise macht deutlich, wie sehr Vermögensexplosion und Kreditmarkt und wie umfassend die epochale Expansion des Finanzsektors die Widersprüche des Kapitalismus zugespitzt haben. Die Risikostreuung auf »viele Schultern« hat einzelnen Instituten und abgegrenzten Märkten sicherlich geholfen, in einer Gesamtsicht ist dagegen eine Risikozusammenballung und -potenzierung festzustellen. Die Instabilität der Finanzmärkte ist durch die Krise auf eine neue Ebene gehoben worden; ein Verfall der Kreditkultur macht sich breit. Die klassische Forderung der internationalen Linken nach einer Reregulierung der Finanzmärkte gewinnt neue Aktualität, die Segen der Globalisierung werden immer zweifelhafter. Die Sensibilität mit Blick auf neue Widersprüche des Finanzmarktkapitalismus muß gestärkt und in politische Praxis umgesetzt, die Debatte darüber intensiviert werden.

Zweitens: Eines der wesentlichen Merkmale des Finanzmarktkapitalismus ist die fortschreitende Umverteilung mit einem rasanten Anstieg der Vermögen in den oberen Einkommensklassen. Die Bundesregierungen von SPD und Grünen haben seit 1998 mit der wachsenden Spaltung zwischen Arm und Reich davon Zeugnis abgelegt. Dieser Trend hält an. Der Einfluß der Vermögensentwicklung auf die Krise stärkt die Kritik der Linken an der Umverteilung von unten nach oben - sowohl im Inland wie international. Die höhere Besteuerung der »leistungslosen Einkommen« und Spitzen-einkommen gehört mehr denn je auf die aktuelle Agenda.

Drittens: Pensionsfonds und Versicherungen sind unter dem Druck der Renditen im Verbriefungsmarkt eingestiegen, um ihre in der Niedrigzinsphase gesunkenen Renditen aufzupäppeln - ein Beleg für die grundsätzliche Kritik an der Zukunftsfähigkeit privater Formen der Alterssicherung. Die Öffentlichkeit steht vor einer Neubewertung der Privatisierung der Altersversorgung. Die Linke muß den Zusammenhang von Finanzkrisen und Alterssicherung zu einem strategischen Schwerpunkt der politischen Arbeit machen.

Viertens: Der aktuelle Crash ist geeignet, die wachsenden Zweifel der Menschen am Grundübel des Kapitalismus, also der Unterwerfung aller Gesellschaftsbereiche unter die Gier nach Profit, zu stärken. Daraus muß die Linke politisches Kapital schlagen.

Forderungen an Bundesregierung

Statt diese Zweifel zu unterstützen, lenken Bundesregierung, Koalitionsparteien sowie FDP und Grüne von den Grundfragen ab. Das Mehr an Transparenz, das Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihr Finanzminister Steinbrück und die Koalitionsfraktion jetzt fordern (wie Merkel Mitte August in Bild am Sonntag), ist eine Luftnummer, solange auf Freiwilligkeit gesetzt und vor nationalen Alleingängen gewarnt wird. Intransparenz ist geradezu die Geschäftsgrundlage der neuen Formen der Finanzindustrie. Mehr Regulierung, die jetzt auch Teile der SPD-Linken thematisieren (Ortwin Runde in der Frankfurter Rundschau vom 16. 8.), wird weiterhin abgelehnt. Daß Steinbrück die angekündigte Reform der Bankenaufsicht auf das nächste Jahr verschiebt, ist unverantwortlich.

Die Regierung könnte sofort konkrete Maßnahmen angehen. Die Bankenaufsicht muß verstärkt und zugleich reformiert werden. Bilanzmanipulationen der Banken durch Verstecken hoher Kreditrisiken über unkontrollierte Zweckgesellschaften sollte vom Gesetzgeber verboten werden. Die Ausrede der Verwaltungsräte der öffentlichen Banken, man habe nichts gewußt und die Krise nicht erahnen können, ist empörend. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KMPG z. B. legte bereits im April 2005 den Verantwortlichen der SachsenLB ein Gutachten über die Risiken der Auslagerung von Krediten in Zweckgesellschaften mit Sitz in Irland vor. Die US-Hypothekenkrise hat sich also seit Jahren angekündigt. Die Bundesregierung ist gefordert, umgehend dem Bundestag einen Gesetzesentwurf zur Reform der Bankenaufsicht und zur Novellierung des Kreditwesengesetzes vorzulegen. Landesregierungen müssen ihre Landesbanken von der Knute des Renditedrucks entlasten und ihre Funktion der regionalen Wirtschaftsförderung ausbauen.

Es muß feste Eigenkapitalgrenzen für Kreditverbriefungen geben, die halsbrecherische Praxis mit Kreditfinanzierungsquoten von 90 Prozent muß gestoppt werden. Die Spekulation mit billig geliehenen und teuer weiterverkauften Aktien sind zu verbieten. Die Kreditpraxis muß strenger überwacht werden. Die von der Bundesregierung geplanten zusätzlichen Steuergeschenke für von Private-Equity- und Hedgefonds finanzierten sogenannten Wagniskapitalgesellschaften müssen rückgängig gemacht werden.

In Großbritannien und den USA geht es in die andere Richtung: Der britische Schatzkanzler Alistair Darling fordert eine Erhöhung der Steuer auf Private-Equity-Geschäfte von zehn auf 18 Prozent, US-Abgeordnete bestehen auf einer Erhöhung des Steuersatzes für Firmen, die Unternehmen ausverkaufen, von 15 auf 35 Prozent. Die Übertragung von Schulden an übernommene Unternehmen (Rekapitalisierung) muß verboten werden; der Schutz der Belegschaften (und Unternehmen) vor der Ausplünderung, der auch die ausländischen »Heuschrecken« direkt trifft, muß dabei im Mittelpunkt stehen.

Das Problem der »notleidenden Kredite«, das sind gekündigte oder tilgungsgestörte Darlehen, muß endlich angegangen werden. »Notleidende Kredite« sind nur eine besondere Form von subprime-Krediten. Diese schlecht besicherten Hypotheken werden auch in Deutschland gehandelt. Der Markt für diese Kredite entwickelt sich explosionsartig. Deutschland ist hier bereits Weltmarktführer. Im Handel und Weiterverkauf dieser Kredite sind Hedgefonds äußerst aktiv - und ebenso aggressiv, mit schlimmen bis katastrophalen Folgen für die Zinslast der Schuldner. Es ist absehbar, daß dies auch in Deutschland zu einem zunehmend wichtigen Feld der politischen Auseinandersetzung wird.

Die Folgen der aktuellen Krise für die Rentner sind noch nicht abzusehen. Die Anfälligkeit der privaten Alterssicherung durch Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten ist hoch: Im Handelsblatt vom 4. Oktober ist zu lesen, daß die Pensionsfonds der Dax-Konzerne durch die Finanzkrise zeitweise einen Verlust von bis zu zehn Milliarden Euro verzeichneten. Das Engagement der Pen-sionsfonds und Lebensversicherungen in Private-Equity-Fonds, Hedgefonds und bonitätsschwachen Kreditkonstrukten muß gestoppt werden.

Es ist schließlich ein Skandal, daß die Rating-agenturen gerade die Finanzprodukte bewerten, mit denen sie das meiste Geld verdienen. Moody's Investors Service, eine der größten und bekanntesten Ratingagenturen weltweit, macht die Hälfte ihres Umsatzes mit diesen Produkten. Kein Wunder, daß deren Risiken geschönt wurden. BaFin-Chef Jochen Sanio hat die Ratingagenturen als die »größte unkontrollierte Macht der Finanzmärkte« bezeichnet. Es ist daran zu erinneren, daß die andere große Ratingagentur Standard & Poor's anläßlich der Debatte um die »Hartz-Reformen« damit gedroht hatte, Deutschlands Bewertung im Fall des Scheiterns herabzustufen (Handelsblatt vom 13. 12. 2002). Die Forderung des DGB nach öffentlicher Kontrolle von Ratingagenturen und nach Einführung einer Börsenumsatzsteuer ist daher richtig. Warum soll letztere nicht bei uns möglich sein, wenn sie in England oder in den USA funktioniert? Und schließlich zeigt das Chaos der carry trades die Aktualität von Wechselkurszielzonen. Diese Frage hatte schon zu Beginn der ersten Bundesregierung von SPD und Grünen zu heftigen internen Kontroversen geführt und ist heute akuter denn je. Die Bundesregierung muß bei der Reregulierung der Finanzmärkte auf dem internationalen Parkett in die Offensive kommen.

Von Ulrich Maurer

junge Welt, 18. Oktober 2007