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»Verantwortung des Westens wird keine Rolle spielen«

Im Wortlaut von Norman Paech,

Faires Verfahren gegen den ehemaligen irakischen Staatschef Saddam Hussein in der »Grünen Zone« ist illusionär. Ein Gespräch mit Norman Paech

Der Völkerrechtler Norman Paech ist Mitglied der Bundestagsfraktion »Die Linke«. Der Professor em. an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg stand dem inoffiziellen Europäischen Tribunal über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien vor.

Vor einem Sondergericht in Irak soll heute der Prozeß gegen den früheren Präsidenten Saddam Hussein beginnen. Wie beurteilen Sie dieses Verfahren?
Ich habe schon immer die Position vertreten, daß auch Staatspräsidenten, Regierungspräsidenten oder Ministerpräsidenten für vergangene Verbrechen vor Gericht gestellt werden sollten. Dieses Prinzip wird durch das internationale Strafrecht, das Römische Statut und die Einrichtung des Weltstrafgerichtes unterstützt.

Findet das Verfahren in der sogenannten Grünen Zone von Bagdad aber am richtigen Ort statt?
Nein. Die Nürnberger Prozesse haben verdeutlicht, daß gewisse Voraussetzungen notwendig sind. Dazu gehört die absolute Neutralität des Gerichtes und die Garantie eines fairen Prozesses. Bei dem heute beginnenden Saddam-Prozeß spielt beides keine Rolle.

Weshalb?
Die »Grüne Zone« ist nichts anderes als ein Protektorat der Amerikaner. Auch der Umstand, daß gegen Saddam Hussein eine Art Geheimprozeß geführt wird, widerspricht internationalen rechtsstaatlichen Standards.

Saddam Husein steht wegen eines Massakers der Ortschaft Dudschail 1982 vor Gericht. Im Vorfeld hieß es, die Ankläger sähen damit die besten Chancen, rasch ein Urteil herbeizuführen. Die Todesstrafe wird favorisiert. Weshalb wird ein solcher Schauprozeß von westlichen Regierungen unterstützt?
Gerade in Anbetracht der Auseinandersetzung um den Internationalen Strafgerichtshof muß der Westen an solchen Prozessen interessiert sein. Der US-Chefankläger der Nürnberger Prozesse, Robert Jackson, formulierte das 1946 so: Wir können nur dann die Legitimität solcher Prozesse beanspruchen, wenn wir bereit sind, den Giftbecher, den wir den anderen reichen, auch selbst zu trinken.

Gerade dieses Prinzip der Universalität des Völkerrechtes wurde aber doch schon durch den Angriff auf Irak ad absurdum geführt. Setzt sich der konsequente Bruch internationaler Standards also nicht im Prozeß fort?
Ich habe hier die gleichen Bedenken, wie schon bei dem Tribunal gegen den ehemaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic. Das Verfahren gegen Saddam Hussein wird wahrscheinlich zur Siegerjustiz ausarten, Rache, nicht Recht wird im Vordergrund stehen.

Im Gegensatz zu Milosevic wurde für Saddam Hussein kein Sondergericht im Ausland geschaffen. Weshalb nicht?
Auf der einen Seite besteht Washington auf rechtsstaatliche Prozesse. Den Internationalen Strafgerichtshof, der dies gewährleisten würde, lehnen die US-Amerikaner aber ab. In Irak, besonders in der sogenannten Grünen Zone, haben sie sehr viel mehr Einfluß auf Richter und Rechtsprechung. Ich bin diesem Prozeß gegenüber daher sehr, sehr skeptisch.

Die Nachrichtenagentur AP meldete unlängst, »amerikanische Berater« wollten verhindern, daß sich die Probleme des Milosevic-Prozesses wiederholten. Dieser ziehe sich seit Jahren hin, Milosevic habe es zudem geschafft, in Serbien wieder viele Menschen für sich zu gewinnen. Soll sich Saddam Hussein nicht adäquat verteidigen dürfen?
Wie das Milosevic-Tribunal krankt auch der Prozeß gegen Saddam Hussein an der mangelnden Gleichbehandlung aller Beteiligten. Die NATO mußte sich in Den Haag nie wegen ihrer Kriegsverbrechen in Jugoslawien verantworten. Im Fall von Irak nun prognostiziere ich Ihnen, daß die Verantwortung des Westens für die aktuelle Lage auch keine Rolle spielen wird.

Zum Beispiel die Waffenlieferungen in den achtziger Jahren, unter anderem aus der Bundesrepublik Deutschland?
Die Verteidigung wird auf jeden Fall versuchen, diese Dinge zur Sprache zu bringen. Ob ihre Plädoyers je an die Öffentlichkeit dringen, steht auf einem anderen Blatt.

Wo bleibt der Protest von Völkerrechtlern?
Es gibt zweifelsohne unabhängige Völkerrechtler, die meine Bedenken teilen.

Interview: Rüdiger Göbel / Harald Neuber

junge Welt, 19. Otkober 2005