Zum Hauptinhalt springen

V-Leute-System ist Lebensversicherung der Naziszene

Im Wortlaut von Frank Tempel,

Bundestag bringt Untersuchungsausschuss zur Mordserie des nationalsozialistischen Untergrundes auf den Weg

Von Frank Tempel, Abgeordneter aus Thüringen und für DIE LINKE Mitglied im Innenausschuss des Bundestages

Bisher verlief die parlamentarische Aufarbeitung der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) schleppend. Das liegt einerseits am Stand der laufenden Ermittlungen. Es müssen zum Beispiel über 1800 Fundstücke aus der abgebrannten Wohnung in Zwickau ausgewertet werden. Andererseits liegt es an der offensichtlichen Verschleierungstaktik der Behörden.

Inzwischen haben sich die  Bundestagsfraktionen auf die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses geeinigt, denn nach allen vorliegenden Indizien verfügen die Behörden  über mehr Informationen als bekannt ist und versuchen ihr Versagen herunterzuspielen.

Als ehemaliger Kriminalist sind mir zahlreiche Merkwürdigkeiten aufgefallen: So ist zum Beispiel der von höherer Stelle abgesagte Zugriff auf die Untergetauchten nicht nachvollziehbar. Auch sind die Motive der Selbsttötung von Mundlos und Böhnhardt nicht geklärt. Außerdem ist vollkommen unklar, wie die von V-Männern durchsetzte rechte Szene Zwickaus die Terrorgruppe unterstützen konnte, ohne dass dies den Behörden aufgefallen wäre. Nachfragen von mir im Innenausschuss und in der Fragestunde des Bundestages wurden ausweichend oder mit Hinweis auf den Geheimnisschutz überhaupt nicht beantwortet. Auch die Versuche der Thüringer Landesregierung, Informationen zu verweigern, da sie über die Ermittlungen der Bundesstaatsanwaltschaft keine Auskünfte geben dürfe, bestätigen die Verschleierungstaktik.

Nun steht für den Verfassungsschutz viel auf dem Spiel: Das gesamte System der Vertrauenspersonen (V-Männer) und damit die Geheimdienste als solche stehen zur Debatte. Was nützen über 130 V-Leute in der NPD und in der Kameradschaftsszene, wenn die Informationen von schlechterer Qualität sind als die Recherchen von Antifa-Gruppen und Bündnissen gegen Rechts.

Die Installation von V-Leuten ist ein Bruch mit dem demokratischen System: V-Leute begehen unter Duldung des Staates Straftaten. Die Aufklärung von entdeckten Straftaten wird aus Gründen des Informatenschutzes vereitelt. Staatliche Mittel fließen in Nazistrukturen, die man vorgeblich bekämpfen will. Und zuallerletzt verhindern die V-Leute einen möglichen Verbotsantrag gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht, da nicht klar ist, welche verfassungsfeindlichen Aktionen und Stellungnahmen der Partei zuzuordnen sind und welchen den V-Leuten, also dem Staat. Und dann kommt noch eine entscheidende Frage hinzu: Wem gehört eigentlich die Loyalität der V-Leute? Der Thüringer Heimatschutz, aus dessen Reihen die NSU entstand, ist laut Presseberichten vom Verfassungsschutz aufgebaut worden. Der Zweck war die Kontrolle der militanten Rechten. Aber das Gegenteil ist erreicht worden - die schrecklichste Mordserie von Rechtsradikalen in der Bundesrepublik. Das System der V-Leute ist in jeder Hinsicht die Lebensversicherung der Naziszene.

Schon vor der Aufdeckung der NSU musste ich mich als Kreisvorsitzender der LINKEN des Altenburger Landes mit den Umtrieben der "Nationalen Sozialisten" in Ostthüringen auseinandersetzen. Einige der NSU-Unterstützer waren bekannte Anmelder von Nazidemonstrationen, haben Veranstaltungen von uns gestört oder haben, wie Ralf Wohlleben, im Bundestagswahlkreis für die NPD kandidiert.

Eine interessante Frage ist, warum zentrale Figuren aus dem Umfeld des Thüringer Heimatschutzes bisher kaum eine Rolle bei den Ermittlungen gespielt haben? So ist zum Beispiel Thomas Gerlach eine zentrale Person zur europäischen Vernetzung mit anderen nationalsozialistischen Gruppen. Oft genug kam der Verdacht auf, Gerlach sei V-Mann. Der jahrelange enge Mitstreiter vom verhafteten Waffenlieferanten der NSU, Ralf Wohlleben, ist Multifunktionär in NPD, bei den Freien Kameradschaften, beim Freien Netz, bei den Hammerskin Nations und vielen anderen Organisationen. Er hat die Zwickauer rechte Szene von Altenburg aus aufgebaut. Trotzdem kann er sich nach wie vor frei bewegen. Möglicherweise spielen die V-Leute noch immer mit ihrem Arbeitgeber beim Verfassungsschutz Versteck. Wenn Gerlach von der NSU wusste und eine zentrale Aufgabe für den Verfassungsschutz wahrnahm, wäre der Skandal unübersehbar. Eins ist sicher: Der Untersuchungsausschuss wird viel Arbeit haben.

linksfraktion.de, 17. Januar 2011