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»Um es mit Conchita Wurst zu sagen: We are unstoppable«

Interview der Woche von Harald Petzold,


 

Harald Petzold, Sprecher für Lesben- und Schwulenpolitik/Queer der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag über die Bedeutung von Gay-Prides und Christopher Street Day, den Erfolg von Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest, bedrückende Nachrichten aus Russland, das Lebenspartnerschaftsrecht, den Streit um den Bildungsplan in Baden-Württemberg und Homosexualität im Profisport

Die CSD-Saison in Deutschland und Europa hat begonnen. In Zypern fand Ende Mai zum ersten Mal eine  Parade statt. Welche politische Bedeutung haben die Paraden zum Christopher-Street-Day (CSD) aus Ihrer Sicht?

Harald Petzold: Der Christopher Street Day beziehungsweise die Gay-Prides erinnern an den Aufstand, der nach einem Polizeiübergriff auf das Lokal Stonewall Inn am 28. Juni1969 in der New Yorker Christopher Street ausbrach. Der CSD bedeutet: Wir lassen uns nicht alles gefallen. Wir sind hier. Wir sind sichtbar. Schluss mit der Diskriminierung. Dass der CSD eben nicht nur eine ernste Demonstration, sondern zugleich eine ausgelassene Feier ist, zeugt eben auch vom neuen Selbstbewusstsein, das wir erlangt haben.

Eine Drag Queen hat Mitte Mai den Eurovision Song Contest gewonnen. Tom Neuwirth siegte in ihrer Rolle als Conchita Wurst. Das Motto: Wer mit wem schläft, sei doch, und so erkläre sich der Künstlername, "Wurst", also egal. Ein gutes Zeichen für Europa oder nur eine Show, die über die reale Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuellen wenig aussagt?

Der Eurovision Songcontest hatte immer schon einen queeren Unterton. Nichtsdestotrotz war der Sieg von Conchita Wurst ein wichtiges, ein notwendiges Zeichen. Politische Veränderung bedarf symbolischer Erfolge. Dazu zählt auch dieser. Natürlich ist dadurch noch kein Gesetz geändert und kein Mensch überzeugt worden. Aber eine Debatte wird ausgelöst, die hilft das Recht zu ändern. Es ist doch ein gutes Zeichen, dass die österreichische Regierung nach dem Sieg von Conchita Wurst, also des österreichischen Beitrags, bereit ist, über weitere Schritte der Gleichstellung von Lesben und Schwulen nachzudenken.   

Conchita Wurst gewann auch viele Stimmen aus Russland. Einige russische Politiker und Prominente  aber ergingen sich in Verbalattacken gegen Homosexuelle und das westliche Europa. Und einen Christopher-Street-Day wird es nach Putins Gesetz gegen sogenannte Homosexuellen-Propaganda nicht so schnell geben. Wie schätzen Sie die Situation in Russland ein?

Mich bedrücken und beunruhigen die Nachrichten, die wir aus Russland erhalten. Das angesprochene Gesetz hat eine Dynamik ausgelöst, die Homo- und Transsexuelle vielerorts zu Opfern von Übergriffen machte. Es gibt in Europa zahlreiche Initiativen, die versuchen den Queers in Russland zu helfen. Die dürfen nicht nachlassen. Zugleich müssen wir den Dialog fördern. So schwierig und frustrierend es erscheinen mag, aber der Städte- und SchülerInnenaustausch sowie der kulturelle Austausch müssen zum Dialog über dieses Gesetz genutzt werden, wir müssen versuchen der Bevölkerung ihre abstrakte Angst zu nehmen. Aber es gibt auch ein positives Zeichen. Conchita Wurst bekam fünf Punkte aus Russland.

In Baden-Württemberg tobt seit Monaten ein heftiger Streit um einen Bildungsplan, der die "Akzeptanz sexueller Vielfalt" an Schulen fördern soll. Die rot-grüne Landesregierung hat die Einführung bis zur nächsten Landtagswahl verschoben. Ein Erfolg für die Gegner?

Das wird man sehen. Aber zunächst ist es ein falsches Signal. Man muss die Debatte versachlichen, denn es geht ja nie und nimmer darum, Kinder zu sexualisieren oder sie umzuerziehen, sondern darum, Kindern zu erklären, dass es eine Vielfalt von Lebensweisen gibt. Es muss darum gehen, junge Lesben, Schwule und Trans* vor Diskriminierung zu schützen. Gerade junge Menschen müssen doch vor Übergriffen und seien sie nur verbal geschützt werden. Diese protestierenden Fundamentalisten richten sich gegen das Kindeswohl, weil sie Diskriminierungen nicht beseitigen wollen. Das muss man deutlich machen.

Der Bundestag hat kürzlich beschlossen, dass Lesben und Schwule einzeln oder nacheinander Kinder adoptieren dürfen – aber nicht gemeinsam. Was hat es mit dieser Regelung auf sich?

Es ist peinlich und absurd, dass der Gesetzgeber dem Bundesverfassungsgericht nur hinterherhinkt, statt die ständige Rechtsprechung des höchsten Gerichts ernst zu nehmen. Das Gericht hat einstimmig deutlich gemacht, dass Lesben und Schwule genauso gute Eltern sind wie alle anderen. Die Konservativen sind hier schlicht reaktionär, wenn sie dies übergehen. Sie tragen diesen ideologischen Kampf auf dem Rücken der Kinder aus. DIE LINKE setzt sich für die vollständige Gleichstellung ein, also auch für das gemeinsame Adoptionsrecht.

In dieser Woche beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien. Homosexualität ist im Profisport, aber vor allem im Fußball, immer noch tabuisiert. Wie kann es durchbrochen werden?

Der Fußball ist eine der letzten Bastionen scheinbar reiner Männlichkeit. Doch schon seit vielen Jahren bröckelt die Fassade. Nicht nur das Outing des ehemaligen Nationalspielers Hitzlsperger machte eins deutlich, die Augen lassen sich nicht vor der Wirklichkeit verschließen. Wenn etwa fünf bis zehn Prozent der Menschen ein gleichgeschlechtliches Begehren haben, so wird dies halt auch bei FußballspielerInnen so sein. Ich glaube, hier arbeitet die Zeit für uns oder um es mit Conchita Wurst zu sagen: We are unstoppable.

linksfraktion.de, 10. Juni 2014