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Foto: Rico Prauss

Über Sicherheit, Courage und Vasallentreue

Im Wortlaut von Dietmar Bartsch,

 

Von Dietmar Bartsch, 2. stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Ein Student der Sporthochschule Köln hat dieser Tage seine Abschlussarbeit vorgelegt, in der er den vorzeitigen Gewinn der deutschen Fußballmeisterschaft durch den FC Bayern München analysiert. Bei der Verteidigung seiner Schrift wurde er gefragt, warum er denn vom Zeugwart bis zum Busfahrer alle möglichen Akteure befragt habe, nicht aber den Trainer Pep Guardiola. Er glaube nicht, so der Student, dass dieser Wesentliches zum Thema hätte beitragen können.

Eine unglaubliche Geschichte? Ja. Ich habe sie mir ausgedacht, doch ist sie nicht allein meiner Phantasie entsprungen. Als nämlich LINKE und GRÜNE dieser Tage im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages beantragten, den Whistleblower Edward Snowden als Zeugen zu laden, waren die Vertreter der Regierungsparteien Union und SPD eilfertig bemüht, diesen Antrag herunterzuspielen und auf die lange Bank zu schieben. Ein SPD-Vertreter sah darin die Gefahr einer medialen Inszenierung und der Ausschussvorsitzende, Patrick Sensburg, CDU, erklärte allen Ernstes, es sei vorab zu prüfen, ob Snowden etwas Relevantes auszusagen habe.

Sensburgs Aussage hat etwas von entwaffnender Ehrlichkeit. Die Bundesregierung steckt doch augenscheinlich in der Klemme. Sie kann es einerseits nicht widerspruchs- und tatenlos hinnehmen, dass Millionen und Abermillionen von Kommunikationsdaten der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, die Kanzlerin eingeschlossen, ausgespäht und ausgewertet wurden und wohl weiter ausgespäht werden. Andererseits fürchtet sie wohl weitere Erkenntnisse über ein internationales Zusammenwirken westlicher Geheimdienste, auch der deutschen, zulasten der Grundrechte der Menschen im eigenen Land. So sind neben der Vasallentreue gegenüber den USA handfeste eigene Interessen im Spiel.

Dass, käme Edward Snowden nach Deutschland, dessen Schutz gesichert und dessen Auslieferung an die USA ausgeschlossen sein müssten, ist ebenso selbstverständlich, wie es ein sehr ernst zu nehmendes Problem ist. Wie die Vereinigten Staaten mit Personen seines Schlages umgehen, zeigt das Urteil gegen E. Manning ebenso wie die Praxis von Guantanamo, tagtäglich und allen Beteuerungen des US-Präsidenten zum Trotz. Gegebenenfalls schert sie internationales Recht einen Kehricht: Weil man Snowden im Sommer 2013 an Bord des Flugzeuges des bolivianischen Präsidenten vermutete, wurde die Regierungsmaschine in Wien zur Landung gezwungen.

Einem potenten Staat wie der Bundesrepublik Deutschland sollte es jedoch möglich sein, Edward Snowden hierzulande Sicherheit zu gewähren und ihm –­ hier oder anderswo – zu einem künftigen sicheren Leben zu verhelfen. Am entsprechenden Willen der Bundesregierung darf allerdings gezweifelt werden, für sie gibt es ganz offensichtlich dem Schutz der Bürgerrechte deutlich übergeordnete Interessen.

Für ihre Öffentlichkeitsarbeit über die von Edward Snowden zugänglich gemachten Materialien sind in den letzten Tagen vielfach Journalisten und Redaktionen mit hohen Auszeichnungen bedacht worden. Die „Washington Post“ und der „Guardian“ haben für ihre Enthüllungen der NSA-Geheimdienstpraktiken in dieser Woche den renommierten Pulitzerpreis, den Oscar der Zunft, in der wichtigen Kategorie „Dienst an der Öffentlichkeit“ erhalten. Die Guardian-Journalistin Laura Poitras trifft den Kern der Sache, wenn sie feststellt: „Es ist eine Würdigung von Snowdens Mut, eine Rehabilitation seiner Courage und seines Strebens, die Öffentlichkeit über das Tun der Regierung zu informieren."

Die Nachricht über die Preisverleihung hörte ich im Radio. In der darauffolgenden Meldung wurde vermeldet, das Attentat beim Boston-Marathon, bei dem im April 2013 drei Menschen getötet und weit über zweihundert verletzt wurden, sei zu verhindern gewesen. Den amerikanischen Diensten hätten entsprechende Informationen vorgelegen, deren Brisanz aber nicht erkannt wurde. Welch makaberes Beispiel für die Sinnlosigkeit der grenzenlosen Daten-Sammelwut.

Es ist höchste Zeit, dass sich die Bundesregierung endlich konsequent von der grundgesetzwidrigen Vorratsdatenspeicherung verabschiedet, die jüngst in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes als ein Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten charakterisiert wurde. Die Apologeten der Sammelei seien überdies auf wissenschaftliche Untersuchungen verwiesen, wonach die Vorratsdatenspeicherung die Aufklärungsquote von Verbrechen um gerade einmal 0,006 (!) Prozentpunkte verbessert hat.

Die Courage des Edward Snowden hat anderen, die sich auch couragiert verhalten haben, ehrenwerte Preise eingebracht. Snowden verdient weiter unsere Solidarität. Und natürlich verdient gerade er einen Preis. Unsere Bundestagsfraktion hat ihn für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. In einem Brief Gregor Gysis an das Nobelpreis-Komitee heißt es: „Edward Snowden hat sich mit seinem Einsatz und Engagement für die weltweiten Menschenrechte verdient gemacht und dabei sein Leben größter Gefahr ausgesetzt. Auch die Bürgerinnen und Bürger der USA erfuhren durch Edward Snowden von der flächendeckenden Überwachung und wurden ermutigt sich dagegen aufzulehnen. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Edward Snowden würde sich zudem positiv auf seine persönliche Sicherheit auswirken, wie auch seinem hohen persönlichen Einsatz Rechnung tragen.“

linksfraktion.de, 16. April 2014