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Tunesien: Kampf um Frauenrechte, Toleranz und Demokratie geht weiter

Im Wortlaut von Niema Movassat,

Teil 3 des Reisetagebuchs von Niema Movassat

 

 

Von Niema Movassat, Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Wir verlassen Kairo. Auf dem Weg zum Flughafen zu unserem Flugzeug nach Tunesien kommen wir an Mubaraks altem Palast vorbei. Ein Mitarbeiter der Deutschen Botschaft zeigt uns die Stelle, an der die Panzer der ägyptischen Arme die Kanonen umdrehten – weg von den Demonstranten hin auf den Präsidentenpalast. Es war der Tag an dem das Militär Mubarak die Unterstützung entzog. Dies ist der letzte bewegende Eindruck aus Ägypten, aus Kairo, dieser hektischen Stadt.

Tunis, die Hauptstadt des 10-Millionen Einwohnerlandes Tunesiens, in der unsere Parlamentsdelegation weniger Stunden später ankommt, ist völlig anders als Kairo. Sie ist ruhiger, moderner, weniger hektisch. Man kann sich nicht im Entferntesten vorstellen, dass hier vor einem Jahr der Umbruch in der arabischen Welt begann. Das hier in Tunesien die Menschen gegen den Diktator Ben Ali aufstanden und ihm in wenigen Tagen, am 14.01.2011, aus dem Land vertrieben. Vermutlich hat sich niemand in der arabischen Welt vorgestellt dass ausgerechnet Tunesien, dieses kleine Land, der Ausgangspunkt des Arabischen Frühlings sein würde. Und alles, weil sich ein junger, armer Gemüsehändler vor einem Gouverneurspalast mit Benzin übergoss und anzündete, weil er gedemütigt worden war und ihm durch die Wegnahme seines Gemüsewagens durch die Polizei seine Existenz entzogen wurde.

Wir treffen viele Minister der neuen Übergangsregierung. Sie besteht aus einer Koalition mit der islamistischen Ennahda Partei, die rund 40 % der Stimmen holte, der sozialdemokratischen Ettakatol und der Zentrumspartei CPR. Die Probleme des Landes, das zeigen die Gespräche mit dem Arbeitsminister und dem Minister für Internationale Zusammenarbeit, sind die hohe Arbeitslosigkeit (ca. 25 %), die ungleiche Verteilung des Reichtums zwischen Stadt und Land (unter Ben Ali floss 80 % des Haushalts nach Tunis und die Touristenstädte, der Rest des Landes wurde systematisch vernachlässigt) und die um sich greifende und zunehmende Armut. Die Regierung will mehr Steuergerechtigkeit schaffen, da bisher gerade Unternehmen und reiche Tunesier vergleichsweise wenig Steuern zahlen mussten und sie will den Haushalt stärker darauf ausrichten, die ländliche Entwicklung voranzutreiben und Infrastruktur in den Dörfern zu schaffen. Als wir aufs Land rausfahren wird der Kontrast deutlich: Man sieht verfallene Dörfer und Armut. Während man in Tunis denkt, man sei in einem reichen Land, sieht man in den Dörfern die wahre Lage des Landes und versteht umso mehr, warum der Aufstand von der ländlichen Bevölkerung ausging.

Doch wie schaut es eigentlich mit dem politischen Umbruch aus? Viele Beobachter waren schockiert über das starke Abschneiden der islamistischen Ennahda Partei bei der Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung. Sie holte über 40 % der Stimmen. Real aber holte sie gar nicht so viele Stimmen. Sie holte nur etwas mehr Stimmen als alle Parteien zusammen, die nicht ins Parlament einzogen. Denn es standen 80 Parteien zur Wahl, für viele WählerInnen war die Lage unübersichtlich. Zurzeit gründen sich zwei neue Parteien aus dem Zusammenschluss mehrerer kleiner Parteien: Eine mitte-rechts Partei und eine mitte-links Partei. Es ist davon auszugehen dass bei der nächsten Wahl das säkulare Lager deutlich mehr Sitze im Parlament erhalten wird.

Redet man mit der Ennahda Partei selber, und wir taten dies mehrmals, mit Abgeordneten, Ministern und Parteifunktionären, passt sie nicht in das Schreckgespenst „islamistischer“ Parteien, dass uns oft suggeriert wird in westlichen Medien. Sie verweist dabei darauf, dass ihr sie Demokratie, Pluralismus und Rechtstaatlichkeit anstrebt. Auch sind 41 ihrer 89 Abgeordneten in dem 217 Mitglieder zählenden Parlament Frauen. Was übrigens aber vor allem am Wahlsystem liegt, dass eine 50 % Frauenquote vorschreibt und damit was Gleichstellung angeht weiter ist als das deutsche Wahlsystem. Auch verweist die Ennahda darauf, dass sie nicht vor hat,  Frauen zu benachteiligen. Man erkenne vielmehr an, dass Frauen in Tunesien nahezu gleichberechtigt mit den Männern waren und man möchte dies nicht verschlechtern. Man verweist uns gegenüber auch darauf, dass man den Konsens mit allen im Parlament vertretenen Parteien suche.

 

Doch es gibt seitens der neuen Koalition, auch gerade durch die Ennahda, negative Beispiele, die die schönen Worte überdecken bzw. dafür sorgen skeptisch zu sein. Gerade linke Kräfte, Gewerkschaften und die Frauenbewegung im Land sind wie Gespräche zeigten zunehmend besorgt. Einige Beispiele an dieser Stelle:

Die Ennahda Partei hatte versucht die Chefredakteure von Zeitungen und Medien auszutauschen durch Leute, die der Regierung nahe stehen, d.h. einen Frontalangriff auf die Pressefreiheit. Nur massiver zivilgesellschaftlicher Druck konnte das am Ende verhindern.

Die Polizei ist bei auch gewalttätigen Übergriffen von Salafisten (radikale Islamisten), von denen es im Land ca. 3000 gibt, auf Universitäten, nicht eingeschritten. Die Salafisten fordern vor allem, dass die Vollverschleierung an den Unis erlaubt wird (der „normale“ Schleier ist erlaubt). Die HochschullehrerInnen sind dagegen. Durch Sit-Ins von Salafisten kam es zu wochenlangen Ausfall des Unterrichts an der betroffenen Fakultät. Es gab auch gewalttätige Übergriffe auf Dozenten. Die Ennahda stellt den Innenminister und weigerte sich zumindest diejenigen von der Universität zu verweisen, die gar keine Studenten sind, d.h. die Mehrzahl der Störer. Als die HochschullehrerInnen dagegen vor dem Hochschulministerium demonstrierten ging die Polizei mit Gewalt gegen sie vor.

Drittes Beispiel ist, dass die Ennahda versucht die Sharia in der neuen Verfassung zu verankern. Aus Sicht linker Parteien, Frauenbewegung und Juristen würde dies aber bedeuten, den hohen Stand der Frauenrechte zu beschneiden. Dabei waren es gerade die Frauen, die gekämpft haben auf der Straße, auch um eine Verbesserung ihrer Lage zu erreichen. Wir besuchten die Frauenrechtsorganisation ATDF. Die Vorsitzende erzählt uns, dass schon die alte Verfassung, weil sie festschrieb, dass Tunesien ein „islamisches“ Land ist, dazu führte, dass Frauen benachteiligt worden. Denn viele Richter nutzen dies als Einschränkungsmöglichkeit für die Rechte der Frau. Nun droht aus ihrer Sicht ein kompletter roll back, falls die Sharia als Rechtsquelle aufgenommen wird in die Verfassung. Auch gibt es massive Propagandakampagnen der Ennahda gegen Frauenbewegungen.

Viertes Beispiel: Es gibt in Tunis derzeit einen Streik der Müllarbeiter. Dabei fordern diese, dass die Zusagen der letzten Tarifrunde umgesetzt werden, d.h. es sind keine neuen Forderungen, sondern schlicht die Forderung nach Einlösung des Tarifvertrages. Die Ennahda rief nun dazu auf den Müll vor die Geschäftsstellen der größten Gewerkschaft UGTT abzuladen und startete damit eine Anti-Gewerkschaftskampagne. Dabei kam es in einigen Städten auch zu Angriffen auf Geschäftsstellen der UGTT. Es handelt sich also um einen Angriff aus der Übergangsregierung auf die Gewerkschaftsfreiheit.

Es sind alles keine „harten“ Beweise, aber sie relativeren den sprachlich-weltoffenen Ansatz der stärksten Regierungspartei Ennahda und begründen die Skepsis. Einige Linke sind bereits resigniert und haben Angst, dass die Revolution am Ende scheitert. Auch weil die säkular-linken Parteien schlecht aufgestellt und organisiert sind. Doch kann man im Falle Tunesiens festhalten, dass die Revolution deutlich weiter vorangeschritten ist als in Ägypten. So spielt das alte Regime keine Rolle mehr. Es sind gerade mal knapp ein Dutzend der Abgeordneten Mitglieder der ehemaligen Ben Ali Partei RCD. Es hat also einen kompletten Personenwechsel in der tunesischen Politik gegeben. Das macht Hoffnung. Genauso dass das Militär anders als in Ägypten keine politische Rolle spielt und sich neutral verhält. Auch das die Medien kritisch berichten, mit der UGTT eine starke Gewerkschaft vorhanden ist, dass Frauenrechte weithin in der Gesellschaft anerkannt sind, all das lässt hoffen das der derzeit konservativ-autoritäre Kurs, den die jetzige tunesische Regierung zunehmend einschlägt, am Ende nicht der Kurs des Landes nach der Revolution sein wird.

 

Zu Teil 2 des Reisetagebuchs