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Türöffner für die Kopfpauschale

Im Wortlaut,

Gesundheitspläne stoßen auf Widerstand von Gewerkschaften, Verbänden und Opposition

Von Silvia Ottow

Die Erhebung von Zusatzbeiträgen bei den ersten Krankenkassen, die nur von den Versicherten und nicht mehr von den Arbeitgebern bezahlt werden müssen, hat viele Menschen verunsichert. Die Gewerkschaften wollen den Kopfpauschalenplänen der Regierung eigene Vorstellungen entgegensetzen.

»Ich werde meiner Krankenkasse vier Euro im Monat überweisen«, wird ein Zuschauer in einer Fernsehsendung zitiert. »Den Rest kann sie sich vom Arbeitgeber holen.« Fälle, wie dieser Mann sie verursachen könnte, gehören zum Horrorszenarium jeder Krankenkasse, die sich gezwungen sieht, einen Zusatzbeitrag von ihren Versicherten zu verlangen. Bis zu zwei Euro, haben Experten ausgerechnet, könnten jeden Monat für die Verwaltung draufgehen, Mahngebühren gar nicht eingerechnet.

Acht gesetzliche Krankenkassen haben Zusatzbeiträge angekündigt, neun planen es. Elf Millionen Versicherte wären von den Kostensteigerungen betroffen, im nächsten Jahr könnten es schon alle sein. »Die Krankenkassen müssen jetzt 52 Millionen Einzelkonten für ihre Mitglieder einrichten. Damit schaffen sie eine Infrastruktur für die Kopfpauschalen, ohne es zu wollen. Über diese Konten lassen sich statt acht Euro Zusatzbeitrag grundsätzlich auch 150 Euro Kopfprämie verbuchen«, warnt Herbert Rebscher, Vorstandsvorsitzender der DAK, die als eine der ersten Kassen Zusatzbeiträge ankündigte.

Die Zusatzbeiträge, die heute alle Gemüter erhitzen, wurden im übrigen zusammen mit dem Gesundheitsfonds auf den Druck der CDU/CSU-Fraktion bei den Reformverhandlungen 2006 beschlossen, wohlweislich für 2010. Vor diesem Hintergrund scheint die Forderung der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach einer Prüfung der Krankenkassen und ihr Unmut über die Zusatzbeiträge ebenso heuchlerisch wie die Empfehlung des FDP-Gesundheitsministers Philipp Rösler, der den Versicherten zum Kassenwechsel rät. Nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen möchte er die Kopfprämie schrittweise einführen. Acht Euro im Monat könnten bald alle Kassen fordern, die Summe könnte größer werden, aus dem Zusatzbeitrag wird die Kopfpauschale. Opposition, Sozial- und Wohlfahrtsverbände, DGB und Politiker von CDU und CSU halten sie für unsozial.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat eine Reformkommission für ein »solidarisches Gesundheitssystem der Zukunft« angekündigt. Das Gremium werde - als Alternative zur geplanten Regierungskommission - »bis zum Herbst 2010 Vorschläge zur Weiterentwicklung der solidarischen Krankenversicherung ausarbeiten«. Die Pläne der Bundesregierung erforderten »eine grundlegende gesellschaftliche Auseinandersetzung über die Zukunft unserer solidarischen Krankenversicherung«, so DGB-Vorstand Annelie Buntenbach.

Hans-Jürgen Müller, IKK-Verwaltungsratsvorsitzender, erklärt dieser Zeitung: »Ich hoffe, dass der Widerstand so groß sein wird, dass der Minister von der Kopfpauschale Abstand nimmt. Sie ist zutiefst ungerecht«. Kathrin Vogler von der LINKEN im Bundestag, die für eine solidarische Bürgerversicherung wirbt, hält es ebenfalls für aussichtsreich, sich zu wehren. Die Regierung sei sich nicht einig, sagt sie. CSU-Vorsitzender Horst Seehofer bezeichnet die Pauschale, für deren Einführung laut SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier 35 Milliarden Euro benötigt werden, als völligen Nonsens und gibt ihr »nicht die Spur einer Chance«. Widerstand gegen die Aufkündigung der Solidarität probt schon mal die Senioren-Union der CDU in Schleswig-Holstein. Sie rät, Zusatzbeiträge nicht zu zahlen, die seien ein Eingriff in den Solidarpakt von Arbeitnehmern und -gebern, heißt es in ihrer Mitteilung.

Neues Deutschland, 2. Februar 2010