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»Truppen vor Ort bedeuten Krieg«

Im Wortlaut,

Er gilt als einer der profiliertesten Journalisten Afghanistans: Sayed Yaqub Ibrahimi. Weil er mit seinen Reportagen über Drogenschmuggel, Korruption und Gewaltverbrechen zahlreichen Politikern und Warlords in Afghanistan zu gefährlich wurde, musste er ins Exil gehen. Mit www.linksfraktion.de sprach er über die anstehende Verlängerung des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan, über Todesgefahr bei seinen Recherchen und darüber, wie Afghanistan ein friedliches Land werden kann.

Morgen wird der Deutsche Bundestag über die Verlängerung des Einsatzes deutscher Truppen in Afghanistan sprechen. Wie denken Sie als Afghane und Journalist darüber?

Sayed Yaqub Ibrahimi: Die Diskussion über eine Verlängerung des Einsatzes der deutschen Truppen ist eine falsche Diskussion, denn es geht um Soldaten. Die Diskussionen der Internationalen Gemeinschaft und ihrer Parlamente handeln immer zuerst davon: Mehr Truppen, weniger Truppen, Abzug ja oder nein.

Welches Thema sollte die Diskussion stattdessen dominieren?

Ein Nachdenken über die afghanische Zivilgesellschaft. Über die Menschen selbst. Darüber wird in den Parlamenten zu wenig gesprochen. Und wenn man schon über Soldaten diskutiert, dann sollten sich die Parlamentarier ehrlich fragen: Was hat der Einsatz bisher eigentlich gebracht? Was haben die Soldaten für die Menschen dort konkret gemacht? Die Antwort darauf ist bitter: Zehn Jahre haben nichts gebracht. Der Einsatz ist komplett sinnlos.

Die Mehrheit des Bundestages wird dem Einsatz und damit den Truppen vor Ort in Afghanistan wohl zustimmen...

… das ist keine gute Nachricht, denn Truppen vor Ort bedeuten Krieg.

Die Bundesregierung sagt nun aber, wir bauen Brücken, Schulen und haben damit Erfolg. Sehen Sie gar keine positiven Aspekte der bisherigen Arbeit der deutschen Truppen?

Lassen Sie mich bitte eines sagen. In der Rede von Schulen und Brücken zeigt sich ein weiteres Grundproblem. Die Regierungen der Internationalen Gemeinschaft – speziell auch Deutschland –  sehen Afghanistan und die Menschen dort als Opfer. In Berlin, in London und Washington wird über Afghaninnen und Afghanen entschieden, nicht vor Ort. Zuerst muss diese Perspektive verändert werden. Wenn sich diese Sichtweise von Afghanistan als Opfer nicht ändert, dann wird selbst bei einem Abzug niemals Friede in Afghanistan sein, sondern nur Chaos.

Und die aufgebauten Schulen?

Die meisten sind doch schon wieder zerstört. Man sollte immer bedenken, der Großteil all der Milliarden wurde für das Militär benutzt: 90 Prozent kämpfen, 10 Prozent Aufbau. Und letzterer geht unter in Korruption und schlechter Qualität. Meiner Meinung nach sind die wenigen Aufbauprojekte vor allem deswegen da, um den Einsatz zu legitimieren. Damit wollen die ausländischen Regierungen den Afghanen zeigen: Wir machen etwas für euch. Die Realität vor Ort ist aber leider, dass seit Jahren die Zahl der getöteten Zivilisten, der Selbstmordanschläge, der Umfang der Korruption und des Drogenhandels steigen.

Welchen Weg schlagen Sie vor?

Es gibt eine Zivilgesellschaft, in ihr liegt ein riesiges Potenzial, mit dem erfolgreiche Wege beschritten werden können.

Wie sieht das aus?

Es ist die junge Generation in Afghanistan, sie ist demokratisch gesinnt und denkt modern. Darüber denkt die Internationale Gemeinschaft jedoch kaum nach. Aber die jungen Menschen sind es, die Unterstützung brauchen, denn leider haben sie keine starken Organisationen, keine großen Parteien, in denen sie sich organisieren können.

Warum?

Weil ihnen keine Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Wie kann man sie unterstützen?

Sowohl die Internationale Gemeinschaft als auch andere Menschen sollten sich auf diese junge Generation konzentrieren, ihnen Unterstützung zukommen lassen bei ihrem Weg und ihrer Arbeit, um das Land voran zu bringen. Dieses Potenzial wird sich langsam entwickeln, daraus kann eine  soziale Kraft werden, die fähig ist, sich gegen Fundamentalismus und Terror durchzusetzen. Aber man muss dabei auch bedenken: Sozialer Aufbau –  das ist keine einfache Sache, so etwas dauert sehr lange, aber es wäre der richtige Weg.

Bisher stützt sich die NATO bei ihren Strategien vor allem auf die Regierung von Karzai?

Und damit auf einen Fundamentalisten. Es gibt zwei Gruppen von Fundamentalisten in Afghanistan. Die eine ist auch der westlichen Öffentlichkeit bekannt:  Es sind die Taliban. Die andere Gruppe aber, das sind Karzai und seine Warlords. Man muss wissen, Karzai hat zwei Gesichter. Eines, das zeigt er, wenn er im Ausland unterwegs ist. Dann redet er von Demokratie, Menschenrechten und so weiter. In Afghanistan selbst, da zeigt er sein anderes Gesicht, ein undemokratisches. Die Freiheit der Rede, der Gedanken – vor all dem haben er und seine Verbündeten, die alle wichtigen Positionen im Land besetzen, Angst.

Warum?

Weil sie Angst vor der Wahrheit haben. Angst davor, dass ihre Verbrechen, ihre Korruption und Taten der Vergangenheit ans Licht kommen.

Sie selbst haben zahlreiche dieser Verbrechen und Missstände in Artikeln beschrieben.

Dafür erhielt ich Todesdrohungen und meine Familie wurde bedroht. Man versuchte aber auch, mich mit Geld zu bestechen.

Man inhaftierte sogar Ihren Bruder, verurteilte ihn zum Tode und nur internationale Proteste halfen, ihn nach Jahren wieder frei zu bekommen. Trotzdem haben Sie während dieser Zeit weiter kritisch berichtet. Woher nahmen Sie die Kraft und den Mut?

Ich habe mir immer gesagt: Wenn ich den Beruf des Journalisten gewählt habe, dann muss ich weiterarbeiten, darf mich nicht einschüchtern lassen. Wenn man das nicht macht, aufhört zu schreiben, dann kann man auch nicht behaupten, dass man ein Journalist ist. Diese Jahre waren zugleich aber auch die schwersten Zeiten für mich.

Freiheit der Presse hört sich anders an.

Dutzende Journalisten wurden in den letzten Jahren umgebracht. Es herrscht Angst. Die Folge davon ist eine Selbstzensur der Medien, denn die Journalisten vor Ort in Afghanistan wissen, sie sind in Todesgefahr, sobald sie die Wahrheit schreiben.

Interview: Benjamin Wuttke

linksfraktion.de, 27. Januar 2011


Zur Person:
Sayed Yaqub Ibrahimi berichtet seit mehr als acht Jahren über Kriegsverbrechen, Korruption und Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan. Vor allem für das „Institute for War and Peace Reporting“ schrieb er Texte und wurde somit zu einem der schärfsten Feinde der Kriegsfürsten. Er und seine Familie erhielten Morddrohungen und im Jahr 2007 wurde sein Bruder, der Student Sayed Parvez Kaambakhsh, verhaftet. Der Vorwurf: Er habe einen islamkritischen Text heruntergeladen und in der Universität verteilt. Ein Provinzgericht verurteilte ihn zum Tode. Erst nach internationalen Protesten und Artikeln wurde das Urteil zunächst in eine lebenslängliche Haftstrafe verwandelt. Sayed Yaqub Ibrahimi arbeitete in dieser Zeit dennoch weiter als kritischer Journalist und im September 2009 schließlich wurde sein Bruder freigelassen. Seitdem leben beide Brüder im Exil. Im Oktober 2010 erhielt Yaqub Ibrahimi in Leipzig den deutschen Medienpreis.