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Tafeln zeigen das sozialpolitische Versagen der Bundesregierung deutlich auf

Nachricht von Sabine Zimmermann,

Von Sabine Zimmermann, stellvertretende Vorsitzende Fraktion DIE LINKE im Bundestag

 

Seit über 20 Jahren machen Schlangen vor den Tafeln Armut und Not in Deutschland konkret sichtbar und zeigen, dass der Sozialstaat nicht (mehr) funktioniert. Menschen bitten um Almosen und reihen sich ein, um „überschüssige“ Lebensmittel, die von Unternehmen wie etwa Einzelhandelsketten gespendet wurden, kostenfrei oder günstig zu bekommen. Die Tafeln organisieren diese Weiterverwendung nicht mehr verkäuflicher Waren.

Die erste Tafel wurde 1993 in Berlin gegründet, 1995 ein bundesweiter Dachverband. Heute existieren nach Angaben des Bundesverbandes Deutsche Tafel e.V. etwa 900 Tafeln mit mehr als 3.000 Tafel-Läden und Ausgabestellen. Die nachfolgende Tabelle zeigt die rapide Verbreitung der Tafeln in Deutschland.

Entwicklung der Tafeln:

Quelle: www.tafel.de

Etwa 60.000 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien hier im Einsatz. Circa 1,5 Mio. Menschen nähmen pro Jahr die Angebote der Tafeln – insbesondere Lebensmittel – in Anspruch. Davon seien 30 Prozent Kinder und Jugendliche, 53 Prozent Menschen in erwerbsfähigen Alter und 17 Prozent Rentnerinnen und Rentner (Infos: www.tafel.de). Tafeln sind mittlerweile eine feste Größe im Gefüge der sozialen Hilfen.

Anlässlich des 20. Jahrestages der Gründung des Bundesverbandes hat die Fraktion DIE LINKE ausführlich mit einer Kleinen Anfrage bei der Bundesregierung nachgefragt: Was leisten die Tafeln? Welche Gründe erklären das massive Wachstum der Tafeln? Wie bewertet die Bundesregierung die Tafeln?     

In ihrer Antwort dokumentiert die Bundesregierung, dass sie über so gut wie kein Wissen zu den Tafeln verfügt. Die Bundesregierung will – entgegen des Umfangs des heutigen Tafelwesens – glauben machen, Tafeln hätten lediglich einen punktuell ergänzenden Charakter im System der sozialen Hilfen. Die Bundesregierung weiß allerdings zum konkreten Umfang und Volumen der Angebote der Tafeln nichts, hält es aber auch nicht für notwendig, eine statistische Erfassung aufzubauen.

Die Tafeln reagieren auf die wachsende Armut im Land und bringen diese zum Ausdruck ­– so sieht es der gesunde Menschenverstand und sieht es auch der Bundesverband der Deutschen Tafeln e.V. selbst. Nicht aber die Bundesregierung, die folgende interessante Erklärung für das Wachstum der Tafeln gibt: Erstens schafft das Angebot (die Tafel) ihre Nachfrage (die Bedürftigen) selber, durch die wachsende Nachfrage reagieren die Tafeln wiederum mit neuen Angeboten – ein Kreislauf, der mit der realen Not der Menschen anscheinend nichts zu tun hat. Und außerdem sei es doch rational von den Menschen: sie sparten Geld an Lebensmitteln, um sich andere Dinge leisten zu können.

Die Bundesregierung sieht daher in den Tafeln keineswegs Einrichtungen, die sozialstaatliche Defizite offenbarten oder einen Ersatz staatlicher Sozialpolitik. Die Tafeln seien eine wichtige Ergänzung der vorhandenen Sozialleistungen, zudem begrüßt die Bundesregierung, dass die Tafeln eine sinnvolle Verwendung von qualitativ einwandfreien Produkten, insbesondere von überschüssigen Lebensmitteln, ermöglichten. Grundsätzlich sei nach Meinung der Bundesregierung aber das Existenzminimum korrekt und verfassungskonform berechnet und beruft sich damit auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 2014. Die Bundesregierung liest den Beschluss aber äußerst selektiv und ignoriert die massiven Bauchschmerzen und Kritiken, die das Bundesverfassungsgericht aufgrund des Kleinrechnens des Existenzminimums durch die Bundesregierung geäußert hat.

Die Antwort der Bundesregierung zum Tafelwesen in Deutschland wirft ein weiteres Mal die Frage auf, wie viel Belege die Bundesregierung noch dafür braucht, dass ihre Sozialpolitik nicht armutsfest ist. Dass die Tafeln kein Ausdruck für eine zunehmende Verarmung immer mehr Menschen seien, grenzt an Realitätsverweigerung. Der Boden für das Wachstum des Tafelwesens wird bereitet durch die Sicherungslücken einer verfehlten Sozialpolitik. Das Angebot der Tafel zu nutzen hat unterschiedliche Gründe, von der nicht existenzsichernden Absicherung bei Erwerbslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit über Dumpinglöhne und prekäre Beschäftigung bis hin zu Armutsrenten. Eine drastische Kehrtwende in der Sozialpolitik ist notwendig. Dazu gehört unter anderem, Hartz IV durch eine menschenwürdige sanktionsfreie Mindestsicherung zu ersetzen, ein Mindestlohn ohne Ausnahmen in Höhe von 10 Euro die Stunde, systematische Niedriglohnbeschäftigung wie Leiharbeit abzuschaffen und die Einführung einer auskömmlichen Mindestrente. 

Antwort der Bundesregierung als PDF herunterladen

Analyse der Antwort von Tafelexperte Prof. Dr. Stefan Selke

 

linksfraktion.de, 29. September 2015