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Täglich grüßt das Murmeltier

Im Wortlaut von Katja Kipping,

Hartz-IV-Sanktionen und der Wiederholungszwang des schlechtesten Arguments

 

Von Katja Kipping, sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

 

Am Montag wird im Petitionsausschuss über Inge Hannemanns Petition zur Abschaffung von Sanktionen im SGB II/XII, alltagssprachlich auch „Hartz-IV-Sanktionen“, diskutiert. Mehr als 90.000 Menschen haben die Petition unterzeichnet und damit das nötige Quorum bei weitem übertroffen. Kaum hatte ich den Anhörungstermin auf Twitter veröffentlicht, zwitscherte ein User hämisch zurück: „Ich will auch Geld ohne Gegenleistung“.

Bei solchen Beiträgen komme ich mir vor wie der Wetteransager Phil Connors in der Komödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Der sitzt in einer Zeitschleife fest und durchlebt wieder und wieder den selben 2. Februar. Wieder und wieder beginnt der Tag mit den immergleichen Ereignissen. Bei mir ist der „Murmeltiertag“ nicht auf ein Datum festgelegt, sondern die Schleife beginnt, wenn ich im Bundestag oder in Talkshows über Sanktionen spreche. Dann kommen die immergleichen, längst wiederlegten Argumente.

Als ich vor zwei Jahren im Bundestag zum Antrag der LINKEN auf Abschaffung von Sanktionen sprach, erklärte Gabriele Hiller-Ohm die Ablehnung der SPD mit dem selben Argument wie der zitierte Twitterer: „Wir wollen, dass den Menschen, die in Not geraten, Sozialleistungen gewährt werden. […] Aber diese Menschen müssen auch alles dafür tun, dass sie […] sich von der Sozialleistung schnell wieder lösen.“ Wie in zitiertem Twitter-Kommentar wird hier das Ressentiment, ALG-II-Beziehende seien untätig und würden deswegen sanktioniert, aufgerufen. Frau Hiller-Ohm kannte sicher die damals kursierende Statistik, dass 38 Prozent der Widersprüche gegen Sanktionen Erfolg haben und 55 Prozent aller Klagen gegen Sanktionen gewonnen werden. Der Fehler lag also sehr oft auf Seiten der Behörde. Der Löwenanteil der Sanktionen wird im Übrigen deswegen ausgesprochen, weil ALG-II-Beziehende einen Termin nicht wahrgenommen hatten, bzw. eine Entschuldigung nicht rechtzeitig auf dem Tisch der/des SachbearbeiterIn landete.

Die Konsequenzen von Sanktionen wiegen schwer. Das hat jüngst eine Studie im Auftrag der Linksfraktion NRW ergeben. Die Betroffenen müssen sich verschulden, ziehen sich aus dem Freundeskreis zurück, verfallen in Depressionen. Viele Jugendliche verlassen das Hilfesystem ganz und leben z.B. auf der Straße. Bei der Suche nach einer Arbeits- oder Ausbildungsstelle sind Sanktionen ein Hindernis, wie mittlerweile sogar Leiter von Jobcentern eingestanden haben. Denn wer auf einmal ganz ohne Geld, im schlimmsten Fall ohne Miete und Strom dasteht, hat mit existenzieller Not zu kämpfen. Sich auf ein Bewerbungsschreiben oder ein Vorstellungsgespräch konzentrieren, fällt dann besonders schwer.

Ich mache mir keine Illusionen: Auch am Montag werden wir im Ausschuss viele Murmeltierargumente zu hören bekommen. Im Film gibt es ein Happy End. Phil Connors wacht eines Tages am 3. Februar auf. Ich freue mich, wenn ich eines Tages aufwache und die Sanktionen abgeschafft sind. Denn ich weiß, dass sehr viele Menschen dafür gegen die Murmeltiere kämpfen mussten.

linksfraktion.de, 17. März 2014