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Syrien: neuer NATO-Krieg

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Von Sevim Dagdelen, Sprecherin für internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag





Am 6. Dezember, just als die Bundesregierung die Entsendung von Bundeswehrsoldaten und Luftabwehrbatterien in die Türkei beschlossen hat, berichtet die Süddeutsche Zeitung in einem als Enthüllungsbericht daherkommenden Artikel über einen Streit in der NATO. Nachdem diese ihrerseits am Dienstag die Unterstützung der Türkei mit Patriot-Raketen aus den USA, Deutschland und den Niederlanden beschlossen habe, sei den Außenministern beim Abendessen der Appetit vergangen. Der NATO-Generalsekretär Rasmussen habe ein Umdenken hinsichtlich der Rolle des Bündnisses in Syrien und gegenüber dem Iran eingefordert, man dürfe "den Kopf nicht in den Sand stecken", wird er zitiert. Die Süddeutsche behauptet, "die Nato [würde] damit ihren bisherigen Kurs radikal ändern, dass ein Einsatz der Allianz in Syrien ausgeschlossen sei“.
 
Angeblich hätten sich der türkische und der britische Außenminister sowie Hillary Clinton hinter Rasmussen gestellt, während u.a. der deutsche und der niederländische Außenminister sich "vehement“ gegen diesen Vorstoß gewandt hätten. SZ-Autor Martin Winter bezog sich in seinem Artikel auf "mehrere Quellen“, die wohl unmittelbar dabei gewesen sein müssen, als "Westerwelle ... brüsk eine Frage zurück [wies], ob jenseits der auch von ihm gezogenen 'roten Linie' für Syrien ein militärischer Einsatz liege“. Demnach gehe es Westerwelle nur um eine "politische Lösung“.
 
Was für ein Schauspiel, ein inszenierter Streit. Doch die Katze ist damit aus dem Sack: die NATO bereitet einen Angriff auf Syrien vor. Angeblich jedoch will die Bundesregierung diesen Kurs nicht mittragen. Zwei Tage später allerdings legt sie dem Bundestag einen Antrag zur "Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verstärkung der integrierten Luftverteidigung der NATO auf Ersuchen der Türkei" vor. Der Antrag umfasst auch Aufklärungsflüge durch AWACS mit deutscher Besatzung, die ohnehin längst stattfinden, zukünftig jedoch – so erklärte Verteidigungsminister De Maizière die Vorlage im Bundestag –  in einem "mandatspflichtigen Umfeld“ durchgeführt werden. Das ist eindeutig: Mandatspflichtig ist ein Einsatz der Bundeswehr nach Auffassung der Regierung nur dann, wenn die "Einbeziehung in einen bewaffneten Konflikt" zu erwarten ist. In dem Antrag selbst heißt es: "Die deutschen PATRIOT-Systeme und ihr Bedienungspersonal werden nach der Verlegung in die Türkei dem Alliierten Oberbefehlshaber der NATO unterstellt."

Der NATO-Oberbefehlshaber ist stets ein US-Amerikaner und zugleich Oberkommandierender des US-Kommandos für Europa (EUCOM) in Stuttgart, dessen Zuständigkeitsbereich u.a. die Türkei und Russland einschließt. Er untersteht damit dem US-Präsidenten, der am Tag vor dem NATO-Beschluss in einer Rede vor dem National War College in Washington D.C. direkt an Assad gewandt eine militärische Intervention androhte, falls dieser Anstalten mache, Chemiewaffen einzusetzen. Dieser Drohung schlossen sich noch am Dienstag, kurz vor dem angeblichen Streit beim Abendessen, Rasmussen und Westerwelle einmütig an. Zugleich streut die US-Regierung seit Tagen Gerüchte, wonach es Hinweise auf einen bevorstehenden Einsatz von Chemiewaffen und verdächtige Aktivitäten an deren Lagerstätten gäbe.1 In diesem Zusammenhang bestätigte Regierungssprecher Jay Carney am Tag vor dem NATO-Beschluss und dem vermeintlichen Streit um eine aktivere Rolle der NATO nicht nur in Syrien, sondern auch gegenüber dem Iran, dass Vorbereitungen für eine mögliche militärische Intervention getroffen würden. Das muss Westerwelle bekannt gewesen sein, als er sich im Bezug auf Chemiewaffen dem Gerede von der Roten Linie anschloss.
 
Der Bundesregierung ist durchaus bewusst, dass ihre NATO-Verbündeten Großbritannien, USA und Türkei eine Intervention vorbereiten und sich die türkische Regierung diese sogar schon vom Parlament hat absegnen lassen. In dieser Situation verlegt sie Luftabwehrbatterien in die Türkei. Anders als vor dem Irakkrieg 2003, als sie nur die Patriots an Israel auslieh, will sie diesmal gleich 400 Bundeswehrsoldaten mitschicken. Zu deren Aufgaben sollen laut Antrag der Bundesregierung "Einsatz und Einsatzunterstützung, Führung und Aufklärung einschließlich der Beteiligung an internationalen militärischen Hauptquartieren" zählen.
 
Es geht um die Beteiligung an einem Angriffskrieg. Um hierfür eine möglichst große Zustimmung im Bundestag zu erhalten, lässt sich Westerwelle in der SZ noch mit einer "brüsken Zurückweisung" der militärischen Option zitieren. Wenn die Verbündeten dann losschlagen und die deutschen Soldaten und Patriots vor Ort sind, wird es jedoch kein Zurück mehr geben. Schließlich begründete die Bundesregierung bereits deren Entsendung damit, "die Verlässlichkeit Deutschlands als Bündnispartner" zu demonstrieren. (PK)
 
1 Siehe hierzu den Kommentar von Peter Kleinert in dieser NRhZ-Ausgabe vom Mittwoch

Neue Rheinische Zeitung, 7. Dezember 2012