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Syrien: Die Abrüstung der Chemiewaffen ist möglich

Im Wortlaut von Jan van Aken,


Während einer Inspektion vom 7. Oktober bis 8. November 1991 messen zwei UN-Chemiewaffenkontrolleure in der damals größten Chemiewaffenanlage des Iraks das Nervengas in einem Container. Foto: UN Photo


 

Von Jan van Aken, vormaliger UN-Biowaffeninspekteur und jetzt außenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

 

Warum schreiben jetzt alle Leitartikler darüber, wie unmöglich eine Kontrolle der syrischen Chemiewaffen ist, wie groß die technischen Probleme sind? Warum legt Frankreich jetzt ein vergiftetes Angebot vor, in dem gleich wieder mit Militärschlag gedroht wird? Die Chance auf eine Einigung zur Kontrolle der syrischen Chemiewaffen darf jetzt nicht zerredet werden. Natürlich ist das kein einfacher Prozess, aber vieles spricht dafür, dass ein großer Teil der Chemiewaffen vergleichsweise schnell außer Landes gebracht und vernichtet werden könnte.

(1) Eine Kontrolle der Chemiewaffen gibt es nur kooperativ - mit Assad und nicht gegen ihn. Denn ohne seine Einwilligung müssten Bodentruppen halb Syrien besetzen und den Inspektoren den Weg zu den Arsenalen freikämpfen – eine wahnwitzige Vorstellung. Der französische Entwurf einer UN-Resolution, in der Assad mit einem Militärschlag bei Nichteinhaltung gedroht wird, kann den ganzen Prozess noch scheitern lassen. Frankreich scheint es hier nicht um eine Lösung, sondern nur um eine Rechtfertigung für einen militärischen Angriff zu gehen.

Entscheidend ist deshalb die Rolle Russlands, denn Assad bewegt sich bei der Chemiewaffen-Frage doch nur, weil Russland – neben Iran der letzte verbliebene Partner Assads – entsprechend Druck ausübt. Dabei spielt es keine Rolle, dass Putin das aus reinem Eigeninteresse macht. Er möchte auch verhindern, dass islamistische Milizen noch mehr Chemiewaffen in die Hand bekommen und damit möglicherweise auch in Tschetschenien oder Moskau angreifen. Ob nun aus Egoismus oder nicht: Entscheidend ist nur, dass Russland offenbar den Hebel hat, um Assad jetzt zur Abrüstung seines horrenden Chemiewaffen-Arsenals zu bewegen. Diese – historisch wohl einmalige Chance – muss unbedingt genutzt werden.

(2) Die Vernichtung der Chemiewaffen könnte auch recht schnell gehen. Alle Welt spekuliert jetzt darüber, dass es unter den Bedingungen eines Bürgerkrieges unmöglich sein könnte, die Chemiewaffen zu kontrollieren. Dabei könnte es je nach Art und Zustand der Chemiewaffen auch vergleichsweise unkompliziert sein. Man sollte diese Chance jetzt nicht mit Worst-Case-Szenarien zerreden.
 


Es ist unklar, in welcher Form die syrischen Chemiewaffen vorliegen, ob bereits als fertige Munition oder noch nicht-munitioniert, in großen Tanks. Wirklich schwierig wären Transport und Vernichtung von fertig abgefüllter Munition, die möglicherweise schon lange lagert, instabil ist und leckt. Allerdings gibt es unter westlichen Experten die starke Vermutung, dass ein Großteil der Chemikalien noch nicht in die Munition abgefüllt ist. Denn sehr wahrscheinlich ist das wichtigste Giftgas in Assads Arsenal das Nervengift Sarin, das in Form von zwei Vorläufer-Chemikalien gelagert wird, die erst kurz vor Gebrauch gemischt und in Munition abgefüllt werden. Wenn diese Vermutung richtig ist, sollte es kein allzu großes logistisches Problem sein, ein paar Tanks mit diesen Chemikalien in kurzer Zeit an einen syrischen Hafen zu verschiffen und außer Landes zu bringen.

(3) Die syrische Regierung muss sofort eine Erklärung über das Chemiewaffen-Arsenal abgeben. Das ist der erste Schritt zur Abrüstung. Dabei müssen Angaben gemacht werden über Art und Menge der chemischen Substanzen, aber auch über die Art der Lagerung: Welcher Teil dieser Substanzen ist bereits in Munition abgefüllt, welcher wird in größeren Mengen in Tanks gelagert, und wo. Erst dann kann eingeschätzt werden, wie die nächsten Schritte zur Vernichtung dieser Waffen aussehen können. In einer solchen Erklärung müssen natürlich auch alle Munitionsarten (gefüllt wie ungefüllt) und die Produktionsanlagen für die chemischen Substanzen aufgelistet werden.

(4) Jeder Tropfen Nervengift, der vernichtet wird, ist ein großer Erfolg. Es ist völlig richtig, dass unter den Bedingungen eines Bürgerkrieges nicht wirklich kontrolliert werden kann, ob Assad wirklich 100 Prozent aller Chemiewaffen deklariert. Auch an die Giftgas-Raketen der Rebellen werden die Russen beziehungsweise die UNO nicht so leicht herankommen. Trotzdem wäre es ein Riesenschritt, wenn auch nur ein Teil des Chemiewaffen-Arsenals Assads jetzt vernichtet würde. Jeder Tropfen Giftgas, der aus dem Land geschafft wird, kann nicht mehr gegen die Menschen in Syrien oder anderswo eingesetzt werden. Es wäre verantwortungslos, diese Chance jetzt zu zerbomben.

(5) Deutschland könnte sich jetzt schon an der Aufstellung einer „Chemical Destruction Group“ beteiligen. Eine solche UN-Gruppe gab es auch Mitte der 1990er Jahre im Irak, um die Chemiewaffen Saddam Husseins zu vernichten. Die Erfahrungen von damals können jetzt sehr hilfreich sein (siehe dazu auch das Compendium von UNMOVIC, Kapitel III.XI, Appendix II, in dem diese Arbeit detailliert beschrieben ist). Vermutlich wäre allerdings ein Transport der syrischen Chemiewaffen außer Landes der einfachere und schnellere Weg – das allerdings ist abhängig von Art und Zustand der Waffen/Substanzen.

 

linksfraktion.de, 12. Septemer 2013