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Ein Arbeiter trägt beim Umbau des Plenarsaales des Bundestages einen blau gepolsterten Stuhl © DBT/Achim MeldeFoto: DBT/Achim Melde

Streitbar, bürgernah, sachorientiert

Im Wortlaut von Jan Korte,

Sieben Reformpunkte von Jan Korte für ein starkes Parlament

 

„Dies sind Bewährungsjahre für die Demokratie“, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor kurzem gesagt. Auch fast 70 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes muss die parlamentarische Demokratie, müssen Menschenwürde, Rechts- und Sozialstaat verteidigt werden. Unsere parlamentarische Demokratie, so betont es der Bundespräsident, ist kein Selbstläufer: „Um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, wird ein schlichter Neuaufguss des Alten nicht genügen. Diese Regierung muss sich neu und anders bewähren.“ Da hat er schlichtweg Recht.  

Diese Aufgabe stellt sich nicht allein der Bundesregierung. Denn vom Vertrauen der Bevölkerung lebt auch das Parlament. Es braucht eine entschiedene Reaktion auf den Rechtsruck in der Gesellschaft, der sich leider auch in der Zusammensetzung des Bundestages widerspiegelt, und auf die zugleich bei Teilen der Bevölkerung zu beobachtende völlige Abwendung von der parlamentarischen Demokratie samt ihrer Institutionen. Wie kann es also gelingen, die parlamentarische Demokratie zu stärken und so zugleich zu verteidigen? Wie kann sie spannender, nachvollziehbarer und konfrontativer werden?

Wer Misstrauen und Vorurteile gegenüber der parlamentarischen Demokratie bekämpfen will, muss die Demokratie und das Parlament erfahrbarer machen.Der Bundestag muss ein wahrnehmbarer und ansprechbarer Ort der Entscheidung über die Zukunft des Landes werden. Ohne die Abgeordneten der größeren Fraktionen wird eine Reform für ein starkes und offenes Parlament jedoch nicht gelingen. Die parlamentarische Mehrheit bestimmt am Ende die Regeln, die sich der Deutsche Bundestag für seine Arbeits- und Verfahrensweisen gibt. Wir brauchen daher eine offene, unvoreingenommene Debatte darüber. Es geht um unser Selbstverständnis als Abgeordnete.

Klar ist doch, jede Fraktion steht für ihre eigenen politischen Inhalte. Genauso klar ist aber auch: die Auswirkungen der Arbeitsweise des Bundestags betreffen alle Abgeordneten und das Parlament. Die Vorurteile treffen am Ende gar das System als solches. Die parlamentarische Demokratie kann nicht weiter in Mithaftung genommen werden durch Reformunwillige. Koalitionsdisziplin ist kein Verfassungsgrundsatz. Das freie Mandat hingegen schon. Wir brauchen eine deutliche Trennung von Bundesregierung und Parlament. Und wir müssen die Arbeitsstrukturen und -prozesse des Bundestages hinterfragen und verbessern. Das geht alle Abgeordnete an. Wir müssen klar machen: Ja, wir haben verstanden. Und ja: wir wollen etwas ändern. Darum muss der Bundestag jetzt entschlossen eine Parlamentsreform anpacken!

1. Debattenkultur lebendiger gestalten

Der Bundestag als Parlament muss wieder der Ort der gesellschaftlichen Debatte und des Streits um die besten politischen Lösungen sein. Nur dann wird er auch so wahrgenommen werden. In den Debatten muss eine wirkliche Auseinandersetzung stattfinden, nicht in geschlossenen Regierungs- oder Koalitionsrunden.

Wir sind gewählt, um zu streiten. Die öffentliche Debatte ist Leitbild der parlamentarischen Demokratie, also der öffentliche Austausch von Argument und Gegenargument. Selbstgespräche der großen Koalitionsfraktionen - wie in der 18. Wahlperiode- sind das Gegenteil davon. Wir brauchen offenere Debattenformate als die sog. Berliner Stunde nach Fraktionsstärke. Das trägt von Anfang an zu mehr Lebendigkeit in die Debatte bei.

Wir müssen sichtbarer machen, wo die grundlegenden Unterschiede liegen. Unser „Geschäft“ beschränkt sich zwar nicht auf die großen gesellschaftlichen Debatten. Wir brauchen aber mehr Grundsatz- bzw. Orientierungsdebatten im Bundestag.

Wir müssen schauen, dass wir den ganzen Berg Arbeit noch erledigen und auch noch vermitteln können. Das heißt auch: mehr gewichten. „Dass wir gelegentlich offensichtlich Dringliches vertagen und dafür weniger Wichtiges für dringlich erklären“, hatte zuletzt der frühere Bundestagspräsident Lammert in seiner Abschiedsrede festgestellt. Wir dürfen uns nicht hetzen lassen von den Plänen der Regierung. Dazu braucht es vor allem mehr Selbstbewusstsein bei den Abgeordneten der Koalitionsfraktionen.

2. Öffentlichkeit zulassen. 365 offene Tage - im Jahr

Der Bundestag muss offen sein. Er muss dafür offener werden. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ganz zutreffend ausgeführt: „Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes; Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt, zu verfolgen, was politisch geschieht, ist nicht möglich.“ Zum Verständnis, wie und warum Politik gemacht wird, gehört vor allem, sich selbst ein Bild machen zu können. Dann haben auch sog. „alternative Fakten“ weniger Chancen. Wir Abgeordneten sind gewählt für ein Gesetzgebungsorgan; wir sitzen nicht im eigenen Wohnzimmer. Öffentlichkeit gehört zur parlamentarischen Demokratie. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel zu mehr Transparenz, vor allem bei der Unionsfraktion. Mindestens erfordert dies: Grundsätzlich öffentlich tagende, im Internet übertragene Ausschüsse und eine proaktive Veröffentlichung der Dokumente und Protokolle des Parlaments und seiner Ausschüsse. Die Nichtöffentlichkeit muss gut begründet und die Ausnahme werden, nicht die Öffentlichkeit.

3. Regierungskontrolle stärken. Vertrauen ist gut. Öffentliche Kontrolle ist besser

Einfluss und Kontrollmöglichkeiten des Bundestages im Hinblick auf das Handeln der Regierung sind zu stärken.

Die Regierungsbefragung und die Fragestunde müssen ihre eigentliche Funktion erfüllen können, die Regierung öffentlich und vor allem effektiv zu kontrollieren. Erste Voraussetzung dafür ist, dass die Bundeskanzlerin und die Bundesminister*innen regelmäßig im Bundestag höchstpersönlich Rede und Antwort stehen - mindestens einmal im Quartal. Das Thema für den einleitenden Vortrag der Regierung muss vom Bundestag (sitzungswöchentlich abwechselnd durch die Fraktionen) bestimmt werden. EU-Themen müssen eine ihrer Bedeutung angemessenere Rolle einnehmen, insbesondere vor Tagungen des Europäischen Rates.

Geradezu erschreckend ist es, wie oft Abgeordnete zuerst aus der Presse von Problemen in diesem Land erfahren (letztes Beispiel: Cyberangriffe auf das Regierungsnetz). Die gewählten Abgeordneten werden nicht ernst genommen. Die Missachtung des Parlaments durch unzureichende Information der Bundesregierung muss aufhören. Die Regierung muss mehr eigeninitiativ den Bundestag unterrichten.
Dass Abgeordnete bisher grundsätzlich außerhalb von Untersuchungsausschüssen nur als Privatpersonen Akteneinsicht über das Informationsfreiheitsgesetz erhalten, welche sie aber in ihrer Eigenschaft als gewählte Abgeordnete nicht bekommen, ist im Ergebnis absurd. Das müssen wir ändern.
Die häufige Einstufung von Auskünften der Bundesregierung, mit der Folge der „Versenkung“ der Information in der Geheimschutzstelle unter Ausschluss der Öffentlichkeit, muss deutlich beschränkt werden. Regierungskontrolle muss öffentlich sein, sonst ist sie nicht wirksam. Der frühere Bundestagspräsident Lammert stellte dazu in seiner Abschiedsrede zutreffend fest: „Hier im Deutschen Bundestag schlägt das Herz der Demokratie, und hier im Bundestag heißt auch hier im Bundestag, nicht in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages.“

4. Interessen besser aufzeigen. Vertrauen (zurück-) gewinnen

Das freie Mandat schützt vor Abhängigkeit, nicht vor Transparenz.  
Die Einflussnahme verschiedener Interessen auf die Politik muss dringend sichtbarer gemacht werden - durch ein verbindliches, sanktionsbewehrtes Lobbyregister. Transparenz ist kein Almosen. Die Wählerinnen und Wähler haben vielmehr ein Recht darauf. Auch die Abgeordneten selbst müssen wissen, von wem jemand bezahlt wird, der sich mit ihnen treffen will. Das Lobbyregister ist übrigens für die Lobbyvertreter laut deren Branchenverbänden gar kein Problem. Warum dann (bisher) für die Unionsfraktion?
Die Verhaltensregeln für Abgeordnete müssen als Instrument geschärft werden, um mögliche Interessenverknüpfungen besser offen zu legen. Auch ohne den nächsten Skandal. Die Aufforderung der Staatengruppe des Europarates gegen Korruption (GRECO) zu erforderlichen Nachbesserungen bei Ad-hoc-Offenlegung von Interessenverknüpfungen und der Unternehmensbeteiligungen muss zügig umgesetzt werden. Die Nebeneinkünfte von Abgeordneten sind auf Euro und Cent offenzulegen und bei den Berufsgruppen, die Verschwiegenheitspflichten unterliegen, sind wenigstens die Branchen der Vertragspartner anzugeben. Die Spendenregelungen für Abgeordnete sind zu überarbeiten. Spenden an Abgeordnete müssen mindestens transparenter gemacht werden.

5. Abgeordnete in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen

Eine Reform der Abgeordnetenversorgung durch Einbeziehung der Abgeordneten in die gesetzliche Rentenversicherung macht doppelt Sinn. Das schafft Vertrauen durch Glaubwürdigkeit und das verbessert die notwendige Solidarität innerhalb der Gesellschaft.
Der Bundestag sollte auch Alternativen zur Neugestaltung der steuerfreien Kostenpauschale entwickeln.
Das Thema muss zeitnah öffentlich diskutiert werden - unter bestmöglicher und frühzeitiger Einbindung der Bevölkerung. Der Bundestag sollte daher jetzt schnellstmöglich ein Bürgerforum zu der Frage der Reform der Abgeordnetenversorgung einsetzen.

6. Bürger*innen mehr zuhören

Der Bundestag muss für die Bürgerinnen und Bürger noch ansprechbarer sein. Ansprechbar auch für die sog. „kleinen Probleme“. Den Bürgerinnen und Bürgern als Parlament zuzuhören, muss einen viel größeren Stellenwert für das Gesamtparlament bekommen.
Der Bundestag sollte die Umsetzung eines Online-Portals als Diskussions- und Beteiligungsforum für Bürger*innen prüfen. Dort könnten Bürger*innen beispielsweise Anregungen und Kritik zu im Bundestag beratenen Gesetzentwürfen formulieren. Hierzu kann man das Beispiel des Landtags Thüringen mit seinem Diskussionsforum (http://forum-landtag.thueringen.de/) heranziehen.
Heute kommen viele Petitionen nur in der Form von Sammelübersichten auf den Tisch des Plenums. Um wirkungsvoll zu agieren, wählen die Bürger*innen heutzutage oft auch die Unterstützung von externen Petitions- und Aktionsplattformen im Internet. Der Bundestag muss prüfen und gestalten, wie die Petitionen und deren Anliegen fester auch im Plenumsgeschehen verankert werden können.

7. Versorgungsmentalität abbauen

Die Parlamentarischen Staatssekretäre, von denen es mittlerweile 35 gibt, werden abgeschafft. Sie sind für die parlamentarische Arbeit nicht nötig und dienen letztlich nur der Versorgung mit gutdotierten Posten.

Ausblick: Es bleibt noch viel zu tun…

Bei diesen Punkten sollten die Bemühungen um die Stärkung der Demokratie nicht aufhören, ein paar Themen möchte ich hier nur anreißen:  

Wir müssen das Wahlrecht demokratischer machen. Wir brauchen ein starkes Parlament. Ob das Parlament stark ist, hängt auch davon ab, wieviel Unterstützung aus der Bevölkerung es erfährt. Den Bedenken gegen die Aufblähung des Bundestages ist Rechnung zu tragen. Der Frauenanteil der Abgeordneten ist signifikant zu erhöhen. Der Wahlrechtsausschluss von Menschen mit Vollbetreuung muss dringend wegfallen. Die Fünf-Prozent-Sperrklausel gehört abgeschafft. Wir wollen das Wahlrecht ab dem 16. Lebensjahr. Wählen ist oberstes Recht in der Demokratie. Wer diesen Schritt bei der Integration von Mitbürger*innen ohne deutschen Pass nicht mitdenkt, muss sich vorwerfen lassen, es nicht wirklich ernst zu meinen.

Die Beteiligung durch direkte Demokratie ausbauen. Demokratie erschöpft sich nicht in zwei Kreuzen alle vier Jahre. Wenn es konkret etwas zu gestalten gibt, dann bringen die Menschen sich auch ein. Das geht am besten über eigene Erfahrung der Wirkungsmächtigkeit und daher durch mehr Beteiligung. Also mit mehr direkter Demokratie. Deshalb hat sich das Parlament nicht überlebt. Beides ergänzt sich.

Außerdem muss die Parteienfinanzierung strikt begrenzt und zum anderen transparenter werden.