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Steuerschätzung muss Anlass für Reformen sein

Kolumne von Richard Pitterle,

 


Von Richard Pitterle, steuerpolitischer Sprecher Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Die Steuereinnahmen für Bund, Länder und Gemeinden steigen. Und zwar stärker, als noch vor einem halben Jahr prognostiziert. Für das Jahr 2015 wird jetzt mit Steuereinnahmen in Höhe von ca. 667 Milliarden Euro gerechnet. Das sind 7 Milliarden Euro mehr, als bisher angenommen. Dieser Trend soll sich bis 2019 fortsetzen. Dann sollen die jährlichen Steuereinnahmen auf 769 Milliarden Euro angewachsen sein.

Das sind eigentlich gute Nachrichten. Denn so eröffnen sich trotz Schuldenbremse und Konsolidierungsbemühungen um die Haushalte Handlungsspielräume. Diese müssen angesichts des riesigen Investitionsbedarfs im öffentlichen Sektor allerdings auch dringend genutzt werden.

Bisher hat der Bundesfinanzminister lediglich angekündigt, die Milderung der kalten Progression in Angriff nehmen zu wollen. Grundsätzlich ist das ein richtiger Schritt. Dennoch ist dieser Vorstoß mit Vorsicht zu genießen. Es bleibt abzuwarten, welche genauen Maßnahmen Schäuble plant und ob am Ende wieder einmal vor allem hohe Einkommen geschont werden. Denn voraussichtlich soll die Milderung der kalten Progression allein durch die nun sprudelnden Steuereinnahmen und nicht durch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes gegenfinanziert werden.

Niedrige und mittlere Einkommen überdurchschnittlich belastet

Es drängt sich letztlich der Eindruck auf, dass der Bundesfinanzminister durch seine geschickt lancierte Wohltätigkeitsankündigung die viel gravierenderen Ungerechtigkeiten unseres Steuersystems kaschieren will. Wenn man sich die Steuerschätzung genauer anschaut, zeigt sich nämlich Folgendes: Am stärksten und überdurchschnittlich steigen die Steuereinnahmen bei der Lohn- und Umsatzsteuer, also den Massensteuern, die niedrige und mittlere Einkommen besonders belasten. Durch die von der LINKEN geforderte Anhebung des Grundfreibetrages auf 9.300 Euro nebst Glättung des Einkommensteuertarifverlaufs würden diese Einkommensgruppen hingegen entlastet.

Die Steigerungen bei Gewinnsteuern wie Gewerbe- und Körperschaftsteuer fallen stattdessen unterdurchschnittlich aus, die Erbschaftsteuer verharrt auf geringem Niveau. Und nebenbei sorgt auch die unsägliche Abgeltungsteuer immer noch dafür, dass Kapitalerträge deutlich geringer besteuert werden als Arbeitseinkommen. Das führt zu einem immer steileren Gefälle bei der Vermögensverteilung: Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung besitzen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung inzwischen bereits ca. 63 bis 74 Prozent des gesamten Nettovermögens.

Reiche werden weiterhin geschont

Es zeigt sich also auch hier wieder: Wer bereits viel besitzt, wird geschont. Die unteren und mittleren Einkommensgruppen werden hingegen überdurchschnittlich belastet. Dabei fußt unser Steuerrecht eigentlich auf dem sogenannten Leistungsfähigkeitsprinzip. Die Steuerlast muss gemäß der jeweiligen steuerlichen Leistungsfähigkeit gerecht auf die Steuerpflichtigen verteilt werden. Wer viel hat, muss auch mehr zahlen. Die Große Koalition täte gut daran, sich das endlich zu Herzen zu nehmen und zum Beispiel bei der nun anstehenden Erbschaftsteuerreform die Verschonung von Unternehmenserbinnen und –erben abzuschaffen. Das ist gegenwärtig die Schlüsselfrage der Steuergerechtigkeit, an der sich vor allem auch die SPD messen lassen muss.