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Amira Mohamed Ali © dpa/Carsten KoallFoto: dpa/Carsten Koall

»SPD und Grüne wollen diesen Politikwechsel nicht«

Im Wortlaut von Amira Mohamed Ali, Die Welt,

Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei zweifelt an der rot-rot-grünen Perspektive – gerade mit Blick auf den Machtwillen der Ökopartei. Bei einem Thema sieht Amira Mohamed Ali ihre Partei zu Unrecht Extremismusvorwürfen ausgesetzt. Von Luisa Hofmeier

 

WELT: Frau Mohamed Ali, Katja Kipping und Bernd Riexinger habe angekündigt, nicht erneut für den Parteivorsitz zu kandidieren. Als Favoritinnen für die Nachfolge gelten die Landes- und Fraktionschefin in Thüringen, Susanne Hennig-Wellsow, und die hessische Fraktionsvorsitzende Janine Wissler. Wird die Linke die erste Partei mit einer weiblichen Doppelspitze?

Amira Mohamed Ali: Das werden wir sehen. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass wir eine Parteiführung bekommen, die die Spektren der Partei abbildet und die gut mit der Fraktionsführung zusammenarbeiten kann, damit wir einen guten Wahlkampf machen können.

WELT: Es stehen ja auch noch andere Namen im Raum, Jan Korte und Ali Al-Dailami. Wer erfüllt das, was Sie umschreiben, denn am besten?

Mohamed Ali: Jetzt müssen wir erst mal schauen, wie das Kandidatenfeld am Ende aussieht.

WELT: Frau Wissler gehört zur Gruppe Marx 21, die der Verfassungsschutz in seinem Bericht von 2012 als linksextrem einstuft. Er sieht ihr Ziel in der „Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung“. Wie bewerten Sie das?

Mohamed Ali: Es ist Aufgabe der Parteivorsitzenden, die gesamte Partei zu repräsentieren, und nicht nur eine Gruppe. Das muss deutlich werden.

WELT: Würden sich Grüne und SPD mit Wissler als Vorsitzender nicht noch schwerer mit einem potenziellen Bündnis tun?

Mohamed Ali: Ob es zu einem Bündnis kommt, hängt an den Inhalten, und hier stellt sich für uns vor allem die Frage: Sind SPD und Grüne bereit, mit uns zusammen einen Politikwechsel einzuleiten? Wir sind der Meinung: Dieses Land muss sozialer werden. Wir brauchen eine konsequent friedliche Außenpolitik. Wir wollen eine ökologische Wende, die nicht auf Kosten der Normalverdiener geht oder auf Kosten der Menschen, die am Existenzminimum leben. Mein Eindruck ist zurzeit, dass SPD und Grüne diesen Politikwechsel nicht wollen. Die SPD hat Olaf Scholz zu ihrem Kanzlerkandidaten gekürt, der nicht gerade für Aufbruch steht. Und die Grünen wollen vor allem auf die Regierungsbank, im Zweifel auch mit Union oder FDP.

WELT: Wenn wir über Hürden für ein Bündnis sprechen: Muss die Linke genauer definieren, was genau Bundeswehr-Kampfeinsätze sind, die sie ja beenden will?

Mohamed Ali: Unser Programm sagt klar: Wir werden keinen Kampfeinsätzen zustimmen und wollen alle Auslandseinsätze beenden. Es ist aber klar, dass man nicht von einem Tag auf den anderen alle Bundeswehrsoldaten zurück nach Hause holen kann.

WELT: Da gäbe es also Raum für einen Kompromiss?

Mohamed Ali: An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, werden wir uns nicht beteiligen. Ich stelle fest, dass von konservativen Kräften dieses Thema immer wieder in den Fokus gestellt wird, um zu behaupten, die Linke sei nicht regierungsfähig. Es wird so dargestellt, als würden wir da linksextreme Positionen vertreten. Richtig ist aber, dass diese Position von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird.

WELT: In den Umfragen liegen Sie zwischen sieben und acht Prozent. Wie wollen Sie im Wahlkampf mehr Stimmen gewinnen?

Mohamed Ali: Über die Wahlkampfstrategie entscheidet natürlich vor allem die Parteispitze. Wir werden aber Ende der Woche während unserer Fraktionsklausur die Schwerpunkte der Fraktion für das kommende Jahr setzen. Zum einen wird es darum gehen, dass die Kosten der Krise nicht zulasten der Normalverdiener gehen. Wir brauchen eine Vermögensabgabe für Multimillionäre und Milliardäre. Ein anderer Schwerpunkt wird die Unterstützung für Menschen mit niedrigem Einkommen und für Familien sein.

WELT: Was genau planen Sie da?

Mohamed Ali: Eine unserer Forderungen lautet, dass jedes Kind ein Laptop braucht. Die Krise hat noch einmal deutlich gemacht, dass es große Unterschiede gibt zwischen Kindern mit einkommensstarken und denen mit einkommensschwachen Eltern, und sie hat diese Unterschiede weiter manifestiert. Kinder, deren Eltern genug Geld haben, konnten besser Homeschooling machen – in ärmeren Familien gibt es oft aber gar keinen Computer oder nur einen für die ganze Familie. Hinzu kommt, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist. Viele kleine und mittlere Unternehmen, Soloselbstständige leiden nach wie vor unter den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie. Nur ein Beispiel: Großveranstaltungen werden beispielsweise bis zum Ende des Jahres nicht stattfinden. Ein großes Problem für die Veranstaltungsbranche und für Künstlerinnen und Künstler. Wir fordern ein Selbstständigengeld und zielgerichtete Unterstützung für die Unternehmen, die Hilfe brauchen.

WELT: Werden wir Frau Kipping als Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl wiedersehen?

Mohamed Ali: Von ihr persönlich habe ich dazu bisher nichts gehört. Wir müssen meiner Meinung nach die Spitzenkandidaten aufstellen, die am geeignetsten dazu sind, damit die Linke einen erfolgreichen Wahlkampf führen kann.

WELT: Welche Strategie würden Sie befürworten: programmatischer Wahlkampf oder Wahlkampf mit klarem Bekenntnis zu Rot-Rot-Grün?

Mohamed Ali: Ich halte einen Konstellationswahlkampf nicht für Erfolg versprechend. Wir müssen stattdessen deutlich machen, warum es richtig ist, uns zu wählen.

WELT: Haben Sie selbst Ambitionen auf die Spitzenkandidatur?

Mohamed Ali: Natürlich ist das eine Option. Über die Spitzenkandidatur werden wir aber gemeinsam und solidarisch entscheiden.

WELT: Angenommen, es werden nicht Sie, sondern doch Kipping oder jemand anderes. Die Person könnte dann Anspruch auf den Fraktionsvorsitz, also Ihr Amt, erheben.

Mohamed Ali: Ich bin gerne Fraktionsvorsitzende und kann mir vorstellen, weiterzumachen. Aber das wird die Fraktion entscheiden.

WELT: Im linken Lager Ihrer Partei bildet sich jetzt Widerstand gegen den Kurs Kippings und auch des Reformerflügels, eine linke Mehrheit anzustreben. Droht da wieder ein Lagerkampf?

Mohamed Ali: Das glaube ich nicht. Die Erklärung, auf die Sie anspielen, wiederholt lediglich wichtige Punkte aus dem Parteiprogramm: keinen Sozialabbau, keine Kampfeinsätze, keine Aufrüstung. Mir ist nicht bekannt, dass jemand auf dem Parteitag unser Programm ändern will.

WELT: Am Samstag gab es massive Proteste in Berlin gegen die Corona-Maßnahmen. Muss man mit denjenigen den Dialog suchen, die keine Rechtsextremen oder Verschwörungstheoretiker sind?

Mohamed Ali: Nicht alle Maßnahmen waren in der Krise immer leicht zu verstehen, und man kann den Flickenteppich der Bundesländer kritisieren. Ich verstehe auch, wenn kritisiert wird, dass die Bundesregierung die Folgen der Krise sozial nicht gut genug abgefedert hat. Das wird bei diesen Demos aber nicht oder allenfalls am Rande thematisiert. Bei Rechtsradikalen mitzulaufen, die behaupten, wir würden nicht in einer Demokratie leben, und die den Parlamentarismus verachten, finde ich nicht nachvollziehbar. Da fehlt mir die Gesprächsgrundlage.

WELT: Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Andrej Hunko findet eine Teilnahme offenbar nachvollziehbar. Zumindest hat er einen Post zustimmend geteilt, der die Demo verharmlost. Ist er als Ihr Stellvertreter noch haltbar?

Mohamed Ali: Das hat er so nicht gesagt. Er hat den Post, von dem Sie sprechen, auch wieder gelöscht. Dietmar Bartsch und ich werden mit ihm darüber auch noch einmal reden.

Die Welt,