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"SPD darf man nichts mehr glauben"

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Die SPD ist unglaubwürdig, die Partei-Führung "vollkommen abgehoben": Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine übt in einem Interview mit stern.de heftige Kritik an seinen ehemaligen Parteifreunden. Die SPD entferne sich mit ihrem Kurs "der brutalen Sozialkürzungen" im "Eilmarsch" vom Status einer Volkspartei.

Wie bewerten Sie die Ergebnisse der stern-Umfrage unter SPD-Mitgliedern grundsätzlich?

Sie gibt das Bild wieder, das wir alle kennen. Die große Mehrheit der SPD-Mitglieder ist mit der Politik der SPD-Führung nicht einverstanden. Sie haben sie satt.

Haben Sie den Eindruck, dass die SPD, die ihr Abschneiden in Bremen, als Erfolg verkauft, die Situation angemessen analysiert?

Nein. Beck, Müntefering und Struck handeln nach dem Motto "Augen zu und durch." Die wollen aus Bremen keine Lehre ziehen, wie die minimalen Ergebnisse der Koalition zur Krippenfinanzierung und Mindestlohn jetzt wieder beweisen.

Kann sich die SPD überhaupt noch als Volkspartei definieren?

Wenn sie bundesweit unter 30 Prozent bleibt - und sie ist auf dem Eilmarsch dahin - kann sie sich nicht mehr Volkspartei nennen.

Die Fusion von WASG und PDS kam nur unter Schmerzen zustande. Wie erklären Sie, dass die Geburtswehen die Wähler nicht abgeschreckt haben?

Die Wähler wollen eine neue politische Kraft, die anders als die anderen Parteien im Bundestag nicht für Rentenkürzung, Lohnkürzung und Sozialabbau steht und völkerrechtswidrige Kriege ablehnt. Wir treten für den Sozialstaat ein und haben die Friedenspolitik Willy Brandts zur Grundlage unserer Außenpolitik gemacht.

Was ist in Ihren Augen der größte Schwachpunkt der SPD?

Das größte Defizit ist, dass die SPD-Führung vollkommen abgehoben ist. Sie verantwortet brutale Sozialkürzungen mit Hartz IV und schickte die Bundeswehr in Kriege auf dem Balkan und in Afghanistan. Hätte sie diese Dinge in einer Mitgliederbefragung vorgelegt, stünde sie zehn Prozent besser da. Die Mitglieder sehen das viel klarer als die in den Wolken lebende Führung, die sich um jeden Preis an der Macht klammert.

Das Linksbündnis sitzt erstmals in einem Landesparlament in einem alten Bundesland. Was bedeutet das perspektivisch in Ihren Augen?

Wir haben gute Chancen bei den Landtagswahlen im nächsten Jahr in weitere Landesparlamente einzuziehen. In Hamburg sind die Chancen groß. In Hessen und Niedersachsen können wir die Fünf-Prozent-Hürde nehmen, ja selbst in Bayern haben wir nach dem Komödienstadel der CSU Chancen.

Würden Sie sagen, die Große Koalition in Berlin ist die Garantie dafür, dass die Linke weitere Erfolge erzielen wird?

Milliardengeschenke an Unternehmen, Abschaffung der Pendlerpauschale, Rentenkürzung, Mehrwertsteuerbetrug sind eine Garantie dafür, dass die Linke als neue politische Kraft gebraucht wird.

Die SPD will auf die Erfolge der Linken inhaltlich antworten. Etwa durch Eintreten für flächendeckenden Mindestlohn. Ist das eine Gefahr für die Linke?

Nein, weil die Wähler ganz genau wissen, dass man der SPD nichts mehr glauben darf. Die Forderung nach einem Mindestlohn wird in der SPD seit 20 Jahren erhoben. Seit 1998 ist sie in der Regierung. Erreicht hat sie nichts.

Beck will den linken Flügel der SPD stärken. Wird ihm das helfen gegen die Linke?

Abgesehen von Einzelnen, die die Fahne der SPD noch in Ehren halten, gibt es keinen Flügel mehr in der SPD. Die übergroße Mehrheit der Abgeordneten, die sich in der SPD Parlamentarische Linke nennen, hat doch lammfromm dem Sozialabbau der Regierung zugestimmt.

Es gibt in Deutschland eine Mehrheit links der Mitte aus SPD, Grünen und der Linken. Dass sie nicht politisch realisiert wird, hängt auch an ihrer Person. Die SPD will mit Ihnen nicht reden. Wie sehen Sie das?

Das ist kindisch. Es geht in der Politik nicht darum, dass man einen Partner sympathisch findet, sondern darum, dass man richtige Entscheidungen durchsetzt. Meine Person dient der SPD doch nur als Vorwand, dass sie nach wie vor lieber mit CDU, CSU und FDP den Sozialabbau fortsetzen kann.

Könnte Bremen die Wechselbereitschaft mancher Genossen zur Linken fördern?

Wir hoffen das. Viele Sozialdemokraten und Gewerkschafter müssen seit Jahren auf zwei Schultern tragen. Als Genossen sind sie für Sozialabbau, als Gewerkschafter für Lohnerhöhung, höhere Renten und Ausbau des Sozialstaats. Das hält man auf Dauer nicht aus.

Sehen Sie die Chance, dass ein Genosse wie Rudolf Dressler vielleicht doch zur Linken wechselt?

Wir wären darüber selbstverständlich erfreut.

Interview: Hans Peter Schütz

stern.de, 15. Mai 2007