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Foto: Rico Prauss

Spät dran

Im Wortlaut von Dietmar Bartsch,


 

Dietmar Bartsch, 2. stellvertretender Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, zum Bundesparteitag der SPD
 

„Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind der Überzeugung, dass ein ‚Weiter so‘ nicht der richtige und zukunftsweisende Kurs für unser Land und Europa ist.“ So steht es im Beschluss des SPD-Bundesparteitages, der die Partei zugleich auf eine Koalition mit CDU und CSU einstimmt. Wie das zusammengehen soll, bleibt das Geheimnis der Sozialdemokratie.

Der Leipziger Parteitag der SPD findet nach einer verpassten Chance statt. Im Ergebnis der Bundestagswahl vom 22. September war eine Regierungskoalition jenseits der Union möglich. Schnell hätten ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn eingeführt und das Betreuungsgeld abgeschafft werden können. Die volle Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit der Ehe wäre rasch Gegenwart, sachgrundlose Befristungen von Arbeitsverträgen und Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente ebenso hurtig Vergangenheit gewesen. Für das alles haben sich SPD, LINKE und Grüne im Wahlkampf ausgesprochen. Die Führung der SPD hat keinen Finger gerührt, die Chance beim Schopfe zu packen. Gegenüber der LINKEN verweigerte sie den banalsten Schritt: wenigstens einmal miteinander zu reden.

Gabriel, Nahles und Co. kamen nach mehreren Runden Koalitionspokers zwar mit ziemlich leeren Händen, doch mit vollen Backen an die Pleiße. Die gewollte Botschaft sollte sein: bislang auf die lange Bank geschobene heiße Eisen werden nun entschlossen angepackt. Wenn sie sich dabei mal nicht die Finger verbrennen. Oder mehr als nur diese, denn es ist ein Tanz auf dem Vulkan, eine Große Koalition 2013 und eine Alternative dazu 2017 gleichzeitig in Angriff nehmen zu wollen. Der Grundsatzbeschluss des Leipziger Kongresses liest sich so, als sei rechts oben vermerkt: „Wiedervorlage 2017“. Oder auch nicht. Das Ende der Totalverweigerung gegenüber der LINKEN beispielsweise hatte die SPD schon 2009 in Aussicht gestellt, dann aber in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und dem Saarland mögliche Koalitionen gegen die Union ausgeschlagen.

Mit jovialer Geste signalisierte die SPD nun das Ende der „Ausschließeritis“ gegenüber der LINKEN. Das geschieht 23 Jahre und sieben Bundestagswahlen nach Herstellung der deutschen Einheit. „Spät kommt ihr - doch ihr kommt!“, heißt es bei Schiller. Während es jedoch im „Wallenstein“ weiter geht mit: „Wir kommen auch mit leeren Händen nicht!“, sieht die Realität bei den Sozialdemokraten deutlich anders aus: Sie haben 2009 und 2013 ihre beiden schlechtesten Wahlergebnisse seit 1949 erzielt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass die Offerte der SPD-Spitze inmitten der Verhandlungen über eine Große Koalition kommt, über deren Ergebnisse die Mitgliedschaft abstimmen wird.

Natürlich begrüße ich es, wenn die SPD die Bereitschaft zeigt, zu politischer Normalität zu finden. Aber schon die Begleitmusik ist kaum normal zu nennen. Just als Sigmar Gabriel in Leipzig auf DIE LINKE zu sprechen kam, änderte er den ansonsten nüchternen Duktus seiner Rede, um über eine angeblich verrückte Aufstellung unserer Partei zu fabulieren. Veränderungen mahnt die SPD  selbstverständlich nur bei potentiellen Partnern an. Zu den Grundfesten zählt sie „eine verantwortungsvolle Europa- und Außenpolitik“. Wie eine solche aus sozialdemokratischer Sicht aussieht, haben Mehrheiten der SPD-Fraktion oft in Wort und Tat demonstriert: Merkels unsoziale Bankenrettung oder Auslandseinsätze der Bundeswehr haben sie wortreich kritisiert und tatkräftig mitbeschlossen. 

Wir, DIE LINKE, tun gut daran, uns jetzt im Bundestag auf die neue Rolle als Oppositionsführerin, auf eigene politische Angebote zu konzentrieren. Das steht jetzt auf der Tagesordnung, keine Mutmaßungen über 2017 vorstellbare Konstellationen. Die SPD hat auf ihrem Bundesparteitag vor dem wahrscheinlichen Eintritt in eine Koalition mit den Konservativen Signale einer Öffnung nach links gesetzt. Mit Ersterem geht sie auf den von Angela Merkel bestimmten Kurs, mit Letzterem ist sie spät dran. Wir sollten die SPD jedoch fair beurteilen, also an ihren Taten messen.

 

linksfraktion.de, 15. November 2013