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"Sonderauflagen für Türkei zu stark"

Im Wortlaut von Hakkı Keskin,

Hakki Keskin, Ehrenvorsitzender der Türkischen Gemeinde, über Erwartungen an Merkel-Besuch in Ankara

Berlin Weiter denn je von der EU entfernt scheint die Türkei. Zum Auftakt der Türkei-Reise von Angela Merkel äußert sich Hakki Keskin, Ehrenvorsitzender und Gründer der Türkischen Gemeinde in Deutschland und Linkspartei- Abgeordneter im Bundestag, über deutsch-türkische Erwartungen.

Frage: Genießt Angela Merkel das volle Vertrauen der Türkei als freundschaftliche EU-Maklerin?

Frau Merkel hat ihre alte Position, seit dem sie Kanzlerin geworden ist, sehr stark überdacht. Als Regierungschefin ist sie in der Frage der EUMitgliedschaft der Türkei sehr viel vorsichtiger geworden. Sie betont, dass Deutschland den Verträgen zwischen der EU und der Türkei treu bleiben und die Beitrittsverhandlungen weiterführen wird. Das ist eine Position, die auch die Türkei durchaus akzeptieren kann.

Was erwarten Sie sich von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft?

Sie muss dafür sorgen, dass der Beitrittsprozess planmäßig weiterläuft. 35 Kapitel und Einzelfragen sind abzuarbeiten. Punkt für Punkt muss die Türkei diese "Kopenhagener Kriterien" erfüllen. Derzeit kann man die Türkei nur ermutigen, den Reformprozess konsequent voranzutreiben. Das ist auch die Aufgabe der Bundesregierung.

Weshalb hat die EUBegeisterung in der Türkei jetzt so drastisch abgenommen?

In der Türkei ist die Zahl der Befürworter der EU-Mitgliedschaft in den letzten sechs Monaten stark zurückgegangen. Von 65 bis 70 Prozent auf rund 45 Prozent. Viele Menschen sagen nicht ganz zu Unrecht: Die Türkei wird im Vergleich zu anderen Beitrittskandidaten nicht gleich behandelt. Es werden ihr zu starke Sonderauflagen gemacht. Egal was die Türkei auch leistet, es wird nie genügen. Selbst wenn die Türkei alle Voraussetzungen erfüllt hat, kann die EU immer noch sagen, unsere Aufnahmefähigkeit für die Türkei ist nicht vorhanden. Das sind Dinge, die haben die Leute sehr geärgert.

Gehört die Türkei in die EU?

Mit der Gründung der Republik Türkei 1923 gab es die grundsätzliche Orientierung der Türkei in Richtung Westen. Die Mitgliedschaft im vereinigten Europa ist ein konkretes politisches Ziel seit fast 45 Jahren. Seitdem gab es zugegeben auch viele Probleme, die die Türkei zu verantworten hatte. Aber schon mit dem Republik-Gründer Atatürk galt: "Das Niveau der zeitgenössischen Zivilisation wollen wir erreichen." Das ist und bleibt der Westen, also Europa.

Wer ist schuld am schlechter gewordenen Klima zwischen den beiden Kulturen, so dass sogar Worte des Papstes genügen, um Abgründe zu öffnen?

Schauen Sie auf den Nahen Osten, auf den Irak, auf diese permanent überhebliche Mentalität gegenüber dem Islam. Für die Türkei stellt sich die Frage, wenn wir in Europa nicht als gleichberechtigte Partner angesehen werden, weshalb sollten wir dann unbedingt in einer solchen EU Mitglied sein.

Wer ist dafür verantwortlich?

Wer ist denn im Irak? Die USA, der Westen, vielleicht nicht direkt Europa. Wenn der Papst ein Zitat verbreitet, dann muss er sich auch über die Folgen vorher klar sein ...

Während seines Deutschland-Besuchs ging der Papst auf das moslemische Verständnis des Heiligen Krieges ein und erklärte, Religion dürfe niemals zur Rechtfertigung von Gewalt missbraucht werden. Dazu zitierte er aus einem Buch: "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden ..."

Der Papst hat etwas zitiert, ohne sich von diesem Inhalt klar zu distanzieren. Mohammed, der Prophet der Muslime, hat für die Menschheit also nur Schlechtes getan und nur Inhumanes geleistet und Muslime haben ihren Glauben nur mit dem Schwert durchgesetzt. Noch schlimmer kann keine Religion definiert werden. Das hat aber mit der EU und der Türkei nichts zu tun. Die Türkei ist ein laizistischer Staat. Die Trennung von Staat und Religion hat für die Türkei die höchste Priorität. Das ist ein unveränderliches Recht.

Interview: Dieter Wonka

Leipziger Volkszeitung, 5. Oktober 2006