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»Solidarität fühlt sich gut an«

Im Wortlaut,


Christian Krähling, seit 2009 bei Amazon beschäftigt, über den Arbeitskampf mit dem Versandhändler

 

Der Arbeitskampf um einen Tarifvertrag bei Amazon dauert nun schon über zwei Jahren. Wie ist derzeit die Stimmung bei Ihnen und unter Ihren Kolleginnen und Kollegen?

Christian Krähling: Die Stimmung unter den streikenden KollegInnen ist nach wie vor sehr gut. Nach fast drei Jahren Arbeitskampf ist zwar eine gewisse Routine da, aber die Motivation zu streiken ist nach wie vor sehr hoch. Bei jedem Streik verzeichnen wir Neuzugänge, zwar nicht mehr in der Größenordnung wie zu Beginn, aber wir werden nach und nach mehr! Es finden sich auch immer mehr KollegInnen, die sich aktiv in den Arbeitskampf einbringen. Was mich persönlich angeht: Arbeitskampf ist anstrengend und teilweise auch stressig. Aber man hat das gute Gefühl etwas zu bewegen und seinen KollegInnen näher zu kommen. Solidarität fühlt sich gut an. Daher bin ich in bester Stimmung!

Wie laufen die aktuellen Streiks und wie ist die Beteiligung?

Momentan versuchen wir flexibler und ohne Ankündigung zu streiken. Wir haben damit begonnen aus dem laufenden Betrieb heraus zu streiken und sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Der Nachteil dabei ist, dass wir die KollegInnen dabei nicht mehr in dem Maße entscheiden lassen können, wann wir streiken, so wie wir das in der Vergangenheit getan haben. Das sorgt teilweise schon für Konfliktpotenzial. Die große Mehrheit versteht und begrüßt diese Vorgehensweise allerdings. Die Beteiligung ist im Vergleich zum letzten Jahr deutlich gestiegen. Steter Tropfen höhlt den Stein. Immer mehr KollegInnen verstehen, worum es geht und kommen mit raus vors Tor.

Ist Ihr Arbeitskampf für Amazon spürbar? Wodurch merken Sie das?

Wenn an einem Tag circa 500 Leute fehlen, dann spürt Amazon das natürlich. Das merken wir zum einen daran, dass das Management die interne Einsatzplanung ändert, und die Leute, die während des Streiks arbeiten, von Abteilung zu Abteilung verschiebt. Auch das Auftragsvolumen wird verschoben und Lieferversprechen auf der Internetseite verändert. Wichtige Arbeitsprozesse, wie etwa die Bearbeitung der Prime-Bestellungen, werden priorisiert, während andere Arbeit liegenbleibt. Zum anderen versucht die Geschäftsführung in einem nie gekannten Ausmaß die Belegschaft und die Öffentlichkeit zu beeinflussen, indem man darstellt, dass man ein ganz wunderbarer Arbeitgeber sei, während ver.di immer nur Lügen verbreiten würde. All das würde Amazon nicht machen, wenn die Streiks nicht spürbar wären.

Versucht Ihr Arbeitgeber Einfluss auf die Streikenden zu nehmen und wie können sich Kundinnen und Kunden mit Ihnen solidarisch zeigen?

Es werden regelmäßig Aushänge gemacht, in denen ver.di diffamiert wird. Streikende KollegInnen berichten, dass sie nach den Streiks nicht mehr zu ihrer sonst üblichen Tätigkeit eingeteilt wurden, sondern unbeliebte Jobs erfüllen mussten. Es gab sogenannte Fokusgruppen, in denen Streikende scheinbar gezielt beeinflusst werden sollten. In Startmeetings suggeriert man, die Produktivität sei während der Streiks gestiegen, womit ein Bild des "faulen Gewerkschafters" erzeugt werden soll. Es gäbe da noch mehr Beispiele…  Kunden können sich solidarisch zeigen, indem sie sich an den Aktionen auf www.amazon-verdi.de beteiligen. Man kann uns auch beim Streik besuchen…

Amazon ist bekannt dafür, im Weihnachtsgeschäft Tausende Beschäftigte bis zum Jahresende befristet einzustellen und diese Kolleginnen und Kollegen im neuen Jahr nicht zu übernehmen. Ist Ihr Standort davon dieses Jahr auch betroffen und wie viele Beschäftigte betrifft das in etwa?

Ja, auch unser Standort ist davon betroffen. Wir haben schätzungsweise um die 1500 zusätzliche KollegInnen, die nicht damit rechnen können, dass sie eine Festanstellung bekommen, sondern nur während der Saisonzeit bei uns beschäftigt sind. Die genaue aktuelle Zahl liegt mir leider nicht vor.

Welche Unterstützung wünschen Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen sich und was erwarten Sie von der Politik?

Wir halten es für wichtig, dass sich zunächst jeder überlegt, wie es sich auf die Löhne und die Arbeitswelt in Deutschland auswirkt, wenn sich das "Modell Amazon" weiter ausbreitet. Wir wissen, dass es in vielen Betrieben ähnlich und teilweise schlimmer zugeht. Die beste Unterstützung wäre es daher, wenn jeder sich in seinem Betrieb organisiert und aktiv einbringt und wir uns alle solidarisch zueinander verhalten. Der Rest ergibt sich daraus! Viele KollegInnen haben das Vertrauen in die Politik verloren und erwarten daher auch nichts. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Politik scheinbar ein größeres Interesse an der Wirtschaft, als am Wohlergehen der arbeitenden Bevölkerung hat. Es wäre wünschenswert, dass sich dies umkehrt, denn ohne Arbeiterinnen und Arbeiter gibt es keine Wirtschaft!

linksfraktion.de, 21. Dezember 2015