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Sie sind ein Extremist, Herr Lafontaine

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Oskar Lafontaine ist Vorsitzender der neuen Partei „Die Linke“. Über seine Enttäuschungen, Visionen und das Unrecht des SED-Regimes streitet er mit Wolfgang Weimer.

Möchten Sie eigentlich mehr geliebt oder mehr gefürchtet werden?

Ich möchte nur politisch verändern.

Das soll ich Ihnen glauben?

Das müssen Sie mit sich ausmachen. (lacht)

Ihr politischer Lebensweg ist tief geprägt von unpolitischen Motiven. Die urwuchtigen Kategorien des Lebens werden bei Ihnen sichtbarer als bei vielen anderen Politikern. Das macht Sie meines Erachtens - wie weiland Franz Josef Strauß - stark und schwach zugleich. Oder wollen Sie behaupten, dass Eitelkeit und Rache bei Ihrem Comeback keine Rolle spielen?

Die unwuchtigen Kategorien des Lebens begegnen einem auch bei kampfesmutigen Journalisten. Die mir unterstellte Rachsucht bezog sich ja immer auf Gerhard Schröder. Das ist ja nun seit zwei Jahren erledigt.

Erledigt? Wirklich? Da zweifle ich schon wieder, denn man spürt doch die persönliche Genugtuung sehr, die in Ihrem neuen Erfolg am linken Rand steckt ...

Ich habe Niederlagen erlebt, die mich schmerzten und die das Gefühl erweckten, diese Niederlage wieder auszugleichen. Aber, ich glaube, dass ich doch soweit bin mit meinen 63 Jahren, dass ich das eigentliche Ziel meiner Arbeit dabei nicht aus dem Auge verliere. Was nützt die Genugtuung, einem anderen eine Niederlage beigebracht zu haben, wenn man gegenüber denen, die man vorgibt zu vertreten, mit leeren Händen da stehen.

Noch häufiger als Rachsucht wird ihnen Eitelkeit vorgehalten. Welcher Vorwurf schmerzt eigentlich mehr?

Wenn Eitle mir Eitelkeit vorwerfen, muss ich lachen. Gregor Gysi und mir wurde prophezeit, wir seien solch eitle Gockel, dass wir nicht zusammen auskämen. Nun haben wir diese Zusammenarbeit schon zwei Jahre und alle diesbezüglichen Hoffnungen sind nicht in Erfüllung gegangen.

Sie kennen also keine Eitelkeit?

So wenig wie Sie.

Und schon zweifle ich ein drittes Mal, Herr Lafontaine ...

Was sind Sie aber auch für ein Zweifler…

Dann beschreiben sie einem Zweifler doch mal, wie sich eigentlich so ein politisches Comeback anfühlt. Ist es besonders schön, weil nach Niederlagen und Konflikten die Erfolge süßer schmecken als früher?

Ich hatte in der Politik viele Erfolge. Es war für mich ein großer Erfolg, die SPD in die Regierungsverantwortung geführt zu haben - mit einem Ergebnis, von dem man heute nur träumen kann.

Der Traum von 1998, aus dem sie sich doch selber jäh gerissen haben ...

Es war ein schwerer Rückschlag, dass die Vereinbarung mit Gerhard Schröder nicht hielt und eine Politik begonnen wurde, die das Gegenteil von dem war, was wir den Wählerinnen und Wählern versprochen hatten. Wenn Sie so wollen, habe ich mit meinen Entscheidungen der letzten zwei Jahre ein Stück dieser Vergangenheit aufgearbeitet. Aber jetzt geht es um mehr. Die deutsche Politik muss sich wieder ändern. Die Schlachten der Vergangenheit spielen dabei eine nachgeordnete Rolle.

Soso, jetzt es um mehr. Sie genießen ihn also doch den Comeback-Moment der Genugtuung ...

Es gibt Momente der Genugtuung. Wenn man sich entschließt, noch einmal einzusteigen und nicht weiß, wie das ausgeht und am Abend der Bundestagswahl stehen dann 8,7 Prozent da, dann ist das ein Moment der Genugtuung. Oder wenn man die Absicht hat, die Linke im Westen zu verankern und in Bremen sagt die letzte Wahlbefragung 4,5 Prozent, dann aber wird es fast das Doppelte, das ist auch ein Moment der Genugtuung. Aber ich bin so lange in der Politik, dass ich Höhen und Tiefen gewohnt bin, dass ich auch über längere Strecken hinweg denken kann: Wir haben jetzt mit dem Vereinigungsparteitag eine wichtige Etappe zurück gelegt. Wir sind im ersten westlichen Parlament vertreten, wir haben eine konstante Zustimmung der Wählerschaft auf Bundesebene - aber das genügt nicht. Wir haben die anderen Parteien in Bewegung gebracht, wir wollen aber mehr.

Tut es Ihnen nicht innerlich ein bisschen weh, dass Sie mit jedem Ihrer Erfolge Ihre alte SPD Stück für Stück zerstören?

Ich habe Organisationen immer als Mittel zum Zweck verstanden. Mein Ziel war es immer, Menschen zu helfen, auch wenn das pathetisch klingt. Und diesem Ziel diene ich immer noch.

Das heißt, die SPD ist Ihnen egal?

Den SPD-Mitgliedern fühle ich mich immer noch verbunden - den verbliebenen muss ich ja sagen, nachdem Hunderttausende die SPD verlassen haben - weil sie die politischen Ziele teilen, für die wir kämpfen. Wenn die SPD-Führung jetzt Rückschläge kassiert für ihre verfehlte Politik, kann ich das nicht bedauern.

Und deswegen bezeichnen Sie Müntefering als „Großmaul“ und Beck als einen Mann mit „intellektuellen Defiziten“?

Ich beurteile Menschen nicht nach ihren Worten, sondern nach ihren Taten. Leider haben fast alle wichtigen Funktionsträger der SPD Sozialabbau und Krieg befürwortet.

Und Sie wiederum befürworten ein Stück DDR. Wenn Sie die alte SED-PDS geschickt zur „Linken“ umwidmen, die alten Kader weiß waschen und nach Westen führen, wird Ihnen dann nicht manchmal mulmig, dass Sie die Untaten der SED-Diktatur legitimieren und relativieren?

Ich habe die von Ihnen seit Jahren geführte Diskussion, immer als ungerecht angesehen. Einmal haben CDU und FDP beide jeweils zwei SED-Blockparteien geschluckt. Sie haben die Frage wahrscheinlich keinem CDU-Politiker und keinem FDP-Politiker bis zum heutigen Tag gestellt. Zum Zweiten nehme ich jetzt mal die Partei, die lange Jahre die Politik in Deutschland nach dem Kriege bestimmt hat, die CDU/CSU. Sie hat alte Nazis zu Kanzlern und zu Bundespräsidenten gemacht...

Der Vergleich ist grotesk. Sie führen die direkte Nachfolgepartei der SED und schaffen ein bewusstes Kontinuum zur DDR-Diktatur. Die CDU ist hingegen eher in den Gefängnissen von Tegel und den Sakristeien des Rheinlands entstanden, sie war eine Neugründung von Menschen mit christlichem und eben nicht nazistischem Weltbild, eine demokratische Antwort auf die Diktatur und nicht ihr Wurmfortsatz ...

Das ändert nichts daran, dass ehemalige Nazis Ministerpräsidenten, Kanzler und Bundespräsident wurden. Sie haben die CDU nicht mit der Frage gequält, ob sie sich nicht schäme für diese Vergangenheit.

Muss sie ja auch nicht. Das wollen Sie doch nicht im Ernst vergleichen ...

... dann sage ich das anders. Ich kann mich nicht erinnern, dass die CDU von den einschlägigen Medien ständig mit dieser Frage konfrontiert wurde. Insofern finde ich - 17 Jahre nach Fall der Mauer - das ständige Vorhalten der Fehlentscheidung der SED gegenüber der ehemaligen Linkspartei eher als ein Ablenkungsmanöver von der eigenen Vergangenheit. Im Übrigen hat die Linkspartei ihre stalinistische Vergangenheit aufgearbeitet und damit klar und eindeutig gebrochen.

Waren Sie mal in Hohenschönhausen im Gefängnis?

Was soll das?

Na, haben Sie sich das mal angeschaut, was die DDR konkret bedeutet hat? Kennen Sie die Orte der Schuld?

Die ganze Welt ist voller Orte von Schuld. Ich habe viele aufgesucht.

Kann es sein, dass Sie heute linksverblendeter reden müssen als Sie wirklich sind, um die Klientel der alten SED zu bedienen - etwa indem sie die Stasi verniedlichen oder einen sozialistischen Autokraten wie Hugo Chávez loben?

Ich verstehe die Kritik an Chávez nicht. Er verstaatlicht Energiequellen und leitungsgebundene Wirtschaftsbereiche. Das ist eine Politik, die in der alten Bundesrepublik selbstverständlich war…

Also in der alten Bundesrepublik wurden keine politischen Gegner verhaftet und gefoltert, keine kritischen Fernsehsender geschlossen, die Armee auf die Straßen geschickt und die repräsentative Demokratie verhöhnt. Venezuela ist auf dem Weg in die Diktatur. Das ist für mich ein großer Unterschied.

Wenn Sie blind sind für die sozialen Verbesserungen, die mit Chavez in Venezuela und anderen Ländern möglich, aber das ist Ihr Problem. Chávez hat keinen Fernsehsender geschlossen, er hat eine Konzession nicht verlängert.

Herr Lafontaine, ich habe Sie für einen Demokraten gehalten. Warum verlassen Sie mit solchen Positionen den demokratischen Konsens? Parlamentarismus, Medienfreiheit, Menschenrechte, Folterverbot - das sollten doch unveräußerliche Kategorien sein, oder?

Bei mir schon, aber Sie sind auf einem Auge blind. Ich bin selbstverständlich dafür, Menschenrechte zu achten und Menschen nicht zu foltern. Aber beim Thema Folter denke ich auch an den US-Präsidenten, der verantwortlich ist für die Folterlager in Guantanamo und in Abu Ghraib. Und ich kann die Doppelzüngigkeit nicht ertragen, mit der man die Augen verschließt vor der Gewalttätigkeit in der US-Politik und nach wie vor Staaten kritisiert, die weitaus weniger Fehlentscheidungen getroffen haben.

Aber eine falsche Politik der USA legitimiert doch noch lange keine sozialistische Diktatur. Langsam beschleicht mich die Sorge, dass Sie inzwischen ein „Neo-Komm“ geworden sind ...

Immerhin, die Politik der USA, die zum Tod von Hunderttausend Menschen im Irak und Afghanistan führt, ist falsch. Was meinen Sie mit „Neo-Komm“?

In den neunziger Jahren nannte man doch die neo-konservativen Intellektuellen der USA, die Wegbereiter der Bush-Ära gerne „Neo-Cons“. Wenn ich Sie höre, dann schwant mir ein Gegenstück: der Neo-Kommunismus.

Ich weiß, dass Kommunismus ein Bonbon ist, das Sie gerne lutschen. Aber definieren Sie mal, was Kommunismus ist. Ich verärgere ja die deutsche Öffentlichkeit damit, dass ich frage, was ist Terrorismus, was ist Demokratie? Es war ja interessant, dass ich Bush und Blair als Terroristen bezeichnet habe, ohne dass es eine Gegenwehr gab im Bundestag.

Vielleicht nimmt man nicht mehr jede Ihrer Extremprovokationen ernst. Wenn Sie extrem provozieren, gewinnt die Öffentlichkeit den Eindruck, Sie seien ein Zyniker.

Ich bin kein Zyniker, ich stoße Sie und andere darauf, dass sie Begriffe verwenden, ohne sich die Frage zu stellen, was sie eigentlich meinen. Aber das ist Aufgabe einer Politik, die auf Aufklärung aus ist.

Was hat denn das mit Aufklärung zu tun, wenn sie den Terrorismusbegriff demagogisch umdeuten?

Sie stehen mit der Logik auf Kriegsfuß. Ich habe die Damen und Herren des Deutschen Bundestages darauf hingewiesen, was sie unter Terrorismus verstehen. In einem Gesetzesentwurf der Großen Koalition zur Antiterrordatei steht, dass Terrorismus der rechtswidrige Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung politischer Belange ist. Nun sind wir aber an völkerrechtswidrigen Antiterrorkriegen beteiligt. Also an rechtswidrigem Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung politischer Interessen. Ich bekomme für diese Sicht der Dinge immer mehr Zustimmung in Deutschland. Das heißt, viele Menschen haben nachgedacht, ist das eigentlich richtig, was wir sagen.

Was hat denn das mit Aufklärung zu tun, wenn Sie den Terorismusbegriff demagogisch umdeuten? Mensch, Herr Lafontaine, wenn Sie bei Sabine Christiansen selbst unsere Bundeswehrsoldaten in die Nähe von Terroristen rücken, dann stimmen ihnen höchstens noch Spinner zu. Ich hatte ja bis zu diesem Gespräch noch die Hoffnung, Sie vertreten solche Positionen nur als Teil Ihres professionellen Repertoirs, aber Sie sind ja wirklich ein Extremist geworden.

Mensch, Herr Weimer, ich rücke die Bundeswehr nicht in die Nähe des Terrorismus, sondern sage, Bush und Blair sind Terroristen. Was ist an meiner Argumentation falsch? Reden Sie jetzt über den Terrorismus?

Nein, ich rede über Sie. Sie standen jahrzehntelang in der linken Mitte dieser Republik, nun machen Sie mir Angst. Sehen Sie sich eigentlich selber als Sozialdemokraten, als Sozialisten oder Kommunisten?

Ich trete ein für soziale Gerechtigkeit, für den Frieden und für die Kontrolle wirtschaftlicher und politischer Macht. Wie Sie das bezeichnen, dass überlasse ich Ihnen. Wir gewinnen in zunehmendem Maße Wählerinnen und Wähler. Denn wir sind die Antwort auf die Tatsache, dass die mit uns konkurrierenden Parteien alle für Sozialabbau und völkerrechtswidrige Kriege stehen. Wir sind insofern eine neue politische Kraft.

Träumen sie davon, dass Sie die Linke wieder vereinigen können oder wollen Sie sie bewusst spalten?

Ich will Politik verändern. In den vergangenen Jahren konnten wir eine dramatische Wandlung der Politik unter den Stichworten Globalisierung, Deregulierung, Privatisierung erleben. Das hat dazu geführt, dass immer mehr Menschen aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Der jüngste OECD-Bericht hat deutlich gemacht, dass Deutschland für diejenigen, die unterdurchschnittliche Löhne beziehen, die schlimmste Rentenentwicklung aller Industriestaaten hat. In einer solchen Zeit ist jemand, der politisch engagiert ist - und als Kind einer Kriegerwitwe, als einer, der aus sozial schwachen Verhältnissen kommt, bin ich das - verpflichtet, sich einzubringen, wenn er eine Möglichkeit sieht, etwas zu verändern. Dass wir zurzeit etwas verändern, kann nur noch ein Blinder bestreiten.

War es rückblickend denn ein Fehler, nach der Wende die SED nicht direkt an die SPD gebunden zu haben?

Nicht die SED, sondern, was ich damals befürwortet habe war, mit vielen anderen, dass man sich öffnet für Mitglieder der SED, die mitarbeiten wollen in der Demokratie. Ich habe es als sehr positiv empfunden, dass Richard von Weizsäcker danach ähnlich argumentiert hat. Aber der SPD-Vorsitzende Vogel und die Ost-SPD waren dagegen. Das war eine historische Fehlentscheidung.

Sie gelten aber als die Person, die eine gestaltende linke Mehrheit in Deutschland eher verhindert als ermöglicht.

Wir haben eine linke Mehrheit in Deutschland bei den Wählerinnen und Wählern. Aber im Bundestag gibt es eine rechte Mehrheit, um in diesen Begriffen zu bleiben, denn der Deutsche Bundestag stimmt mit Zwei-Drittel-Mehrheit immer gegen die große Mehrheit der Bevölkerung.

Sie haben also doch die politische Vision, dass die Linke unter Ihnen sich wieder vereint?

Die Parteien sind kein Selbstzweck. Ich habe den Traum, dass in Deutschland die soziale Gerechtigkeit wiederkehrt, zumindest in dem Ausmaß, wie sie in den 70er und 80er Jahren anzutreffen war, und dass Deutschland in der Außenpolitik zum Völkerrecht zurückkehrt, wie es zu Zeiten Brandts Selbstverständlichkeit war.

Da weichen Sie der Frage aber aus. Viele im linken Lager wüssten gern, ob Sie darauf hinarbeiten, dass es wieder eine vereinigte Linke gibt und nicht drei zersplitterte Parteien?

Ich wollte immer eine starke Linke. Nur, die Frage einer Fusion zwischen SPD und der neuen Linken - und darauf zielen Sie ja ab - stellt sich nicht, weil die Neue Linke gerade eine Antwort ist auf die Fehlentwicklung der SPD. Die SPD hat sich von ihren Grundsätzen entfernt. Die SPD hat keinen politischen Inhalt mehr. Ich will das an einem Beispiel aufzeigen: Wenn Kurt Beck in einem Aufsatz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beschreibt, Kernelement der Politik der SPD ist der vorsorgende Sozialstaat, dann muss ich die Frage aufwerfen, was heißt das für eine Partei, die gerade die Rentenversicherung zerstört hat, die Arbeitslosenversicherung zerstört hat und die Krankenversicherung erheblich geschädigt hat.

Kurt Beck würde Ihnen antworten, man habe all das nicht zerstört, sondern zukunftsfähig gemacht.

Wenn der OECD-Bericht auch auf dem Schreibtisch von Kurt Beck landet, müsste er schamrot werden. Denn es ist ein Skandal, dass in Deutschland die Altersarmut derjenigen, die geringe Einkommen haben, am höchsten in allen Industriestaaten ist. Becks hilfloses Gerede vom „vorsorgenden Sozialstaat“ ist in Anbetracht des jüngsten Deregulierungswahnsinns eine Leerformel. Ich halte mich lieber an Jean-Jacques Rousseau: Zwischen dem Starken und dem Schwachen befreit das Gesetz, während die Freiheit unterdrückt. Regeln schützen die Schwachen. In einer Zeit, in der Deregulierung die Kampfformel vieler Regierungen und vieler Gesellschaften ist, ist es klar, dass die Schwachen immer mehr Schaden nehmen.

Würden Sie denn - so auch die SPD noch einmal Rousseau liest - nach der kommenden Bundestagswahl in eine rot-rot-grüne Regierung eintreten?

Wenn sich die SPD bei Themen bewegt: Eine armutsfeste Rente und der Mindestlohn müssten das Ergebnis einer solchen Vereinbarung sein. Es muss eine deutliche Korrektur von Hartz IV zustande kommen. Wir brauchen eine andere Außenpolitik auf der Grundlage des Völkerrechts, eine andere Steuerpolitik. Alles, was im Zuge des Neoliberalismus zerstört worden ist, will die neue Linke wieder herstellen.

Warum verbrennen Sie dann die Brücken zur SPD mit ihren Attacken? Sie waren einmal Vorsitzender der SPD. Es gibt in der Partei noch etliche, die mit Ihnen ein Stück Sehnsucht verbinden - nach dem Motto, wenn Oskar Erfolg hat, arrangiert sich alles wieder ...

Ich verbrenne die Brücken zur SPD doch nicht, sondern ich baue dem Parteivorstand eine Brücke. Die Untersuchung von Forsa hat gezeigt, dass die große Mehrheit der SPD-Mitglieder immer die Politik für richtig hält, die die neue Linke im Bundestag vertritt. Ich kann aber die Frage nicht beantworten, ob der SPD-Parteivorstand diese Brücke betreten will. Die Frage richten Sie also an die falsche Adresse. Beck hat erklärt, sofort nach der Bremen-Wahl, mit uns rede er überhaupt nicht. Das ist kindisch. Wir erklären, wir sind mit jedem gesprächsbereit, der mit uns Politik machen will.

Sie reden so, als seien Sie mental noch auf dem Stand von vor drei Jahren, als wäre ihr Lieblingsfeind Gerhard Schröder noch Kanzler.

Die Koalition setzt ja die Schrödersche Politik fort: Rente mit 67, Mehrwertsteuerbetrug und Entsendung der Tornados nach Afghanistan - sie sind eine nahtlose Folge der Schröderschen Politik ...

Aber Sie wollen doch die Haltung und die Richtung, die Sie verkörpern, am Ende auch in machbare Politik, in Regierungshandeln umsetzen. Ihnen geht es doch, wie ich jetzt gelernt habe, gar nicht um Rache um Eitelkeit, sondern um das Verändern ...

Es ist ein Irrtum zu glauben, nur eine Regierungsbeteiligung sei die Möglichkeit, etwas zu verändern. Die Linke verändert derzeit die deutsche Politik.

Da stimme ich Ihnen ausnahmsweise zu. Sie treiben die verunsicherte SPD derzeit vor sich her und setzen der Republik dadurch manches auf die Agenda. Was planen Sie eigentlich als nächstes?

Wir werden bei den Themen Mindestlohn, Rente und Kriegsbeteiligung weiter kämpfen. Wir haben bei den nächsten Landtagswahlen eine Chance, in Hamburg, aber auch in Hessen und Niedersachsen in die Parlamente einzuziehen. Das wird das Interesse für unsere Positionen weiter erhöhen und das Machtgefüge in Deutschland verändern. Und dann werde ich im Saarland selber noch einmal antreten. Denn ich sehe, dass das Saarland kulturelle, wirtschaftlich und sozial wieder zurückfällt. Das bereitet mir Sorge. Darum bin ich bereit, die Aufgabe wieder zu übernehmen. Politisch wäre es für die gesamte Linke ein Erfolg, wenn die Bildung einer Landesregierung unter Führung der Linken für zustande käme.

Sie weisen so gerne darauf hin, dass es im vereinigten Deutschland eine strukturelle linke Mehrheit gebe. Wenn wir uns in drei Jahren wiedertreffen zum Gespräch, gibt es dann eine linke Mehrheitsregierung im Bund?

Bin ich ein Hellseher? Die Antwort wäre ein Würfelspiel.

Na, Sie könnten das Würfelspiel aber beeinflussen. Wollen Sie denn eher ein linker Sektierer oder ein linker Mehrheitsgestalter sein?

Wir sind inzwischen die drittstärkste Kraft in Deutschland. Die SPD ist innerlich schwer erschüttert, und wir bestimmen zusehends die Agenda. Wir gestalten über unsere Inhalte schon heute Mehrheiten. Wir rufen außerdem die Bürgerinnen und Bürger auf, Parteien zu wählen, die ihre Interessen vertreten. 90 Prozent der Rentner beispielsweise wählen immer noch Rentenkürzungsparteien. Die Mitglieder der SPD und der Gewerkschaften sollten sich in Organisationen engagieren, die ihre politischen Ziele vertreten. Was SPD-Mitgliedschaft und Gewerkschaft angeht, ist das derzeit nur und allein die Neue Linke.

Kurt Beck wirft Ihnen im Spiegel vor „durchzudrehen“. Was ist denn umgekehrt Ihr Rat an Kurt Beck?

Ich weiß, dass Kurt Beck Ratschläge von mir mit Begeisterung entgegen nimmt. Es wäre gut für die SPD, wenn er eine Strategie hätte, wie die SPD wieder sozialdemokratisch würde.

Und wenn er eine fände, würden Sie auch gerne mit ihm darüber diskutieren?

So bald er eine hat, können Sie mich wieder fragen.

Cicero, 28. Juni 2007