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»Seehofers Kritik ist völlig verlogen«

Im Wortlaut von Matthias W. Birkwald,

Der CSU-Chef will sich mit seinen Bedenken zur Rente ab 67 wählerwirksam ins Gespräch bringen. Gespräch mit Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Die Linksfraktion im Bundestag hatte schon im Dezember den Antrag gestellt, die Einführung der Rente mit 67 zu stoppen – jetzt läßt sich CSU-Chef Horst Seehofer in den Schlagzeilen als erbitterter Gegner dieser Reform feiern. Ist sie denn überhaupt noch aufzuhalten?

Matthias W. Birkwald: Sie kann jederzeit rückgängig gemacht werden, wenn der Bundestag beschließt, das Gesetz zurückzunehmen. Und das wäre notwendig! In diesem Jahr wird das Renteneintrittsalter erstmals angehoben – zunächst um einen Monat für diejenigen, die 65 Jahre alt werden. Jeder, der vorher in den Ruhestand geht, muß pro Monat Abschläge von der Rente hinnehmen. Von den heute 64jährigen hat aber nicht einmal mehr jeder zehnte einen sozialversicherungspflichtigen Job – sehr viele Menschen sind also davon betroffen.

Seehofer hatte Bild am Sonntag gesagt, wenn sich die Situation für Ältere auf dem Arbeitsmarkt nicht ändere, werde die geforderte Verlängerung der Lebensarbeitszeit zur faktischen Rentenkürzung – das sei mit ihm nicht zu machen. Aber ist diese Bedingung nicht auch schon Bestandteil des Gesetzes zur Rente mit 67?

Es gibt eine »Bestandsüberprüfungsklausel«: Die Bundesregierung muß alle vier Jahre eine Einschätzung abgeben, ob unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage und der sozialen Situation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Anhebung der Regelaltersgrenze bestehenbleiben kann. So heißt es sinngemäß im Gesetz. Im Jahr 2010 hat sie das erstmals geprüft und einen geschönten Bericht voller Allgemeinplätze herausgegeben – sie hält die gesetzliche Auflage also nicht ein.

Die soziale Situation älterer Arbeitnehmer läßt es keinesfalls als vertretbar erscheinen, die Regelalters anzuheben. Vor allem für Frauen ist die Rente ab 67 Jahren unfair. Von ihnen haben zur Zeit nur 3,7 Prozent mit 64 Jahren noch einen sozialversicherungspflichtigen Vollzeitjob. Für die meisten ist die Rentenreform also in der Tat ein gigantisches Rentenkürzungsprogramm.

Sind Seehofers Vorstöße glaubwürdig?

Nein, seine Kritik ist völlig verlogen. Im Ausschuß für Arbeit und Soziales positionieren sich ganz besonders die Mitglieder der CSU für die Rente erst ab 67. Seehofer hätte mehrfach seiner CSU-Landesgruppe vorschlagen können, dieses Gesetz nicht mit zu verabschieden – oder mit der CDU und FDP zu verhandeln, daß es zumindest abgemildert wird. Seehofer macht nichts anderes als unverfrorene Wählertäuschung.

Wie wäre eine Altersarmut für Rentnerinnen und Rentner zu verhindern, die vor Eintritt in das vorgesehene Rentenalter ihren Job verlieren?

Wir hatten die Bundesregierung am 15. Dezember vergeblich aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Altersgrenze für den Renteneintritt wieder auf 65 Jahre zurücknimmt. Die Grünen haben zwar einige Details zu kritisieren, sind jedoch grundsätzlich dafür, daß der Renteneintritt ohne Abschläge erst ab 67 erfolgen kann. Die SPD hat vorgeschlagen, die Rente ab 67 so lange auszusetzen, bis mindestens 50 Prozent der 60- bis 64jährigen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Das würde noch 16 Jahre dauern, wenn man die Steigerungsraten des beschäftigungspolitischen Fortschritts der vergangenen Jahre in die Zukunft fortschriebe.

Das alles ist Quotenhumbug. Ehrlicher gewesen wäre es, zu sagen: Wir haben damals einen Fehler gemacht und sind jetzt dafür, die Rente ab 67 wieder abzuschaffen. Denn Chemiearbeiterinnen und -arbeiter, am Fließband Beschäftigte oder alle diejenigen, die körperlich schwer arbeiten müssen – zum Beispiel Fliesenleger –, haben nicht die Chance, bis 65 zu arbeiten, geschweige denn bis 67. Auch für Geringverdienende, wozu unter anderem Erzieherinnen und Pflegekräfte zählen, ist diese Regelung unfair.

Es würde einen durchschnittlichen Steuerzahler nur 6,30 Euro Beitrag pro Monat kosten, um auf die Rente erst ab 67 verzichten zu können. Aber auch das wäre unnötig, wenn die Regierung nicht erst ab 1. Januar die Beiträge für die Rentenversicherung um 0,3 Prozentpunkte gesenkt hätte. Das ist zutiefst unsozial, weil dadurch den Arbeitgebern Milliarden zugeschustert werden, die sie an Versicherungsbeiträgen sparen.

Interview: Gitta Düperthal

junge Welt, 3. Januar 2012