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»Schwarz-Gelb vertieft die soziale Spaltung«

Im Wortlaut von Gregor Gysi,

Wachstum durch Steuersenkungen? Dieses Konzept der schwarz-gelben Bundesregierung hält Gregor Gysi für falsch. Der Fraktionschef der Linkspartei sagt in der news.de-Kolumne eine Umverteilung von unten nach oben voraus.

»Merkelmacht plus Steuersenkungen gleich Wohlstand für alle.« So lautet das Motto der schwarz-gelben Bundesregierung. Sie folgt damit dem neoliberalen Glaubenssatz, dass steuerliche Entlastungen zu mehr Wachstum, mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätzen führen sollen.

Aber die geplanten Steuersenkungen auf Pump bewirken weder mehr Wachstum noch mehr Wohlstand für alle - im Gegenteil.

In einem ersten Schritt beträgt das steuerliche Entlastungsvolumen ab dem kommenden Jahr rund 21 Milliarden Euro. Rund die Hälfte davon resultiert aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge steuerlich abzugsfähig zu machen, sowie leichten Tarifkorrekturen bei der Einkommenssteuer, die die vorherige schwarz-rote Bundesregierung bereits beschlossen hatte.

Hinzu kommen nunmehr eine Erhöhung des Kindergeldes um 20 Euro und des Kinderfreibetrages von 6024 auf 7008 Euro. Das kostet den Staat 4,5 Milliarden Euro.

Diese Maßnahmen kommen vor allem den Besserverdienenden zugute. Eine Familie mit drei Kindern mit hohem Einkommen erzielt 200 Euro netto mehr, Familien mit mittleren oder geringen Einkommen nur 60 Euro. Gering Verdienende, Rentner, Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger, die geringe oder gar keine Steuern zahlen, profitieren von den Steuersenkungen überhaupt nicht.

Stattdessen sollen Unternehmen und Erben entlastet werden. Die geplante Abschaffung der Umsatzsteuerprivilegien öffentlicher Unternehmen soll die Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge beflügeln - damit drohen unter anderem höhere Müll- und Abwassergebühren. Steigende Kosten für Gesundheit und Pflege tragen die Arbeitnehmer künftig allein. Es wird klar: Die Bundesregierung vertieft mit ihren Maßnahmen die soziale Spaltung der Gesellschaft.

Unterm Strich kommen die geplanten Steuersenkungen Besserverdienenden, Vermögenden, Erben sowie den Konzernen zugute - jenen also, die mehr netto vom brutto nicht in mehr Kaufkraft umsetzen, sondern lieber spekulieren. Das Binnenwachstum wird dadurch nicht gestärkt, zumal weitere negative Effekte der Umverteilung zu Buche schlagen werden.

Nach dem Willen von Schwarz-Gelb wird es keinen gesetzlichen Mindestlohn geben. Für die Miet- und Mietnebenkosten von Hartz-IV-Empfängern soll künftig eine Pauschale gelten - sind die Kosten höher, müssen die Hartz IV-Beziehenden die Differenz aus ihrem Regelsatz bezahlen. Wie, weiß kein Mensch.

Darüber hinaus will die Bundesregierung die Hinzuverdienstgrenzen erhöhen - eine Einladung an Unternehmen, Niedrigstlöhne zu bezahlen und die Zahl der Aufstocker zu erhöhen, die zusätzlich Hartz IV zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts benötigen.

Einer Ausweitung des Niedriglohnsektors entspricht es auch, wenn die Bundesregierung per Gesetz Löhne bis zu 30 Prozent unterhalb der branchenüblichen Tarife legalisieren will. Das bedeutet für eine Friseurin in Sachsen, dass sie einen Stundenlohn von 2,04 Euro und für einen Mitarbeiter im privaten Wachschutz, dass er einen Stundenlohn von 3,66 Euro akzeptieren müsste. Diese Regelung ist eine Aufforderung an Unternehmen, Dumpinglöhne zu zahlen. Für über sieben Millionen Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, in Teilzeit- und Leiharbeit, in Minijobs und als Aufstocker wird sich die Lage weiter verschlechtern.

Die Steuersenkungen der Bundesregierung müssen zudem auf Pump finanziert werden. Der Abbau dieser Schuldenlasten basiert allein auf dem Prinzip Hoffnung, das Wachstum heißt. Bleibt es aus, womit in der längst nicht überwundenen Krise zu rechnen ist, dann müssen Schulden mit weiteren Schulden und mit Tricksereien wie Neben- und Schattenhaushalten finanziert werden.

Die Maßnahmen haben weitere Folgen: Die von der Bundesregierung geplanten Steuersenkungen werden zu einem großen Teil von den Ländern und Kommunen finanziert. Das schwächt den Staat in seiner Funktion als Investor in Infrastruktur, Bildung, Energiewende oder Verkehr und als öffentlicher Arbeitgeber für Lehrer, Erzieher oder Polizisten. Der Staat wird also dort verschlankt, wo er für die Bürger besonders wichtig ist.

So zahlen am Ende die abhängig Beschäftigten, die Rentner, die Kranken und die Arbeitslosen nicht nur die Kosten der Finanz- und Wirtschaftskrise, sondern obendrein auch noch die Folgen einer völlig verfehlten Steuersenkungspolitik der schwarz-gelben Bundesregierung.

Von Gregor Gysi

news.de, 3. November 2009